Ausgabe 3-2022 : Juli

Die Schöpfung bewahren

Die Energiewende ist eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. Auch das Kolpingwerk setzt sich aktiv mit ihr auseinander. Doch zahlreiche Menschen bleiben skeptisch, wie der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen kann. Im Ferienparadies Pferdeberg kann man den Wandel zur Nachhaltigkeit erleben.

Ein silbergraues Elektroauto gleitet auf den Parkplatz der Familienferienstätte Pferdeberg im niedersächsischen Duderstadt und kommt vor einer der drei Ladesäulen mit je zwei Ladesteckdosen zum Stehen. Am Steuer sitzt ein drahtiger Mann mit grauem Haar. Er steigt aus, geht zum Kofferraum und entnimmt das Ladekabel für sein Auto, das er mit geübten Bewegungen an die Ladesäule anschließt.

Der Mann heißt Klaus Bechtold, und er kennt sich hier aus – schließlich ist der 70-jährige Ingenieur und frühere Unternehmensberater mitverantwortlich dafür, dass Elektroautos im Haus Pferdeberg überhaupt eine Lademöglichkeit haben. Bechtold ist ehrenamtlicher Vorstand der Energie-Genossenschaft KEEG und angereist, um einen Kunden über weitere Ladesäulen zu beraten. Die KEEG wurde von Mitgliedern des Kolping Diözesanverbandes Hildesheim gegründet. Ihr Ziel: die Nutzung erneuerbarer Energien voranzutreiben um die Schöpfung Gottes zu bewahren. "Jeder Mensch darf pro Jahr 2,6 Tonnen CO2 produzieren damit es weiter funktioniert", sagt er. Wie viele es in Deutschland sind? "12,5 Tonnen pro Person und Jahr."
 

Ein Gegenpol besonderer Art

Um dabei mitzuhelfen, diese Lücke zu schließen, installiert die Genossenschaft Photovoltaik-Anlagen, elektrische Speicher und Ladestationen für Elektrofahrzeuge und verpachtet sie an die Eigentümer oder Betreiber der Immobilien, die auf diese Weise niedrigschwellig Zugang zu erneuerbaren Energien erhalten. So auch beim Ferienparadies Pferdeberg.

Das Feriendomizil verfügt über Familienzimmer, barrierefreie Appartements und Ferienwohnungen sowie einen einzigartigen Ausblick auf die wunderbare Landschaft im Eichsfeld. Gebaut wurde die Anlage in den 1980er Jahren nur etwa 400 Meter von der damaligen DDR-Grenze entfernt. 

"Das Haus war sozusagen ein Gegenpol zur damaligen Grenze und wurde ganz bewusst an diesem Ort errichtet", erklärt Michael Nachtwey die Lage. Der freiberufliche Architekt ist Vorsitzender der Kolpingsfamilie Desingerode und Mitglied im Aufsichtsrat der KEEG.

Heute ist von der Grenze außer einem Aussichtsturm nichts mehr zu sehen – und die Anlage ist zu einem Gegenpol anderer Art geworden: Es hat sein nachhaltiges Energiekonzept verbindlich in seiner Vision festgehalten. "Als Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung soll das Ferienparadies Pferdeberg seine Energie ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewinnen, die bevorzugt auf dem Pferdeberg selbst erzeugt werden", heißt es da. Eine Vision, die ganz in die Zeit passt.

Umdenken im Kolping-Gesamtverband

Denn nicht erst seit der Verknappung von Rohstoffen durch Russlands Angriff auf die Ukraine und die folgenden Sanktionen ist deutlich geworden, wie wichtig ein Umschwenken auf erneuerbare Energien ist. 8,5 Milliarden Menschen werden laut den Vereinten Nationen im Jahr 2030 auf der Erde leben – eine Menge, die einen nachhaltigen, verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen unabdingbar macht. Die Kolpingjugend hat zu der Entwicklung bereits klar Stellung bezogen und den Beschluss gefasst, klimaneutral zu werden. Mit einer Expert:innengruppe und in Workshops diskutiert sie die daraus resultierenden Fragstellungen, und auch der Gesamtverband setzt sich mit dem Anliegen größerer Nachhaltigkeit auseinander.

Nachhaltigkeit nicht aus Idealismus

Klaus Bechtold findet, dass diese Skepsis verständlich ist. Denn neben seiner Tätigkeit für die KEEG war er auch Beauftragter des Handlungsfelds "Bewahrung der Schöpfung" und seit Jahren daran beteiligt, Menschen von einem nachhaltigeren Umgang mit dem Planeten zu überzeugen. Vom Handeln aus purem Idealismus will er nichts wissen. "Wir haben gar keine Wahl", sagt Bechtold.
 

"Es ist eine Notwendigkeit, um die Welt zu retten. Wenn tatsächlich drei Grad Erderwärmung durchkommen, werden 600 Millionen Menschen um­ziehen müssen, aber wo sollen die hin? Das Land wird aufgrund des steigenden Meeresspiegels ja auch kleiner."
Klaus Bechtold

Menschen zum Umdenken zu bringen, ist nicht leicht. "Es ist schwierig sein Leben zu ändern", sagt Bechtold. Da helfen Beispiele wie das Ferienparadies, um zu zeigen, dass es bereits erfolgreiche Modelle und Konzepte für den angestrebten Wandel gibt. Dazu passt, dass das Ziel der KEEG nicht die Maximierung von Rendite ist, sondern Nachhaltigkeit und eine umweltfreundliche Lebensweise. Ein Teil der Gewinne fließt deshalb in soziale Projekte.

Hilfreich sind auch verlässliche Zahlen: So erzeugen alle im Betrieb befindlichen Anlagen der KEEG 720 Kilowatt. Pro Jahr bedeutet das eine Einsparung von 500 Tonnen CO2. Das ist etwa so viel, wie eine Person verbraucht, wenn sie 500-mal von Frankfurt ins 3.800 Kilometer entfernte Lissabon fliegt und wieder zurück. Weitere neun Photovoltaikanlagen mit einer Spitzenleistung von 500 Kilowatt befinden sich derzeit in der Realisierung.

Fast autark vom Stromnetz

Die Verantwortlichen von Haus Pferdeberg hat der Ansatz überzeugt. "Wir leben jetzt im Ferienparadies fast autark vom Stromnetz", sagt Michael Nachtwey. "Unser Ziel ist, völlig unabhängig von der öffentlichen Stromversorgung zu werden, aber das ist im Moment noch unwirtschaftlich." Über die Photovoltaik-Anlagen und die Ladestationen für Elektrofahrzeuge hinaus hat die KEEG außerdem noch ein Blockheizkraftwerk für die sonnenarmen Wintermonate installiert. Absehbar könnte noch ein elektrischer Speicher von 200.000 Kilowatt dazukommen, um zu verhindern, dass wegen fehlender Speichermöglichkeiten Strom dazugekauft werden muss. 

Aber auch abseits der Energieversorgung ist dem Diözesanverband Hildesheim wichtig, das Ferien­paradies möglichst umweltschonend zu be­treiben. So finden sich in den Appartements kaum Plastik­teile, die Wasserkocher für die Besucher sind aus Glas und Metall. Überall riecht es nach frischem Holz, und es ist selbst im Sommer angenehm kühl. Dafür sorgt in den Appartements keine Klimaanlage, sondern eine natürliche Dämmung mit gepresster Baumwolle. Sogar Lebensmittelabfälle werden durch ein Buffet-Konzept so klein wie möglich gehalten.
 

Funktionsdiagramm: Sektorenkopplung Ferienparadies Pferdeberg

Ein Beispiel von vielen

Dabei steht das Ferienparadies Pferdeberg mit seinem konsequenten Fokus auf Nachhaltigkeit keineswegs alleine. Das Kolping Jugendwohnen im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, das im vergangenen Herbst nach dem Umbau wiedereröffnete, wurde energetisch saniert – unter anderem mit Solarthermie-Panelen und einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Zisternen sammeln außerdem Regenwasser, das dann als "Grauwasser" für die Toilettenspülungen verwendet wird. Und auch beim neuen Kolping Azubi- und Jugendwohnen in Berlin Mitte wird konsequent auf Nachhaltigkeit gesetzt – in emissionsarmer Holz-Hybridbauweise, mit effektiver Wärmedämmung und einer Photovoltaik-Anlage, neben anderen Maßnahmen. 
 

Keine Lösungen von der Stange

Es wird deutlich: Der Trend hin zu Nachhaltigkeit bei Kolping ist klar ersichtlich. Aber solche Projekte sind komplex. Die Verantwortlichen stehen deshalb oftmals vor der Frage, wie sie aus der Vielzahl technischer Lösungen die richtigen auswählen sollen. 

Für Klaus Bechtold steht fest, dass es keine Lösung von der Stange gibt. Stattdessen braucht es maßgeschneiderte Konzepte. "Die Lösungen müssen modular erarbeitet werden", sagt er. "Zuerst muss der Verbrauch analysiert werden. Darauf basierend sucht man sich dann die optimalen Lösungen aus den zahlreichen erhältlichen Modulen und Kombinationsmöglichkeiten aus." Dabei warnt er vor minderwertigen Produkten oder Firmen, die Nachhaltigkeit lediglich als Weg zu schnellem Geld sehen. "Wir von der KEEG möchten objektiv, ehrlich und offen informieren. Das ist uns wichtig, denn es gibt nicht die eine Lösung. Deshalb haben wir auch das Vertrauen der Leute."
 

"Wir von der KEEG möchten objektiv, ehrlich und offen informieren. Das ist uns wichtig, denn es gibt nicht die eine Lösung. Deshalb haben wir auch das Vertrauen der Leute.", sagt Klaus Bechtold (rechts) zu Michael Nachtwey.

Entscheidungen mit Konsequenzen

Und Vertrauen ist wichtig, denn schließlich geht es bei der Umstellung auf erneuerbare Energien und andere Maßnahmen zum Klimaschutz nicht nur um die Schonung des Planeten. Es geht auch um Versorgungssicherheit und ums Geld. Denn Strom ist knapp. Gerade einmal die Hälfte wird er derzeit aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen. Sollten Kohle- und Kernkraftwerke abgeschaltet werden, muss der Anteil der Erneuerbaren um knapp 40 Prozent gesteigert werden. Und darin ist noch nicht der steigende Bedarf durch zusätzlich bis zu neun Millionen Elektroautos eingerechnet, die die Bundesregierung bis 2030 noch auf die Straßen bringen will. Mit Blick auf die rasant steigenden Stromkosten wird deutlich, wie sich heutige Weichenstellungen langfristig auswirken werden.

Trotz allem Erfolg seiner KEEG bleibt Klaus Bechtold deshalb vorsichtig. Noch immer sei nicht jedem klar, wie wichtig es ist, jetzt konsequent zu handeln und den CO2-Ausstoß zu verringern. Abwarten sei keine Alternative. "Es gibt zwei Möglichkeiten, auf die Entwicklung zu reagieren. Entweder gebe ich auf oder ich versuche, möglichst weit zu kommen." Und wie weit man gemeinsam kommen kann, das zeigt die Kooperation der Familienferienstätte Pferdeberg mit der KEEG genau. Konsequente Nachhaltigkeit konsequent gelebt – ganz passend zum Selbstverständnis des Kolpingwerkes. Klaus Bechtold fasst es so zusammen: "Ich bin seit 50 Jahren bei Kolping. Für mich ist das kein Verein, sondern eine Lebenseinstellung. Entweder habe ich die oder ich habe sie nicht. Und wenn ich sie habe, dann habe ich danach zu leben", erklärt er. Wie schon Adolph Kolping gesagt habe: "Schön reden tut‘s nicht, die Tat ziert den Mann."


Fotos: Barbara Bechtloff

Verantwortung übernehmen und Überzeugungsarbeit leisten

Ein Interview mit

  • Klaus
    Bechtold

Kolpingmagazin: Lieber Klaus, die KEEG verfolgt das erklärte Ziel, die Schöpfung zu bewahren. Wie kommt Ihr dazu?

Klaus Bechtold: Die Basis unserer Arbeit ist die Achtung allen Lebens als von Gott geschaffen. Daraus ergibt sich für uns die Verantwortung, schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umzugehen und ihn, soweit es uns möglich ist, vor Schaden zu bewahren. Es geht ja nicht nur um uns. Es geht um alle Menschen auf der Welt – jetzt und in den kommenden Generationen. Damit wir unseren Kindern und Kindeskindern eine lebenswerte Welt übergeben können, müssen wir der Schöpfung mit Respekt und Schonung begegnen. 
 

Was braucht es dafür konkret?

Klaus Bechtold: Wir müssen uns als Gesellschaft klar darüber werden, dass es nicht mehr fünf Minuten vor zwölf ist, sondern fünf Minuten danach. Wir müssen jetzt handeln. Jetzt, und nicht erst morgen. Aber ein Verständnis dafür zu schaffen kann schwer sein, auch in der Familie und im Bekanntenkreis. Viele Menschen bauen da schnell eine Mauer auf, um sich vor kognitiver Dissonanz zu schützen, wenn ihre persönliche Perspektive von der Faktenlage abweicht. Die einzureißen ist schwer. 

"Für mich ist Kolping kein Verein, sondern eine Lebenseinstellung. Entweder habe ich die oder ich habe sie nicht."
Klaus Bechtold

Wie gehst Du damit um? 

Klaus Bechtold: Es ist wichtig, immer und immer wieder darauf hinzuweisen und verlässliche Informationen bereitzustellen. Und wir müssen neue Wege finden, die Leute zu erreichen. Im Herbst haben wir im Diözesanverband Hildesheim beispielsweise beschlossen, Menschen über die Sakramente anzusprechen. Wir haben eine Krankensalbung für die Natur gemacht, da hat uns ein Förster den Lebenszyklus eines Waldes erklärt. Und vor wenigen Tagen hatten wir im Klostergarten in Lamspringe eine Trauerfeier, bei der wir eine Blutbuche als Zeichen des Blutzolls gepflanzt haben.

In welcher Rolle siehst Du das Kolpingwerk?

Klaus Bechtold: Das Kolpingwerk ist als christlicher Sozialverband in der besonderen Verpflichtung, sich für eine nachhaltigere Welt und den Schutz der Schöpfung einzusetzen und entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten. "Schützen wir unser gemeinsames Haus", hat Papst Franziskus diese Aufgabe ja schön zusammengefasst. Denn am Ende treffen die Konsequenzen des Klimawandels uns alle – und zuallererst die Ärmsten der Armen. Es ist an uns, das zu verhindern.

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1 Kommentare

  • Annemarie Schraml
    am 28.07.2022
    Sehr eindrucksvoll und wegweisend!
    Danke!
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Nachhaltigkeit
Geschrieben von
Franziska Reeg

Kriegen wir den Verkehr auf die Kette?

Es ist gut für das Klima, hält fit und an vielen Orten ist man sogar schneller, als mit dem Auto unterwegs: Kein Wunder, dass das Fahrrad immer beliebter wird.