Ausgabe 2-2024 : Mai

Entstigmatisierung verbessert Versorgungslage

Pro: Kommentar zu den Empfehlungen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.

Die Ergebnisse des Abschlussberichts der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ebnen den Weg zu einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchsrechts, die dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht schwangererer Personen endlich Rechnung trägt. Zu Recht betont die Kommission, dass das grundsätzliche strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten 12 Wochen verfassungs-, europa- und völkerrechtlich nicht haltbar ist.[1] Das derzeitige System normiert eine grundsätzliche Austragungspflicht und stellt eine einseitige Belastung schwangerer Personen dar, die das finanzielle und strafrechtliche Risiko alleine tragen. Der gesetzgeberischer Gestaltungspielraum für Fragen der Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen (12. bis 22. Schwangerschaftswoche) sollte dahingehend ausgeschöpft werden, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche zulässig sind. Erst ab der Überlebensfähigkeit des Fötus (nach derzeitigen medizinischen Erkenntnissen ca. die 22. Schwangerschaftswoche)[2], ist ein genereller Ausschluss des Abbruchs angezeigt. Hierdurch kommt zugleich ein abgestuftes Lebensschutzkonzept zum Ausdruck.[3] 

 

Büşra Akay ist Akad. Rätin am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln und Mitglied in der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes

Sozial- statt Strafrecht

Zu Recht verneint die Kommission eine Pflicht zur Umsetzung der Schutzpflicht des Staates mittels des Strafrechts.[4] Abbrüche sollten unabhängig vom Fortschritt der Schwangerschaft grundsätzlich nicht im Strafgesetzbuch, sondern im Sozialrecht geregelt werden. Denn wie internationale Erfahrungen zeigen, verhindern strafrechtliche Regelungen keine Abbrüche, sondern führen nur dazu, dass sie unter unsichereren Bedingungen vorgenommen werden.[5]  Zudem kann nur durch eine Entkriminalisierung eine Entstigmatisierung und damit eine nachhaltige Verbesserung der derzeit defizitären Versorgungslage erzielt werden. Der Schutz des ungeborenen Lebens sowie die Verbesserung der Versorgungslage sollten daher weniger durch das Strafrecht, sondern durch umfassende Maßnahmen wie Aufnahme von Abbrüchen als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sowie in die medizinische Aus- und Weiterbildung, erwirkt werden. Der Bericht räumt auch Gestaltungsspielraum hinsichtlich einer Beratungspflicht und der dreitätige Wartezeit ein.[6] Diese Einschnitte werden dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person nicht gerecht und verletzen internationales Recht.[7] Stattdessen sollte ein Recht auf Beratung verankert werden.

Insgesamt sollten die Ergebnisse der Kommission als Leitlinien dienen, um die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Rahmen eines faktenbasierten und offenen parlamentarischen Diskurses neu zu bewerten.

"Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verstellt den objektiven Blick auf die medizinische Versorgungssituation in Deutschland, die in vielen Regionen seit Jahren immer kritischer wird. Wenn aus kritischer Versorgung keine Versorgung wird, bedeutet das nicht, dass es keine Abbrüche mehr gibt, sondern lebensgefährliche."

Miriam Bovelett, DV Aachen, Leitung AG heute für morgen der Kolpingjugend

[1] Bericht der Kom-rSF AG 1: Schwangerschaftsabbruch, Kapitel 5.3.2.1. i.V.m. Kapitel 5.2.4.2., zusammengefasst auf S. 252.

[2] Nach derzeitigen medizinischen Erkenntnissen, vgl. Bericht der Kom-rSF AG 1: Schwangerschaftsabbruch, S. 35 ff., S. 47.

[3] Vgl. Policy Paper des Deutschen Juristinnenbundes: Neues Regelungsmodel für den Schwangerschaftsabbruch (2022), abrufbar » hier.

[4] Bericht der Kom-rSF AG 1: Schwangerschaftsabbruch, S. 256 ff., 410.

[5] Vgl. Weltgesundheitsorganisation, Abortion Care Guideline, 2022, https://www.who.int/publications/i/item/9789240039483, sec. 2.2.1.

[6] Bericht der Kom-rSF AG 1: Schwangerschaftsabbruch, S. 193 f.

[7] Vgl. Policy Paper des Deutschen Juristinnenbundes: Neues Regelungsmodel für den Schwangerschaftsabbruch (2022), S. 6, abrufbar » hier.

Text: Büşra Akay
Fotos: Barbara Bechtloff, privat

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Mit der Frau, nicht gegen sie

EVA ist die Beratungsstelle für Schwangerschaft, Sexualität und Pränataldiagnostik der Diakonie in Bonn. Hier finden Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, Beratung und Hilfe. Mit der Beratungsbescheinigung, die man danach erhält, kann und darf eine Ärztin oder ein Arzt den Abbruch vornehmen.

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Contra: Kommentar zu den Empfehlungen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.

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