Ausgabe 1-2022 : Februar

... wenn man trotzdem lacht

2020 zeigte der Karnevals-Virus dem Corona-Virus auf dem Düsseldorfer Rosenmontagszug noch eine lange Nase. Inzwischen hat die Pandemie das jecke Brauchtum ordentlich durcheinander gewirbelt. Getroffen hat das deutschlandweit viele Kolpingsfamilien, die im Karneval aktiv sind. Eine Spurensuche.

Die Scheinwerfer tauchen die aufgemalte Skyline-Kulisse in hellblaues Licht: Die Hohenzollernbrücke, die Kranhäuser – und natürlich den Dom. Alles, was das Kölner Karnevals-Herz braucht, um sofort fröhlich im Rhythmus
des „Trömmelche“ zu schlagen. Die Bühne ist also bereitet. Hier im Gürzenich, im Zentrum der Kölner Altstadt. Heute, Anfang Januar, ist der große Saal der historischen Festhalle für die feierliche Inthronisation des Dreigestirns geschmückt. Prinz, Bauer und Jungfrau übernehmen die Regentschaft der Jecken. Prinzenproklamation nennen das die Karnevalisten in der Domstadt. Oder kurz: PriPro.

Jürgen B. Hausmann wird an diesem PriPro-Abend, an dem zumindest auf den ersten Blick alles wie immer wirkt, als der letzte Künstler auf die Bühne treten. Er hat kurze graue Haare, trägt eine Brille und zum blauen Hemd mit Krawatte eine beige Schürze, auf der „Hausmann“ eingestickt ist. Sein Markenzeichen. „Kölle Alaaf“, ruft der 57-Jährige zur Begrüßung und breitet die Arme aus, als würde er jeden einzelnen und jede einzelne im Saal umarmen wollen. Theoretisch könnte er es sogar. Knapp 1.300 Zuschauer_innen würden in den größten der fünf Säle des Gürzenich passen. Und eigentlich wäre er auch prall gefüllt mit kostümierten, feierwilligen Jecken. Doch im dritten Corona-Jahr bleibt es bei der Möglichkeitsform. Vor der Bühne stehen mit einigem Abstand ein paar wenige Männer in weiß-roten und grün-gelben Karnevals-Uniformen. Ganz hinten im Saal sitzen noch einmal knapp 20 Menschen. Das war‘s. Mehr Publikum gibt‘s nicht. Abgesehen von der Band und den Kameraleuten des WDR, die die Sitzung aufzeichnen.

Mit der Kolping-Narrenkappe in der Bütt: Die von der Alsdorfer Kolpingsfamilie gegründete Prinzengarde hatte großen Anteil daran, dass der Kabarettist und Büttenredner Jürgen Beckers Kolpingmitglied wurde.

„Trotzdem Alaaf. Jetzt erst recht Alaaf“, setzt Jürgen B. Hausmann erneut an. „Ja, wir Karnevalisten dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Wir müssen positiv denken – gerade, wenn wir negativ sind“, beginnt er seine etwa zehnminütige Büttenrede. „Und ich muss ehrlich sagen: So schlimm finde ich das hier heute gar nicht. Ich habe um diese Uhrzeit mit mehr Leuten schon schlechtere Stimmung erlebt.“ Gelächter. Applaus. Tusch.

Ganz ernst gemeint ist das natürlich nicht, gesagt hat es die Bühnenfigur Jürgen B. Hausmann. Wenn sie die Schürze abnimmt, spricht der Künstler Jürgen Beckers – und der weiß genau, dass da mit dem Publikum gerade ein wichtiges Teil im bunten Karnevals-Puzzle fehlt. Ihm selbst fehlt. „In so einem riesigen Saal sind so wenige Zuschauer natürlich so gut wie nichts“, sagt er einige Tage später im Gespräch mit dem Kolpingmagazin. „Es hat sich für mich weniger wie eine Karnevalssitzung, sondern mehr wie eine Art Studioaufnahme angefühlt, und daran bin ich ja schon gewöhnt. Als Profi tut man einfach so, als würden vor einem Leute sitzen. Man kriegt ja auch einen Lacher vom Band und Beifall. Das hilft.“

Stets eine Symbiose

Wäre Karneval eine Sportliga, würde Beckers wohl jährlich in der Champions League mitspielen. 2006 gelang ihm der Sprung aus dem Großraum Aachen auf die Kölner Karnevals-Bühnen. Der Durchbruch. Drei Jahre lang arbeitete er danach noch weiter mit einer halben Stelle als Lehrer für Geschichte, Latein und Griechisch. Schule und Karneval seien für ihn eigentlich immer eine Symbiose gewesen, erzählt Beckers. Am Gymnasium hielt er mit elf Jahren erstmals die Büttenrede im Namen der Schüler, später dann die der Lehrer. „Erst waren also die Mitschüler das Publikum, später die Schüler. Wenn man als Lehrer Anekdötchen vorträgt, kommt das natürlich gut an.“ 

Seit 2009 hört die ausschließlich noch Publikum, das freiwillig vor ihm sitzt. Auf nordrhein-westfälischen Bühnen ist er in der Session hauptberuflich als Büttenredner und außerhalb mit einem eigenen Kabarettprogramm zu sehen. Allein in der närrischen Zeit absolviert er an die 100 Auftritte. „Aktuell sind es wegen Corona nur zehn bis 15“, erzählt Beckers, der als Jürgen B. Hausmann auftritt, um nicht mit dem ebenfalls im Rheinland bestens bekannten Kabarettisten Jürgen Becker („Mitternachtsspitzen“) verwechselt zu werden.

„Das Lachen aus heiterem Herzen ist mehr wert, als die längste und schärfste Predigt.“
Adolph Kolping

Anteil daran, dass Beckers auf den Karnevals-Bühnen Karriere machen konnte, hatte auch Kolping. Genauer gesagt, die Kolpingsfamilie in Alsdorf – Beckers Heimatsstadt. Um im Karneval des Orts nahe der niederländischen und belgischen Grenze noch stärker engagiert zu sein, gründete die Kolpingsfamilie 1950 die „Prinzengarde Alsdorf“. Deren Sitzungen erfreuten sich bald regen Zulaufs. An die 1.000 Zuschauende kamen jeweils zu den sieben Aufführungen. „Die hatten spätestens seit den 70er Jahren Fernsehniveau“, schwärmt Beckers. 1979 saß er selbst in den Zuschauerreihen und war ziemlich begeistert von dem, was er auf der Bühne sah. 1998 stand er schließlich selbst dort oben. Dieser Auftritt sei so etwas wie eine Initialzündung gewesen, erinnert er sich. Der Anstoß, doch häufiger als Büttenredner aufzutreten. Es folgten Engagements in der näheren Umgebung, die 2005 zum ersten Fernsehauftritt führten: beim „Orden wider den tierischen Ernst“.

Die Sitzungen der Alsdorfer Prinzengarde sind für das Kolpingmitglied natürlich auch weiterhin fester Bestandteil seines Tour-Kalenders. Als er als Jugendlicher noch Zuschauer war, hatte er vom Gesellenvater noch nicht viel gehört. „Weil ich an einer katholischen Schule war, wusste ich zwar ansatzweise, wer Adolph Kolping war, aber der ganze handwerkliche Aspekt ist mir damals fremd gewesen, das kannte ich ja nicht“, erinnert sich Beckers. „Die soziale Ausrichtung habe ich dann erst über den Karneval kennengelernt.“ Bei Kolpingveranstaltungen aktiv ist er daher vor allem im Karneval, aber auch, wenn politische Veranstaltungen stattfinden. Etwa bei Podiumsdiskussionen vor Wahlen.

Regelmäßige Fernsehauftritte

Natürlich ist die Alsdorfer Kolpingsfamilie nicht die einzige, die sich im Karneval engagiert. Wie viele solcher Kolping-Karnevalsvereine es gibt, ist im Bundessekretariat des Kolpingwerkes Deutschland nicht bekannt. Fest steht nur: Es sind einige. Und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Weit über die Grenzen Frankens hinaus hat sich beispielsweise die „Schwarze Elf“ einen Namen gemacht. Eine Untergruppe der Kolpingsfamilie Schweinfurt. Der Auftritt ihrer Turn- und Sportgruppe vor 15.000 Teilnehmenden beim Kolpingtag 2015 in der Kölner Lanxess-Arena ist auch sechs Jahre später noch eines der beliebtesten Videos auf dem YouTube-Kanal des Kolpingwerkes. Fernsehauftritte haben Mitwirkende der Schwarzen Elf zudem regelmäßig bei der Prunksitzung „Fastnacht in Franken“ – der erfolgreichsten Sendung im BR-Fernsehen.

Die Schwarze Elf beim Kolpingtag 2015

Wie sehr sie Fasching lebt, beweist die Schwarze Elf alljährlich bei ihren Sitzungen in der Schweinfurter Stadthalle. „Wir haben normalerweise neun Sitzungen an drei Wochenenden mit jeweils etwas mehr als 600 Gästen pro Veranstaltung“, erzählt Gesellschaftspräsidentin Martina Schlereth, die auch stellvertretende Vorsitzende des Diözesanverbands Würzburg ist. Aus den neun Sitzungen wurden in der Corona-Pandemie zunächst sieben. Unter 2G+-Bedingungen durften zuletzt 150 Besucher_innen in die Stadthalle – 25 Prozent der Kapazität. „Die Gäste, die da waren, haben richtig gute Stimmung verbreitet“, sagt Schlereth. „Man hat ihnen schon angemerkt, dass sie für drei, vier Stunden eine Abwechslung zum Corona-Alltag genießen. Wir sind froh, dass wir es trotz der ganzen Auflagen gewagt haben.“

Denn nicht vielen Karnevals- beziehungsweise Faschingsvereinen war es in dieser Session vergönnt, die fünfte Jahreszeit in einer Sitzung vor Publikum zu feiern. Nachdem sie 2021 einen Live-Stream im Internet gewagt hatte, sagte die Prinzengarde Alsdorf ihre Sitzungen für dieses Jahr ab. 

Ob die Teilnehmenden des Düsseldorfer Rosenmontagszugs 2020 schon ahnten, dass bald düstere Karnevals-Zeiten anstehen werden?

Karneval an Havel und Spree

Auch gut 600 Kilometer östlich von Beckers Heimat ist man derzeit zur jecken Untätigkeit verdammt. Im Berliner Stadtteil Spandau kostümieren sich die „Karnevalsfreunde St. Marien 1978“ seit dem Gründungsjahr alle zwölf Monate aufs Neue nach einem bestimmten Motto. „Nacht in Venedig“, „Theaterball“ oder „Wikinger“. „Darauf ist dann auch die Dekoration ausgerichtet“, erklärt Georg Michaelis, der stellvertretende Vorsitzende der Kolpingsfamilie Berlin-Spandau. Eigentlich werde in der Hauptstadt Fasching gefeiert, bei den Karnevalsfreunden hingegen Karneval. „Das liegt an meinem Vater“, sagt Michaelis. „Er war in den 70er Jahren hier in Berlin Mitglied in einer rheinischen Karnevalsgesellschaft und hatte dann irgendwann die Idee, das über Kolping in die Gemeinde zu tragen. Das war dann wie ein Selbstläufer.“ Jedes Jahr gab es eine große Mottofeier vor bis zu 200 Gästen im Gemeindehaus. Bis der Corona-Virus den Karnevals-Virus das Fürchten lehrte. 

Seit den 1990er Jahren gehört Georg Michaelis (auf dem Foto zusammen mit seiner Freundin Martina Gutsmann) zum Leitungsteam, das die jährliche Sitzung der „Karnevalsfreunde St. Marien“ in Berlin-Spandau vorbereitet. Auf der Bühne steht er bereits seit 1982.

Auch für dieses Jahr gab es schon ein Motto „Es lebe der Spo(r)t(t)“. Doch wie schon 2021 machte Corona ihm auch in diesem Jahr einen Strich durch die Rechnung. „Um zu zeigen, dass es uns noch gibt, sind wir letztes Jahr am Sonntag vor Rosenmontag mit rosafarbenen FFP2-Masken zur Messe gegangen und unser Tanzmariechen hat eine fröhliche Ansprache gehalten“, sagt Michaelis. „Jeder hat dann einen corona-konform eingepackten Pfannkuchen mit einem aufmunternden Sprüchlein darauf bekommen.“ So etwas in der Art werde es vermutlich auch diesmal wieder geben.

Große Bandbreite

Doch woran liegt es, dass deutschlandweit so viele Kolpingsfamilien entsprechende Untergruppierungen haben oder wie in Berlin den Karneval in die Gemeinde tragen? Einer, der es wissen könnte, hat sein Büro im zweiten Stock des Bundessekretariates des Kolpingwerkes Deutschland. „Teilweise ist es ja so, dass die Kolpingsfamilie eine Heimat für sämtliche Arten von weiteren Mitgliedschaften bietet“, erklärt Nikolaus Bönsch, der Teamleiter des Mitgliederservice – selbst begeisterter Karnevalist. „So haben sich in manchen Städten und Gemeinden dann eine Abteilung Fastnacht, eine Abteilung Schützenverein und Ähnliches gegründet“. In größeren Städten sei oftmals dann nur noch die Karnevals-Abteilung übriggeblieben. „Je weiter man sich in ländliche Regionen bewegt, wo nicht soviel durch andere Vereine angeboten wird, desto vielfältiger ist das Angebot der Kolpingsfamilien“, weiß Bönsch.

„Handwerkskunst und Narrenzunft“ hieß am 22. Februar 2020 das Motto der Berliner „Karnevalsfreunde St. Marien“. Es sollte ihre letzte Sitzung werden, ehe sich die Corona-Pandemie ausbreitete.

Georg Michaelis vermisst es, die Karnevalssitzungen für seine Spandauer Gemeinde vorzubereiten. Vor allem die Treffen des Kernteams von fünf bis sieben Leuten. „Da werden zum Teil Witze gemacht, die es zu Recht niemals auf die Bühne schaffen“, sagt er schmunzelnd. „Aber das sind schon sehr lustige Momente.“ Solche Momente zu schaffen, ist womöglich aber genau das, was gerade in der Pandemie wichtig wäre. Zumindest kurzfristig könne Lachen in der Corona-Krise gegen die aufkommenden Sorgen wie Einsamkeit oder die Angst um den Arbeitsplatz helfen, meint der Berliner Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger. „Wir brauchen den Humor besonders dann, wenn wir nicht in der Lage sind, Dinge zu ändern“, sagt er in einem Interview mit der dpa. Humor könne dabei helfen, Ohnmacht zu überwinden und ein Gefühl innerer Freiheit zu schenken. „Humor ist eine Lebenseinstellung, nämlich, dass ich einen gewissen Abstand habe zu den Dingen, die mich ärgern könnten.“

Im Glauben verankertes Brauchtum

Diesen Abstand möchte auch Jürgen Beckers möglichst bald wieder mehr Menschen schenken. Hat die Pandemie den Humor in den vergangenen zwei Jahren womöglich verändert? Beckers überlegt kurz. „Ich glaube, das gilt für alle Ausnahmesituationen“, sagt er dann. „Das galt ja auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Damals habe man sich umso mehr gefreut, wieder feiern zu dürfen, als es möglich war. „Dann ist man umso dankbarer und weiß erst zu schätzen, was ja sonst Routine ist“, vermutet der Büttenredner. „Karneval ist ja keine Comedy, sondern ein im Glauben verankertes Brauchtum. Das zeigt sich jetzt umso mehr.“

Gerade der Karneval, wie er bei Kolping gefeiert werde, sei ein sehr hochwertiger, qualitativer. „Es ist ein sehr sauberer, ein urtümlicher, dem Brauchtum verpflichteter Karneval“, findet Beckers. „Also nichts in Richtung Mallorca oder Party. Keine Zoten, nichts unter der Gürtellinie. Da wird der ursprüngliche Gedanke von Karneval gelebt. Das erlebe ich immer wieder.“


Fotos: Marian Hamacher, Joachim Badorek, Fraency Jung, Tamara Ehresmann, Mohammed Alorabi/unsplash