Ausgabe 1-2021 : Februar

„Wir sind hier auf einem guten Weg“

Präses und Geistliche Leitung: Seit bald fünf Jahren gibt es beide Ämter im Kolpingwerk Deutschland auch gleichberechtigt auf Bundesebene. Rosalia Walter und Josef Holtkotte ziehen eine erste Bilanz.

Es ist kalt geworden. Auch die Ruine des historischen Helenenturms, der in Köln gleich neben dem Kolpinghaus International steht, bietet nur bedingt Schutz vor dem eisigen Wind. Die Atmosphäre zwischen Rosalia Walter und Josef Holtkotte könnte hingegen kaum wärmer sein. Gut gelaunt scherzen der Bundespräses und die Geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland vor der roten Mauer des Turms und bringen sich gegenseitig zum Lachen. Klick. Dann ist das Bild für das gemeinsame Interview im Kasten.

Was im anschließenden Gespräch deutlich wird: Die Atmosphäre stimmt nicht nur vor der Kamera, sondern auch im Miteinander – was für die gemeinsame Aufgabe nicht gerade unwichtig ist. Denn seit in der Bundesversammlung 2016 erstmals in der Geschichte des Kolpingwerkes eine Geistliche Leitung auf Bundesebene gewählt wurde, tragen Holtkotte und Walter zusammen die Verantwortung für den Pastoralen Dienst des Kolpingwerkes. Mit dem Kolpingmagazin sprechen sie über ihre Erfahrungen.

Rosalia Walter ist seit 2016 Geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland. Zudem leitet sie den Bundesfachausschuss "Kirche mitgestalten".
Josef Holtkotte übernahm 2012 von Ottmar Dillenburg das Amt des Bundespräses. Zuvor war er unter anderem Diözesanpräses in Paderborn.

"Da ist viel Geduld gefragt"

Wenn man so will, waren Sie beide Pioniere: Denn bis zur Bundesversammlung 2016 gab es keine Geistliche Leitung auf Bundesebene. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit gestaltet? Ist sie so gekommen, wie Sie es sich vorgestellt haben oder wurden Sie überrascht?

Josef Holtkotte: Ich fand es gut, dass ich Rosalia schon seit vier Jahren als Mitglied des Bundesvorstandes kannte, als sie ins Amt kam. Als Mitglied im Bundesfachausschuss „Kirche mitgestalten“, den sie geleitet hat, hatten wir schon Erfahrung in der Zusammenarbeit. Es gab bereits ein Miteinander, und Vertrauen war längst gewachsen, denn wir sind beide keine Typen, die meinen, sich auf Kosten des jeweils anderen profilieren zu müssen. Das hat definitiv geholfen, eine solch wichtige Aufgabe anzugehen, die ja für uns beide Neuland war.

Rosalia Walter: Aufgrund dieser Erfahrungen wurden wir nicht überrascht. Es war für uns klar, dass die Wellenlänge passt und wir uns auch theologisch ergänzen. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist für uns selbstverständlich. Ansonsten wäre das Miteinander wohl schwierig.

Holtkotte: Wir möchten uns als Kolpinggemeinschaft auch in unserem Miteinander als eine Kirche erleben, die nahe bei den Menschen ist. Das heißt nicht, dass wir immer der gleichen Meinung sein müssen. Rosalia und ich schaffen es auch, zusammen zu finden, wenn wir unterschiedliche Meinungen haben. Deshalb sind uns auch der Austausch, gemeinsame Überlegungen und Planungen so wichtig.

Das klingt nach vielen Telefonaten. Wie oft sprechen Sie pro Woche miteinander?

Holtkotte: Telefonieren ist zum Glück gar nicht so oft nötig, weil wir uns mindestens einmal im Monat entweder in den Sitzungen des Bundespräsidiums oder des Bundesvorstandes sehen. Hinzu kommen unsere Sitzungen im Bundesfachausschuss und andere Tagungen. Wir können uns also häufig sogar persönlich sehen, obwohl Rosalia in Bayern, im schönen Allgäu, lebt.

Walter: Wir haben einen guten Stil gefunden, wenn wir Dinge gemeinsam erarbeiten. Falls wir uns nicht zusammensetzen können, rufen wir uns gegenseitig an oder tauschen uns durch Mails aus.

Holtkotte: Wenn wir unsere regelmäßigen Treffen nicht hätten, würden wir uns wahrscheinlich mindestens einmal pro Monat sehen wollen, um uns gegenseitig auf dem Laufenden halten zu können. Aber natürlich: Seit Beginn der Corona-Zeit gibt es viel mehr Telefonate, Mails und Videochats.

Was würden Sie als ein gemeinsames Schwerpunktthema bezeichnen?

Walter: Das Amt der Geistlichen Leitung und seine Bedeutung bekannter zu machen. Dafür ist es unter anderem wichtig, dass wir alle – gleich ob als Laien oder Geweihte – uns neu bewusst werden, welche Würde uns in der Taufe geschenkt worden ist. Laien verstehen sich nicht mehr als Zuarbeiter oder als verlängerter Arm der geweihten Amtsträger.

Holtkotte: Mir ist es immer ein Anliegen, herauszustellen, welche Chancen das Amt der Geistlichen Leitung bietet. Wenn ich sehe, wie sich Verantwortliche in den Diözesan- und Landesverbänden beziehungsweise Regionen um Ausbildungskonzepte bemühen und diese auch durchführen, merke ich, dass da viel Qualifikation geschieht. Da gibt es inzwischen sehr viele positive Entwicklungen und gute Erfahrungen.

Walter: Ein großes Anliegen von uns beiden war auch, die Person und Spiritualität von Adolph Kolping für die heutige Zeit ansprechend darzustellen. 

Holtkotte: Als Verband orientieren wir uns auch heute an Adolph Kolping, nehmen uns ihn zum Vorbild – da liegen unsere Wurzeln. Deshalb ist es uns beiden sehr wichtig, möglichst viele Aspekte der Spiritualität Adolph Kolpings aktuell zu entfalten. Es reicht nicht, ein Zitat aus dem 19. Jahrhundert zu bringen, sondern wir müssen dies ins Heute übersetzen.

Walter: Zur Unterstützung der Kolpingsfamilien in der Pastoralen Arbeit haben wir gemeinsam Materialien erarbeitet, die auf unserer Homepage unter dem Stichwort „Glaube und Kirche“ zusammengestellt sind.

"Wir haben einen guten Stil gefunden, wenn wir Dinge gemeinsam erarbeiten."
Rosalia Walter, geistliche Leiterin

Welche Themen werden aus den Kolpings­familien an Sie herangetragen?

Holtkotte: Ich werde oft zu Vorträgen, Einkehrtagen und Gottesdiensten mit Predigt eingeladen. Es geht darum, das Christsein und unser Leben mit dem zu verbinden, was wir als „kolpingspezifisch“ bezeichnen. Also: Wie können wir heute als Christen in dieser Welt leben und diese mitgestalten? Wie kann uns dabei Adolph Kolping Vorbild sein und unser Verband einem dabei helfen?

Walter: Ich werde zu Vorträgen eingeladen, manchmal auch zu einer Predigt. Meistens geht es dabei um das Amt der Geistlichen Leitung. Hierzu gibt es viel Informationsbedarf. Oft geht es dabei auch um ganz praktische Sachen. 

Wird der Bundespräses häufiger eingeladen?

Walter: Mir war von vornherein klar, dass der Bundespräses auch in Zukunft mehr Einladungen bekommt und oftmals immer noch der erste Ansprechpartner bleibt. So etwas ändert sich nicht von heute auf morgen. 

Das klingt ein wenig resignierend.

Walter: Überhaupt nicht. Ich habe damit kein Problem. Das muss erst mal wachsen und bei allen ins Bewusstsein kommen. Wir sind auf diesem Feld tatsächlich Pioniere. Realitätssinn schützt vor Frustration!

Holtkotte: Wir hatten beide von Beginn an die Haltung, dass es ein Prozess ist, der viel Zeit, Geduld und Kraft benötigt. Man kann nicht meinen, dass durch eine Wahl plötzlich alle Schalter umgelegt werden. Es muss wachsen, es muss ankommen – wie alle Dinge im Verband.

Im Werkblatt „Der Pastorale Dienst“ steht: „Präses und Geistliche Leitung tragen gemeinsam Verantwortung für den Pastoralen Dienst. Dies gilt für alle Ebenen des Verbandes.“ Inwieweit hat sich der Pastorale Dienst im Kolpingwerk Deutschland seit 2016 verändert?

Walter: Der Pastorale Dienst steht vor großen Herausforderungen, denn die pastorale Landschaft verändert sich dramatisch. Pastoral im Verband ist zum Gesprächsthema geworden. Uns war immer wichtig, dass wir die Kommunikation zu den anderen Ebenen haben. Etwa durch gemeinsame Veranstaltungen mit den Präsides und Geistlichen Leitungen der Diözesan- und Landesverbände beziehungsweise Regionen – unter anderem beim jährlichen Konveniat, zu dem wir gemeinsam einladen. Da sieht man, dass sich auch die Diözesanverbände dafür einsetzen, auf ihrer Ebene Geistliche Leitungen zu installieren. Es ist schön zu sehen, dass das Amt alleine dadurch, dass es jetzt auf Bundesebene mit Leben gefüllt wird, im Bewusstsein vieler Engagierter und Mitglieder – auch vor Ort in den Kolpingsfamilien – gewachsen ist. 

Holtkotte: Als ich 2012 Bundespräses wurde, hieß das Treffen noch Präsides-Konveniat. Klar, damals trafen sich auch nur die Diözesan- und Landespräsides, und diese sind Priester oder Diakone. Wir haben dann sofort das Wort „Präsides“ aus dem Namen gestrichen, damit deutlich wird, dass dort auch die Geistlichen Leitungen dazugehören. Der Austausch und das Kennenlernen sind sehr wichtig.

"Laien verstehen sich nicht mehr als Zuarbeiter oder als verlängerter Arm der geweihten Amtsträger."
Rosalia Walter, geistliche Leiterin

Wie haben Sie beide in den vergangenen Jahren ansonsten versucht, die Geistliche Leitung als eigenständiges Vorstandsamt bekannter zu machen?

Walter: Mit Beiträgen in Idee & Tat und im Kolpingmagazin haben wir immer wieder für unsere Mitglieder und Engagierten das Amt der Geistlichen Leitung thematisiert. Mit Fachtagungen haben wir Interessierte miteinander vernetzt. In verschiedenen Veranstaltungsformaten findet Ausbildung und Unterstützung statt. Für all unsere Bemühungen gilt das Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir können nicht auf einen Knopf drücken, und dann hat jede Kolpingsfamilie und jede Verbandsebene eine Geistliche Leitung und am besten auch noch einen Präses. Da ist viel Geduld gefragt.

Holtkotte: Es kommt hinzu, dass wir nicht nur auf der Bundesebene aktiv, sondern auch auf Diözesan- und Landesebene beziehungsweise in den Regionen gefragt sind. Unter anderem bei den Ausbildungsmodulen für Geistliche Leitungen, die einen Multiplikatoren-Charakter haben. So wird das Amt immer weiter in den Verband hineingetragen.

Was ist Ihnen zuletzt aufgefallen?

Holtkotte: Eine Kolpingsfamilie hat in ihrem Weihnachtsgruß ein geistliches Wort von Rosalia abgedruckt. Das hat mich sehr gefreut. Durch Gedanken und Texte wird der Mensch mit seinem Amt anfassbarer und realer.

Walter: Mir ist aufgefallen, dass der Austausch untereinander entscheidend ist. Die Geistlichen Leitungen müssen sich getragen fühlen, dann motivieren sie andere, sich auch auf den Weg zu machen. Eine Geistliche Leiterin darf nicht denken, sie sei eine Exotin oder Einzelkämpferin. Es ist natürlich ein ganz anderes Gefühl, zu wissen, dass es noch viele andere gibt.

Holtkotte: Dass Rosalia und ich – gemeinsam mit Michaela Brönner, sie gehört der Bundesleitung der Kolpingjugend an – Mitglieder der Synodalversammlung des Synodalen Weges sind, wird als ein positives Signal wahrgenommen. Wir stehen für ein Miteinander und nicht für ein Gegeneinander oder ein Aneinander vorbei. Mit unseren positiven Erfahrungen bringen wir uns dort ein.

Ihre erste gemeinsame Amtszeit endet mit der Bundesversammlung im November. Wie sieht ihr bisheriges Fazit aus?

Walter: Dass dieses Amt im Verband angekommen ist und Fuß gefasst hat. Jetzt kann es sich weiterentwickeln, und ich denke, dass es weiterwachsen wird.

Holtkotte: Ja, aber es bleibt auch eine wichtige Aufgabe, am Ball zu bleiben.

Walter: Absolut. Das ist garantiert kein Selbstläufer. Denn wir haben in den letzten Jahrzehnten oder Jahrhunderten vergessen, dass Laien aus eigenem Fug und Recht handeln können und nicht nur, weil sie den Auftrag oder die Erlaubnis von „oben“ dazu bekommen haben.

Holtkotte: Ich finde es wichtig, dass wir herausstellen, wie sich Kompetenzen ergänzen. Rosalia hat den Vorsitz im Bundesfachausschuss „Kirche mitgestalten“. Er ist ein bedeutendes spirituelles Element in unserem Verband, dort werden wesentliche Inhalte und Impulse erarbeitet. Sehr wichtig ist aber auch eine andere Entscheidung, die 2016 getroffen wurde.

Nämlich?

Holtkotte: Dass Rosalia damals bewusst auch Mitglied des Bundespräsidiums geworden ist. Zugleich wurde sie zur Vorsitzenden des Deutsche Kolpingsfamilie e.V. (ein Rechtsträger des Kolpingwerkes Deutschland, Anm. d. Red.) gewählt. Das ist wichtig und eine große Stärke unseres Verbandes: Dass auch die pastoral ausgerichteten Menschen für das Ganze stehen und in die Gesamtverantwortung für unseren Verband eingebunden sind. 

"Ich finde es wichtig, dass wir herausstellen, wie sich die Kompetenzen ergänzen."
Josef Holtkotte, Bundespräses

Wie geht es weiter?

Holtkotte: Wir müssen die Möglichkeiten und Eigenständigkeiten, das Positive, das dieses Amt hat, betonen. Es ist ein eigenes Amt mit eigenen beschriebenen Zuständigkeiten und Schnittstellen zum Amt des Präses. Wir sind hier auf einem guten Weg.

Walter: Es ist unser aller Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass das Amt lebendig bleibt und immer mehr Frauen und Männer sich die Geistliche Leitung zutrauen. 

Holtkotte: Schon vor vielen Jahren gab es die ersten Geistlichen Leiterinnen und Leiter auf Ortsebene. Das bedeutet: Das Amt ist aus sich heraus bedeutsam und nicht deshalb, weil es sich an sinkenden Priesterzahlen orientiert hätte. Die kommen jetzt aber auch dazu. In vielen Diözesen werden Gemeinden zusammengelegt. Ein gutes Miteinander von Priestern, Diakonen und Geistlichen Leitungen kann deshalb für die Zukunft der Kirche nur gut sein.

Walter: Da es sich bei Präses und Geistlicher Leitung um zwei eigenständige Ämter handelt, die jedoch gemeinsam ausgeübt werden, ist die Aufgabenverteilung zwischen den Agierenden wichtig. Das Amt bietet Kolpingsfamilien viele neue Möglichkeiten, kreativ zu werden. Das heißt nicht, dass man als Geistliche Leitung die Aufgabe nur hat, weil der Pfarrer keine Zeit hat oder nicht alles selbst tun kann. Das Amt ist kein Notnagel. Nein, es geht um Zusammenarbeit. Gleichberechtigt und im regelmäßigen Austausch. Das ist etwas völlig anderes. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um Kooperation.

Holtkotte: Das heißt natürlich nicht, dass es keine Probleme gibt. Von Kolpingsfamilien werden uns durchaus Situationen beschrieben, in denen es noch kein gutes Zusammenspiel beider Ämter gibt. Aber wir dürfen uns nicht auf den Pfad begeben: Weil es in manchen Fällen nicht geklappt hat, ist der Ansatz falsch. Der Ansatz bleibt richtig.

Walter: In schwierigen Situationen versuchen wir, Mut zu machen. Oft findet sich eine Lösung. Es sind immer Menschen, die handeln. Wo Menschen sind, kann es nun einmal zu schwierigen Situationen kommen. Aber es geht darum, zu verstehen, dass ein Miteinander weiterführt. Der Diskurs ist immer die bessere Lösung, als aufzugeben. 

Das Gespräch führte Marian Hamacher.

Außenansicht: Eine Frage, drei Antworten

Welche Auswirkungen hat die Einführung der Geistlichen Leitung auf Bundesebene auf Ihre Situation vor Ort?

„Dass auf Bundesebene sowohl das Amt der Geistlichen Leitung als auch das des Bundespräses besetzt ist, hat eine große Signalwirkung für den ganzen Verband – insbesondere für die Ortsebene. Es zeigt, dass das eine Amt das andere nicht ausschließen muss und sich im Idealfall sogar sehr gut ergänzen kann.“ 

Antonia Bäumler, Geistliche Leiterin der Kolpingsfamilie Ettenheim

„Gerade für die Kolpingsfamilien, die keinen oder keinen ,mitziehenden‘ Priester mehr vor Ort haben, ist das Amt der Geistlichen Leitung ein echter Segen. Ich weiß, dass hinter mir ein Verband steht, in dem meine Aufgabe und ich gewollt und nicht nur geduldet sind. Dadurch kann ich viel mutiger und selbstbewusster für meine Kolpinger in Greiz da sein.“

Bernhard Wolfrum, Geistlicher Leiter der Kolpingsfamilie Greiz

„Für den Verband sehe ich das Amt als Bereicherung: Ein Präses und die Geistliche Leitung können sich in ihrer Arbeit wunderbar ergänzen. Leider ist diese Veränderung noch nicht überall angekommen. In vielen Kolpingsfamilien geht es nur darum, das Amt des Präses zu besetzen. Eine Geistliche Leitung wird dort meist gar nicht in Betracht gezogen.“

Ulrike Schneider, Geistliche Leiterin des Kolping-Bezirks Rhein-Lahn

Fotos: Barbara Bechtloff, privat