Ausgabe 1-2022 : Februar

Wie viele Sklaven arbeiten für dich?

Wer Sklaverei nur in der Vergangenheit verortet, irrt gewaltig: Noch immer sind überall auf der Welt Zustände zu finden, die zurecht als „moderne Sklaverei“ bezeichnet werden – auch in Deutschland.

Kinder und Jugendliche arbeiten in einer Goldmine in Süd-Kivu, Demokratische Republik Kongo.

Der Tag in der Wüste beginnt um 5.45 Uhr. Morgens. „Meistens müssen wir bis 18.30 Uhr arbeiten, manchmal aber auch bis 20.30 Uhr“, beschreibt der junge Inder die nahezu unerträglichen Arbeitsbedingungen. „Dann kommen wir hierher, essen etwas und legen uns wieder schlafen.“ Seinen Namen möchte er lieber nicht nennen. Offenbar aus Angst vor seinem Arbeitgeber, einem Bauunternehmen. „Viele trinken Alkohol, um das auszuhalten“, erzählt der Arbeiter dem Besucher im blau-weiß-karierten Hemd aus Deutschland: Norbert Blüm. 2015 reiste der mittlerweile verstorbene ehemalige Bundesarbeitsminister, der auch Kolpingmitglied war, für eine „Stern TV“-Reportage fünf Tage durch Katar. Sein Ziel: Sich ein Bild davon zu machen und aufzuzeigen, unter welchen Arbeitsbedingungen die Spielstätten für die diesjährige Fußball-Weltmeisterschaft errichtet werden.

Stern-TV-Reportage mit Norbert Blüm

Doch wieso lassen sich die Arbeitenden das gefallen? Warum kündigen sie nicht und suchen sich in ihrer Heimat eine andere Arbeit? An die zwei Millionen Arbeitsmigrant_innen leben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Katar. Sie kommen aus Indien, Pakistan, Nepal, Ban­gla­desch oder Sri Lanka – und machen etwa 95 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung des Landes aus.
 

Im Jahr 2015 hat der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm in Katar mit Arbeitern gesprochen und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in einer Fernsehdokumentation angeprangert.

Viele kämen in der Hoffnung auf sichere Arbeitsplätze und ein gutes Einkommen nach Katar, teilt HRW mit. Was sie vorfänden, seien jedoch schlechte und zum Teil lebensgefährliche Arbeitsbedingungen und ein Missbrauch bei Lohnzahlungen. Vorangetrieben werde das auch durch betrügerische Anwerbepraktiken. In den Heimatländern der Arbeitnehmer_innen würden mitunter Summen zwischen 700 und 2.600 US-Dollar verlangt, um sich einen vermeintlich gut bezahlten Arbeitsplatz in Katar zu sichern. Um die Anwerbegebühr bezahlen zu können, nähmen einige sogar extra einen Kredit auf – in dem Glauben, ihn mit dem versprochenen Gehalt schnell zurückzahlen zu können. Im Wüstenstaat angekommen, fällt der Lohn aber plötzlich viel geringer aus. Schilderungen, die auch Blüm auf seiner Reise erfuhr. Es ist der Beginn einer Schuldenspirale, die die angeworbenen Arbeitsmigrant_innen in ihren Jobs gefangen hält.

Arbeiter auf einer Baustelle in Katar für die nächste Fußball-WM.

Das Kafala-System

Denn begünstigt wird all das durch das sogenannte Kafala-System. Ein Bürgschaftssystem, das Arbeitnehmende von ihren Arbeitgeber_innen stark abhängig macht. Unter anderem dadurch, dass die Unternehmen die Reisepässe ihrer Angestellten einbehalten. Eine Rückreise oder ein Jobwechsel? Nicht ohne die Zustimmung der Firma. Als „der Sklaverei ähnlich“ bezeichnet Hiba Zayadin, die leitende Golf-Expertin von HRW, daher das Kafala-System. Zwischenzeitlich schien es, als ob der Fokus, der sich wegen der WM auf Katar richtete, Veränderungen angestoßen hätte. Jedenfalls führte die katarische Regierung seit 2017 mehrere Reformen ein, die die Situation von Arbeitsmigrant_innen verbessern sollten. Reformen, die Wolfgang Büttner vom HRW-Deutsch­landbüro in Berlin inzwischen ziemlich kritisch betrachtet. 
 

„Das Kafala-System existiert weiterhin in Katar – auch wenn die katarische Regierung immer wieder sagt, dass es aufgelöst wurde."
Wolfgang Büttner

Es seien lediglich Teile des Kafala-Systems reformiert worden. Anders als noch vor 2017, seien die Ausreise oder der Jobwechsel nun nicht mehr abhängig vom Arbeitgeber, andere Teile des Kafala-Systems existierten aber nach wie vor. „Zum Beispiel ist die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis immer noch an den Arbeitgeber gebunden“, erklärt er. „Das Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer existiert also weiter.“ Hinzu komme, dass sich nicht alle Unternehmen an die Reformen halten. Noch immer würden Reisepässe beschlagnahmt. Noch immer würden teilweise keine Löhne gezahlt. Und noch immer müsse in großer Hitze gearbeitet werden. Oft in Schichten mit bis zu 14 Stunden – wie schon 2015, als Blüm in Katar war. Sieben Tage die Woche. 

Kein Wunder, dass diese lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen viele Arbeitsmigrant_innen das Leben kosten. Anfang des vergangenen Jahres veröffentlichte die britische Zeitung „The Guardian“ Recherchen, nach denen im Zusammenhang mit der WM rund 6.500 Arbeitsmigrant_innen starben.

235 Tote pro WM-Spiel

Ende August 2021 sprach die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem Lagebericht sogar von einer noch höheren Zahl. Sie geht für die Zeit zwischen 2010 – also dem Jahr, als Katar den WM-Zuschlag erhielt – und 2019 von insgesamt 15 021 gestorbenen Arbeitsmigrant_innen aus. Das wären pro WM-Spiel etwa 235 Tote. „Wenn relativ junge und gesunde Männer nach vielen Arbeitsstunden in extremer Hitze plötzlich sterben, wirft dies ernste Fragen über die Arbeitsbedingungen in Katar auf“, sagt Katja Müller-Fahlbusch, die bei Amnesty International Deutschland Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika ist. Umfassend untersucht worden seien alle Todesfälle von der katarischen Regierung aber nicht. Etwa 70 Prozent der Todesfälle seien nicht aufgeklärt worden. „Wer in den Stadien jubelt, sollte sich daran erinnern, wie sie zustande gekommen sind“, sagte Blüm 2015 im „Stern TV“-Beitrag. Die Kritik Blüms an den sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen dürften sich Fußball-Fans in wenigen Monaten erneut in Erinnerung rufen – wenn der Ball rollt.

Moderne Sklaverei

Tatsächlich wird der Begriff „Sklaverei“ auch heute noch verwendet. Nun allerdings mit dem Attribut „modern“. Die Bundeszentrale für politische Bildung nennt dafür zwei Gründe: Erstens ist Sklaverei weltweit geächtet und rechtlich abgeschafft. Historisch betrachtet leben wir erst seit kurzer Zeit ohne die rechtliche Institution „Sklaverei“. Die Verwendung des Begriffs „modern“ berücksichtigt dies. Zweitens existiert Sklaverei de facto noch immer – ist aber im Gegensatz zu früher illegal. Heute werden für das Versklaven von Menschen moderne Infrastrukturen genutzt. Doch dahinter liegen alte Strukturen: Menschen müssen körperlich hart arbeiten, ihre Arbeit wird sozial geringgeschätzt, und Sklaverei ist wie in vergangenen Zeiten auch heute ein äußerst lukratives Geschäft.

In Ihrem Migrationsbericht 2021 gehen die Malteser ausführlich auf das Thema „moderne Sklaverei ein“. Sie beziehen sich dabei auch auf den sogenannten Global Slavery Index. Dieser Index unterteilt die heutige Erscheinung in drei Formen: Menschenhandel, Sklaverei und Zwangsarbeit. Beim Menschenhandel wird der Wille von Menschen so gebrochen oder manipuliert, dass sie von anderen Menschen, Gruppierungen, Organisationen ausgebeutet werden können. Bei der Sklaverei verfügen andere Menschen über die Betroffenen wie über ihr Eigentum. Sie bringen sie in Schuldknechtschaft, Zwangsheirat oder in andere freiheitsberaubende Verhältnisse und beuten sie für ihre Zwecke aus. Bei der Zwangsarbeit, werden Menschen zu einer Arbeit gezwungen – unter massivem psychischem Druck, körperlicher Gewalt und der Androhung von Strafen.

Laut dem Global Slavery Index 2018 (siehe Grafik) waren im Jahr 2016 40 Millionen Menschen von moderner Sklaverei betroffen. 15 Millionen waren zwangsverheiratet, 25 Millionen waren Zwangsarbeiter_innen. Mit 71 Prozent waren überwiegend Frauen von moderner Sklaverei betroffen.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht davon aus, dass im Jahr 2016 alleine in Europa und in Zentralasien 3,6 Millionen Menschen in Formen moderner Sklaverei lebten, der überwiegende Teil davon in Zwangsarbeit. Der Global Slavery Index hat Deutschland im Jahr 2018 auf Platz 39 von 50 in Europa und Zentralasien eingestuft, mit rund 167.000 Menschen in moderner Sklaverei. Ähnlich hohe Zahlen weist der Index auch für andere europäische Länder aus.

Die Situation in Deutschland

Das Bundeskriminalamt (BKA) weist in seinem jährlichen „Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung“ aktuelle Fallzahlen für verschiedene Formen von Menschenhandel aus. Beim Menschenhandel ist davon auszugehen, dass das Dunkelfeld beträchtlich ist, denn: Menschenhandel findet im Verborgenen statt, und ohne Kontrollen bleiben Straftaten vielfach unentdeckt. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Menschenhandel ist 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent auf 465 Fälle gestiegen. Davon entfiel der größte Teil auf den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung (291 Verfahren). Die Anzahl der Verfahren im Zusammenhang mit der Ausbeutung Minderjähriger ist um 58 Prozent auf 193 gestiegen. Bei den Verfahren zur Arbeitsausbeutung ist ein Anstieg von 57 Prozent auf 22 Verfahren zu verzeichnen. Dabei ist die Baubranche am stärksten betroffen. Einen starken Anstieg gab es auch in der Landwirtschaft und in Schlachtbetrieben. Diese rückten im Jahr 2020 in den Blick der Öffentlichkeit, als es in beengten Unterkünften zu Corona-Massenausbrüchen kam.

Auch bei der Arbeitsausbeutung ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Opfer erstatten oft keine Anzeige, da ihr Aufenthaltsstatus unsicher ist, sie der Sprache nicht mächtig sind oder in einem Abhängigkeitsverhältnis leben und deswegen Angst haben. Viele werden unterhalb des Mindestlohns bezahlt.

Auffällig sind laut dem BKA-Bericht die starken Zuwachsraten bei minderjährigen Ausbeutungsopfern sowie bei sexuellen Missbrauchshandlungen zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen. Sexuelle Handlungen würden verstärkt über Internetplattformen angebahnt. Die mit der Corona-Pandemie einhergegangenen Kontaktbeschränkungen könnten dies begünstigt haben, da sowohl Opfer als auch Täter häufiger zu Hause waren.

Aktion Schutzengel: So unterstützt missio sexuell ausgebeutete Kinder und Jugendliche

Sexueller Missbrauch im Internet

Im Rahmen einer Online-Konferenz im vergangenen Jahr haben das Katholische Missionswerk missio und verschiedene Expert_innen über Formen der Sklaverei im 21. Jahrhundert gesprochen, Hintergründe aufgezeigt und entschlossene Maßnahmen vor allem gegen Online-Missbrauch gefordert. missio Aachen hat die Petition „Meine Stimme gegen sexuellen Online-Missbrauch!“ gestartet, die auch vom Kolpingwerk Deutschland unterstützt wird (siehe unten). Drei Forderungen stellen missio und alle Unterzeichnenden hier an die Politik, wie missio-Präsident Dirk Bingener im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert: „Erstens braucht es mehr Verpflichtungen für die großen Plattformen, dass sie gegen Missbrauchsdarstellungen vorgehen und diese melden. Zweitens braucht es mehr Zeit für die Ermittlungsbehörden durch längere Datenspeicherung: Die Daten müssen mindestens drei Monate gespeichert werden, um vernünftig ermitteln zu können. Und drittens mehr Personal, konkret mehr Ermittelnde beim Bundeskriminalamt im Bereich des Online-Missbrauchs.“

Pater Shay Cullen, Gründer des Kinderhilfsprojektes PREDA, das Opfern von sexueller Gewalt auf den Philippinen aufnimmt und betreut. Das Bordell, vor dem er steht, wurde mit seiner Hilfe geschlossen.

Pater Shay Cullen, Gründer der Stiftung PREDA auf den Philippinen, berichtet vom sogenannten „Cyber-Grooming“. Die Stiftung ist Anlaufstelle für sexuell ausgebeutete Kinder und Jugendliche. Beim Cyber-Grooming nehmen Erwachsene im Internet gezielt Kontakt zu Minderjährigen bzw. jungen Volljährigen auf, um sie online sexuell zu missbrauchen. Die Täter leiten zu ihrer Befriedigung die Kinder und Jugendlichen online zu sexuellen Handlungen an. 82 Prozent der Missbrauchstaten würden über das Internet begangen, berichtet der Kinderrechtsaktivist: „Meist geben sich die Täter als hilfsbereite junge Leute aus, bahnen Beziehungen an und fragen irgendwann beiläufig nach Nacktfotos oder Videos, die dann zur Erpressung benutzt werden.“ Oft führe dies später auch zu realer sexualisierter Gewalt. Es komme dann auch oft zu Suiziden, wenn Kinder erpresst und sich aus Scham niemandem anvertrauen würden.

In einem Traumazentrum von PREDA werden die Kinder psychosozial betreut. „Kinder können bei uns im Therapiezentrum ihre Wut, ihren Hass rauslassen“, sagt Cullen. „Wir machen die Kinder stark; viele können dann später auch bei der Polizei und vor Gericht aussagen. So konnten wir auch schon deutsche Männer vor Gericht bringen, die dann auch verurteilt wurden.“

Cullen übt scharfe Kritik an den großen Internet-Plattformen: „Moderne Technik bis hin zu Künstlicher Intelligenz könnten helfen, problematische Inhalte zu blockieren und Täter zu überführen, aber da passiert viel zu wenig“, sagt er.

Opfer sexueller Gewalt in einer Schreitherapie des Kinderhilfsprojektes PREDA. Sie ist eine von vielen therapeutischen Ansätzen, um den Kindern zu helfen, ihre traumatischen Erfahrungen zu bewältigen. Missio unterstützt das Projekt und die Arbeit von Pater Shay Cullen.

Wie viele Sklaven arbeiten für dich?

Aber moderne Sklaverei findet nicht nur in Verbindung mit Kinderprostitution und sexueller Ausbeutung statt. Auch alltägliches Konsumverhalten verursacht oft am Anfang der Lieferkette die Ausbeutung von Menschen. Auf der Website slaveryfootprint.org kann man seinen persönlichen „Sklaverei-Fußabdruck“ ermitteln. Nach Beantwortung vieler Fragen zu seinem Konsum erfährt man, wie viele Sklaven man für sich arbeiten lässt. Die beiden Autoren dieses Beitrages haben die Daten zu ihrem Lebenswandel eingegeben, und sie waren erschrocken über das Ergebnis: 39 beziehungsweise 30 Sklaven arbeiten demnach für sie. Der eigene Konsum ist oft, ohne dass es einem bewusst ist, verbunden mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und mit Gewalt gegen Arbeiter_innen: Smartphones enthalten Konfliktmineralien aus dem Kongo, für unser billiges Obst und Gemüse schuften angeheuerte Geflüchtete auf Feldern und Plantagen weltweit – sogar in Europa. Die skandalösen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und die Zustände in unmenschlichen Unterkünften sind mittlerweile bekannt, Textilien selbst von renommierten Marken werden in Billiglohnländern produziert. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Die Probleme sind ganz nah

In der spanischen Provinz Almería (Andalusien) liegt die größte Anbaufläche mit Gewächshäusern weltweit. Vor allem Deutschland wird auch im Winter mit frischem Gemüse wie Gurken und Tomaten versorgt und ist für die Agrarindustrie in Almería der wichtigste Absatzmarkt in Europa. Arbeitende bekommen oft keinen Vertrag, inoffizielle Beschäftigungsverhältnisse werden von staatlicher Seite geduldet oder sogar begünstigt. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, dass Arbeitskräfte ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Spanien erst nachweisen müssen, dass sie sich bereits seit drei Jahren im Land aufhalten und sich (zumindest formal) durch den Besuch von Sprachkursen oder auch die Mitgliedschaft in Vereinen inte­griert haben. Vor allem aber müssten sie ein Angebot für einen Arbeitsvertrag vorweisen können. In der Realität bedeutet dies, dass sie mindestens drei Jahre illegal arbeiten und versuchen müssen, einen Arbeitgeber zu finden, der ihnen ein legales Arbeitsverhältnis mit einer angemessenen Entlohnung anbietet. In der Illegalität gibt es keine Arbeiterrechte, die Entlohnung ist äußerst schlecht, nicht bezahlte Überstunden sind die Regel. Und weil viele illegale Arbeitskräfte Angst haben, ihren Job zu verlieren, wehren sich nur sehr wenige dagegen. Gleichzeitig üben die Großabnehmer erheblichen Druck aus und fordern niedrige Erzeugerpreise, damit sie in Deutschland und in anderen Ländern Europas die Ware billig anbieten können. Vereinfacht gesagt: Die niedrigen Preise unserer Tomaten gehen also auf Kosten der Arbeiter_innen auf den Gemüsefarmen.

Billiges Gemüse in deutschen Supermärkten wird oft von unterbezahlten Arbeitskräften geerntet.

Was können wir tun?

Die Zusammenhänge sind komplex. Deshalb erscheint es oft schwierig als Einzelne_r etwas bewirken zu können. Doch es gibt Möglichkeiten. Und auch viele einzelne kleine Schritte können auf Dauer eine große Bewegung auslösen und eine Wirkung entfalten.

Beispiel Gewalt und Ausbeutung in der Demokratischen Republik Kongo: Innerhalb von dreieinhalb Jahren haben zahlreiche Kolpingsfamilien und Mitglieder sich an der Handyspendenaktion von missio und Kolping beteiligt und bereits über 70.000 Handys gespendet. So werden Rohstoffe geschont und der Rohstoffabbau in illegalen Minen wird weniger interessant. Die an der Handyaktion teilnehmende Kolpingsfamilien haben sich und andere über den Zusammenhang von Handys mit der Gewalt gegen Minenarbeiter_innen informiert und so ein Bewusstsein für Zwangsarbeit als Fluchtursache geschaffen. Das Kolpingwerk Deutschland und missio haben zudem ergänzend Unterrichtsmaterial für Schulen erarbeitet, das über die Zusammenhänge unseres Konsums und Fluchtursachen informiert.

Kritischer Konsum und Lieferkettengesetz

Beispiel kritischer Konsum: Mittlerweile sind fair gehandelte Produkte sehr weit verbreitet. Anerkannte Labels wie das Fairtrade- und das GEPA-Siegel geben Orientierung beim Einkauf. 2019 wurde das deutsche Textilsiegel Grüner Knopf eingeführt, das nach und nach von Bekleidungsfirmen und dem Handel übernommen wird. Ziel dieses Labels ist es, Sozialstandards und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Textilunternehmen weltweit zu etablieren und Katastrophen in der Textilindustrie zu verhindern, bei denen in der Vergangenheit viele Menschen gestorben sind.

Beispiel Lieferkettengesetz: Brennende Fabriken mit vielen Toten, ausbeuterische Kinderarbeit, zerstörte Regenwälder, massive Umweltverschmutzung – immer wieder sind Unternehmen in ihren Lieferketten mitverantwortlich an Schäden, die Menschen und der Umwelt zugefügt werden. Im Juni 2021 hat der Bundestag nach langem Ringen das sogenannte Lieferkettengesetz beschlossen, das 2023 in Kraft tritt. Danach müssen große deutsche Unternehmen nach einem gestuften Verfahren auf die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ausländischen Zulieferern achten. Ansonsten drohen Bußgelder.

Das Kolpingwerk Deutschland und Kolping International sind Mitglieder dieses Bündnisses. Der Bundessekretär des Kolpingwerkes Deutschland, Ulrich Vollmer, lobte damals die Verabschiedung als Schritt für mehr Menschenrechte und Umweltschutz in den Lieferketten. Erstmalig nehme ein Gesetz Unternehmen mit internationalen Produktionswegen hierzu in die Pflicht. Und Markus Demele, Generalsekretär von Kolping International, wertete das Gesetz als einen Etappenerfolg. Beide sehen aber auch einen erheblichen Nachbesserungsbedarf – zum Beispiel bei der zivilrechtlichen Haftung und dem gesetzlichen Schutz von Klima und Biodiversität. Man sei deshalb noch nicht am Ziel, sondern erst am Start. Jetzt fordert die Initiative ein starkes Europäisches Lieferkettengesetz, mit dem die Europäische Union alle Unternehmen konsequent auf Menschenrechts- und Umweltstandards verpflichtet.

Partnerschaften und Bündnisse

Beispiel Kooperationen: Um gegen alle Formen der Ausbeutung von Menschen vorzugehen, sind starke Kooperationen unerlässlich. Davon ist auch Albrecht von Boeselager, der Großkanzler des Malteserordens, überzeugt. Der Orden wird sich bei der für Mitte Februar geplanten Münchner Sicherheitskonferenz mit einer Podiumsdiskussion stark machen für die Themen Migration, Sicherheit, moderne Sklaverei und Menschenhandel. Der Großkanzler wird das Podium moderieren und mit Expertinnen und Experten aus Politik und der Praxis aktuelle Entwicklungen erörtern.

Zu den Beweggründen des Malteserordens sagt von Boeselager: „Der Malteserorden engagiert sich entschieden im Kampf gegen den Menschenhandel. Seine Botschafter für die Überwachung und Bekämpfung des Menschenhandels beteiligen sich aktiv an der Sensibilisierung der internationalen Gemeinschaft. Die Malteser stärken Partnerschaften mit lokalen Organisationen, die sich seit langem der Bekämpfung des Menschenhandels widmen, indem sie kurzfristig Veranstaltungen organisieren und damit in die Öffentlichkeit gehen und den Opfern Schutz bieten.“ Von Boeselager betont darüber hinaus, dass es notwendig sei, Synergien, Partnerschaften und Bündnisse zwischen verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen zu verstärken: Zwischen regionalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft – einschließlich religiöser Gemeinschaften. Diese Maßnahmen seien dringend erforderlich, um Verstöße zu verhindern, Opfer zu schützen, die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen und Forschungsergebnisse und Erfahrungen auszutauschen.

Es ist wahrlich eine Herkulesaufgabe, Sklaverei im 21. Jahrhundert zu beseitigen. Doch wenn sich Menschen auf allen Ebenen – von großen Organisationen bis hin zu Einzelpersonen – engagieren und ihre Stimme erheben, kann zumindest der Weg in die richtige Richtung bereitet werden.

Vor der WM: Worauf Fußball-Fans jetzt achten sollten
Darf man als Fußball-Anhänger die anstehende WM guten Gewissens verfolgen? Im exklusiven Interview spricht Wolfgang Büttner von Human Rights Watch unter anderem darüber, wie sich Anhänger, die die Spiele verfolgen möchten, verhalten sollten, was er vom DFB fordert und worauf jetzt noch Einfluss genommen werden kann: www.kolpingmagazin.de/im-fokus/es-ist-wichtig-dass-die-fans-noch-einmal-druck-erzeugen

Petition: „Meine Stimme gegen sexuellen Online-Missbrauch“
Moderne Sklaverei hat viele Gesichter. Eine der perfidesten Formen ist die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen im Internet. Darauf macht das Katholische Missionswerk missio aufmerksam. Missio fordert von der Bundesregierung eine klare Priorität für den Kindesschutz im Internet. Eine Petition soll dieser Forderung Nachdruck verleihen. Sie kann hier unterzeichnet werden: www.missio-hilft.de/schutzengel-petition

Fotos: Hans Lucas und Steven Wassenaar/picture alliance, Andreas Gebert/picture alliance, dpa, Missio/Bettina Flitner, Marian Hamacher