Ausgabe 4-2023 : November

Über die Rolle der Frau in Deutschland

Lisi Maier ist Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung. Im nachfolgenden Interview geht es darum, welche Rolle Frau in unserer Gesellschaft einnehmen und warum das Einfluss auf die Häufigkeit von Gewalt gegen Frauen hat.

Kolpingmagazin: Wie hängen Gewalt gegen Frauen und das gesellschaftliche Bild der Frau zusammen?

Lisi Maier: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches und weltweites Problem, das in allen gesellschaftlichen Schichten und Institutionen vorkommt. Gemeinsam ist allen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt, dass sie eingebettet sind in ungleiche, patriarchale Machtverhältnisse. Dem patriarchalen Gesellschaftsbild zufolge sind Männer den Frauen übergeordnet, weshalb Männer die tragenden Rollen und Führungspositionen in relevanten Institutionen einnehmen. Übertragen auf Paarbeziehungen besitzt der Mann die Frau und kann nicht zulassen, dass sie ihn verlässt. Die Folge: An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.

Welche Veränderungen bringt die Istanbul-Konvention für Deutschland?

Das Übereinkommen des Europarats zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ („Istanbul-Konvention“) ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu gehören Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen. Deutschland hat die Konvention 2017 ratifiziert. Durch die Istanbul Konvention wurde in Deutschland eine Reihe von Strafrechtsänderungen angestoßen, z.B. die Einführung der "Nein heißt Nein"-Regel, die jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers unter Strafe stellt. Die explizite Kriminalisierung von technologieunterstützter geschlechtsspezifischer Gewalt (Cyberstalking), von unbefugtem Fotografieren privater Körperteile und von Verwendung von Stalkerware gehört in Deutschland ebenso zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.

Die Istanbul-Konvention

Seit dem 1. Oktober 2023 ist die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Europäischen Union wirksam. Der völkerrechtliche Menschenrechtsvertrag verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu Maßnahmen in Prävention, Intervention, Schutz und Sanktion. In Deutschland gilt die Konvention bereits seit dem 1. Februar 2018, wodurch alle staatlichen Ebenen zur Umsetzung der Vorgaben verpflichtet sind.

Welche Rolle spielen Bildung und Erziehung bei der Förderung der Gleichstellung von Frauen?

Auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt eine höhere Sensibilität für eine geschlechtergerechte Bildung und Erziehung entwickelt hat: Mädchen und Jungen werden noch immer auf rollenstereotype Verhaltensweisen festgelegt: Jungs gelten als technikaffiner, was sich immer noch in Berufswahlentscheidungen widerspiegelt – Mädchen werden weiterhin von Spielwarenherstellenden mit viel Rosa und Prinzessinnenpuppen umgarnt. Damit sich Geschlechterklischees nicht schon in jungen Jahren festsetzen, sind alle Sozialisationsinstanzen gefragt die zu einem gelingenden Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beitragen: Familie, Kindergarten, Schulen, Jugendverbände und die Gesellschaft insgesamt.

Welche Hindernisse und Herausforderungen bestehen noch immer in Bezug auf die Gleichstellung von Frauen?

In Deutschland werden im Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes Frauen und Männern unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Rechte eingeräumt. In der Realität sind jedoch veraltete Rollenbilder und Geschlechterstereotypen sehr häufig noch in der Gesellschaft präsent, was dazu führt, dass Frauen beispielweise im Berufsleben deutlich längere Unterbrechungsphasen für die unbezahlte Sorgearbeit für Kinder oder ältere Angehörige haben wie ihre männlichen Ehepartner und Kollegen. Das trägt unter anderem maßgeblich zu einem GenderPayGap von 18 Prozent bei. Frauen sind weiterhin seltener in Führungspositionen, erreichen bis zum Renteneintritt nur drei Viertel des Vermögens der Männer und sind deutlich stärker von Altersarmut bedroht. Zudem sind Frauen deutlich weniger in den Parlamenten auf allen Ebenen vertreten.

"Gemeinsam ist allen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt, dass sie eingebettet sind in ungleiche, patriarchale Machtverhältnisse."
Lisi Maier

Wie können Stereotype und Vorurteile gegenüber Frauen in der Gesellschaft überwunden werden?

Zunächst ist wichtig, dass man anerkennt, dass Ungleichheiten und Diskriminierung keine individuellen, sondern strukturelle Probleme sind, die strukturell gelöst werden müssen, zum Beispiel indem mehr Anreize gesetzt werden, die Elternzeit gleichberechtigter aufzuteilen. Und dann bin ich davon überzeugt, dass wir auch positive Vorbilder brauchen. Ich persönlich durfte in der Kolpingjugend von zahlreichen weiblichen Vorbildern und vielen positiven Erfahrungen mit geschlechtergemischten Teams profitieren. Für mich war deshalb Gleichstellung immer ein selbstverständlich erstrebenswertes, politisches Ziel.

Welche Veränderung wünschst du dir für die Frauen in Deutschland?

Ich wünsche mir, dass Frauen politisch und ökonomisch endlich gleichgestellt sind und Männer mehr Sorgearbeit übernehmen. Dadurch können wir vielfältigere Bilder in unseren Köpfen und den Köpfen unserer Kinder verankern, wie Menschen aller Geschlechter miteinander gleichgestellt ihr Leben gestalten können. Um nochmal auf das Eingangsthema zurückzukommen: Ich würde mir wünschen, dass geschlechtsspezifische Gewalt im medialen und politischen Diskurs nicht als individuelle Taten verharmlost, sondern als patriarchales Verhaltensmuster anerkannt wird und sich Menschen jeden Geschlechts dafür verantwortlichen fühlen, diese Muster endlich zu durchbrechen. Dann schaffen wir Veränderung.

Gewalt an Frauen
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Foto: Monika Keiler, Bundesstiftung Gleichstellung

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