Es gibt Situationen im Leben, die möchte man nie erleben. Dazu gehört auch eine unerwünschte Schwangerschaft. Existentielle Krisen, Konflikte und emotionale Ausnahmesituationen können die Folge sein. Erhebungen deuten darauf hin, dass Partnerschaftsprobleme, eine notwendige Unterbrechung der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit, finanzielle Sorgen, Überforderung, fehlende Unterstützung und Beeinflussung von Dritten zu den wesentlichen Gründen gehören, eine Schwangerschaft abzubrechen. Das aktuell geltende Recht gibt mit der verpflichtenden Beratung einen klaren Weg vor, der Frauen Raum gibt, ihre Entscheidung mit einem differenzierten Blick auf verschiedene Einflüsse und Folgen, aber auch Unterstützungsmöglichkeiten zu überprüfen. Dadurch werden sie gegebenenfalls erst in die Lage versetzt, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder weiterführen möchten. Manche Frauen, die in Abhängigkeitsverhältnissen leben, erhalten erst über die Beratung Zugang zu psychosozialer und auch finanzieller Unterstützung. Nach einer Beratung bei einer staatlich anerkannten Fachstelle innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen und nach einer Bedenkzeit für die Frau von drei Tagen, kann ein Abbruch der Schwangerschaft straffrei (für Frauen und Ärzt*innen) durchgeführt werden. Der Vorwurf der Kriminalisierung greift hier nicht. Dass das Beratungs- und Schutzkonzept, das auf Hilfe statt auf Strafe setzt, optimiert werden sollte, dass Belästigungen von und Übergriffe auf hilfesuchende Frauen und Ärzt*innen verhindert werden müssen, dass die Präventionsarbeit mit jungen Menschen ausgebaut werden sollte, steht außer Frage.
Zum Lebensschutz ermutigen
Contra: Kommentar zu den Empfehlungen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Lioba Speer, Leiterin der Abteilung Theologie / Politik / Bildung beim kfd-Bundesverband
Lebensschutz im Grundgesetz verankert
Die aktuell geltende gesetzliche Regelung von 1995 mit §218 StGB und dem zugehörigen Beratungs- und Schutzkonzept ist ein politischer Kompromiss, der darin besteht, dass einerseits Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht zuerkannt wird, innerhalb der ersten 12 Wochen nach einer verpflichtenden Beratung im Schwangerschaftskonflikt frei zu entscheiden. Andererseits bezieht sich das im Grundgesetz verankerte "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" (Art. 2 Abs. 2 GG), das in der Menschenwürde (Art. 1 Abs.1 GG) gründet, auch auf das Ungeborene. Begründet wurde dies vom Bundesverfassungsgericht damit, dass von Anfang an der Mensch sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch in einer genetisch festgelegten Weise individuell und kontinuierlich entwickelt. Die Schwangerschaftskonfliktberatung muss ergebnisoffen sein und die Verantwortung der Frau ernstnehmen, soll aber auch zum Schutz des Lebens ermutigen (vgl. Schwangerschaftskonfliktgesetz Abschn. 2 Art. 5 Abs. 2). §218 und das Schutzkonzept geben einen Rahmen und Unterstützung für eine individuelle Entscheidung der Frau in einem Konflikt zweier Leben. Löst man das Problem durch die Verleugnung oder Relativierung des Lebensrechts des Ungeborenen? Statt die geltende gesetzliche Regelung über Bord zu werfen, die sich über lange Zeit bewährt hat, wäre es besser, geeignete Rahmenbedingungen für eine familienfreundlichere Gesellschaft zu schaffen und Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt unbürokratisch Unterstützung anzubieten.
"Deutschland hat ein liberales Abtreibungsrecht, das Frauen Straffreiheit ermöglicht. Deshalb war es unnötig, dass die Regierung den gesellschaftlichen Konsens aufgebrochen hat. Die unter fragwürdigen Gesichtspunkten zusammengesetzte Kommission hat nun Empfehlungen vorgelegt, die nicht verfassungskonform sein können, da sie das Lebensrecht der Ungeborenen nicht ausreichend berücksichtigen. Davon unabhängig ist zu konstatieren, dass es dringend mehr Beratungsmöglichkeiten braucht und dass Frauen und Mädchen medizinisch begleitet werden, die sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entschieden haben. Gehsteigproteste sind zu unterbinden. Außerdem müssen Aufklärung und der Zugang zu Verhütungsmittel verbessert werden."
Ursula Groden-Kranich, Bundesvorsitzende des Kolpingwerkes Deutschland
Text: Lioba Speer
Fotos: Barbara Bechtloff, privat, Kolpingwerk Deutschland
Mit der Frau, nicht gegen sie
EVA ist die Beratungsstelle für Schwangerschaft, Sexualität und Pränataldiagnostik der Diakonie in Bonn. Hier finden Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, Beratung und Hilfe. Mit der Beratungsbescheinigung, die man danach erhält, kann und darf eine Ärztin oder ein Arzt den Abbruch vornehmen.
Mein Recht – Dein Recht
Kann der Staat seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben auch ohne eine Verankerung im Strafrecht genügen?
Entstigmatisierung verbessert Versorgungslage
Pro: Kommentar zu den Empfehlungen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
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