Jetzt beginnt die Einwirkzeit. 30 Minuten muss die zuvor sorgsam mit einem Pinsel aufgetragene Farbe in den Haaren bleiben, ehe Kathrin Zellner damit beginnen kann, sie vorsichtig auszuwaschen. Manch eine Kundin greift nun zu einer der ausliegenden Zeitschriften. Irgendwie muss die Zeit ja rumgebracht werden. Nichts Besonderes für Zellner, die im Kolpingwerk Deutschland Mitglied des Bundesvorstands ist. Eine Alltagsszene. Kundinnen, die die Wartezeit mit Lesen verbringen, dürfte sie in ihren 21 Jahren als Friseurin ebenso oft beobachtet haben, wie beim Spitzenschneiden Haare zu Boden rieseln. Und doch musste die 37-Jährige zuletzt so einige Male schmunzeln, wenn der Griff zu Spiegel, Stern, Brigitte und Co. ging – weil sie genau wusste, was das deutschlandweit für Berufskolleginnen und -kollegen hätte bedeuten können.
„Als die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards für das Friseurhandwerk sowie für die Beauty- und Wellnessbetriebe formuliert wurden, hieß es zunächst, dass Zeitschriften nur unter hygienischen Bedingungen ausgelegt werden dürfen und sowohl vor als auch nach einer Kundin desinfiziert werden müssen“, erzählt die Friseurmeisterin, die im niederbayerischen Röhrnbach (knapp 20 Kilometer nördlich von Passau) im Salon ihrer Mutter arbeitet. „Das hätte zur Folge gehabt, dass ich nach der zweiten Kundin schon keine Zeitschrift mehr gehabt hätte – denn die hätte sich längst aufgelöst. So ein Vorgehen hätte in der Praxis einfach nicht funktioniert, meint Zellner. Und sagte das auch genauso in jener Arbeitsgruppe, die diese Corona-Arbeitsschutzstandards formulieren sollte. Die Folge: Die Zeitschriften mussten nicht eingenebelt werden. Das einfache Desinfizieren der Hände reichte. „Das war nur eine von mehreren Situationen, in denen ich mir dachte, dass es gut ist, dass ich als Praktikerin bei der Formulierung der Standards mitgearbeitet habe“, sagt sie.