Ausgabe 4-2021 : Oktober

Wegweiser und Wegbegleiter

Weihbischof Josef Holtkotte blickt im Interview zurück auf erlebnisreiche Jahre.

Er kennt das Kolpingwerk seit früher Jugend und übernahm 2012 von Ottmar Dillenburg das Amt des Bundespräses. Zuvor war Josef Holtkotte bereits Präses der Kolpingsfamilie in Verl und acht Jahre lang Diözesanpräses im Erzbistum Paderborn. In diesen Jahren hat er das Kolpingwerk Deutschland und die Spiritualität im Verband mit seinen geistlichen Impulsen geprägt und Weichen für die weitere Entwicklung der pastoralen Arbeit im Verband gestellt. Nun geht er vom Rhein zurück an die Quellen der Pader, um Weihbischof zu werden – für die Redaktion Anlass genug, um gemeinsam mit ihm Rückblick auf erlebnisreiche Jahre zu halten.

Lieber Herr Weihbischof, als Sie 2012 zum Bundespräses gewählt wurden, hatten Sie bereits Erfahrungen als Präses einer Kolpingsfamilie und als Diözesanpräses. Wie haben Sie damals die Berufung zum Bundespräses erlebt? 

Holtkotte: Ich war damals seit sieben Jahren als Pfarrer der Innenstadtgemeinde St. Jodokus in Bielefeld und als Studierendenseelsorger tätig. Ich war dort sehr gerne. In beiden Aufgaben bekam ich auch gut mit, was in Gesellschaft und Kirche auf der Agenda stand – auch bei jungen Menschen. Zudem hatten wir gerade Kirche und Kloster renoviert, und ich war gerade wieder im normalen Alltag angekommen, als die für mich sehr reizvolle Anfrage kam, ob ich mir vorstellen könnte, Bundespräses zu werden. Ich war deshalb ein bisschen hin- und hergerissen. Letztendlich war für mich dann die enge Verbundenheit im Verband, die Gemeinschaft mit engagierten Männern und Frauen, Kindern und Jugendlichen ausschlaggebend, mich zur Wahl zu stellen.

Mit welchen Erwartungen und Zielen sind Sie in Ihr Amt gestartet? War Ihnen klar, welche Schwerpunkte Sie setzen möchten?

Holtkotte: Ich hatte von Kindesbeinen an und auch als Präses auf Gemeinde- und Diözesanebene sehr positiv erlebt, dass die Gemeinschaft die persönliche Glaubensüberzeugung stärkt. Menschen Mut zu machen, nach den eigenen Charismen zu suchen, aus dem Glauben heraus zu leben, das ist die Stärke, die ein Verband hat. Dies alles zu vertiefen - darin habe ich eine wichtige Aufgabe gesehen.

Neben der Gremienarbeit hatten Sie viel mit den Kolpingsfamilien vor Ort zu tun, die eine große Bedeutung haben, weil sie die Basis für den gesamten Verband bilden. Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Kolpingsfamilien: Sind in der Zusammenarbeit Beziehungen entstanden?

Holtkotte: Ich war unglaublich viel unterwegs: in den Diözesanverbänden, in unzähligen Kolpingsfamilien, bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Das war anstrengend, hat mir aber wirklich viel Freude gemacht, weil das immer mit einer intensiven seelsorgerlichen Aufgabe verbunden war: in Gottesdienst und Predigt, bei Einkehrtagen und Vorträgen. Und ich habe immer positive Erfahrung mit engagierten Kolpingschwestern und Kolpingbrüdern vor Ort gemacht – in ihrer Art Gottesdienst vorzubereiten, für eine Sache einzustehen, Wertschätzung untereinander weiterzugeben, mit großem Ideenreichtum und mit großer Fürsorge Besuchsdienst für die Alten und Kranken zu organisieren, die Bedürfnisse von Menschen in ihrem Umfeld zu sehen und zu helfen. Aber eben auch ihr Engagement in der Vorbereitung von Gottesdiensten und die Diskussionskultur, bei der man sich auch über problematische Themen austauschen kann. Das hat mich selber auch bereichert. Das hat mich selber im Glauben bestärkt und mir das Gefühl gegeben, in einer großen Gemeinschaft miteinander unterwegs zu sein.

Bundespräses Josef Holtkotte segnete 2019 beim Bikertreffen in Castrop-Rauxel, Frohlinde die Helme der Kolping-Biker.

In den Kolpingsfamilien übernehmen – wie in der Kirche insgesamt – Laien eine immer größere Verantwortung auch für geistliche und pastorale Dinge. Sie haben stark daraufhin gewirkt, dass das Amt der geistlichen Leitung auf allen Ebenen des Verbandes – auch auf Bundesebene – eingeführt wird und haben es maßgeblich ausgestaltet. Was hat sie dazu veranlasst?

Holtkotte: Ich habe die Laien nie als eine Konkurrenz betrachtet und nie den Eindruck gehabt, dass sie mir etwas nehmen. Die Zusammenarbeit beispielsweise im Bundesvorstand habe ich immer völlig problemfrei erlebt. Natürlich gibt es Aufgaben des Priesters, die mit seinem Weiheamt verbunden sind. Das kann man benennen, ohne gleich damit die Rolle der Laien abzuwerten. In meiner Zeit als Diözesanpräses zeichnete sich langsam ab, dass wir einen massiven Rückgang an Priestern haben werden. Da war es wichtig und wertvoll, die vielen Frauen und Männer, die sich engagieren, in ihren geistlichen Qualitäten und in ihren Charismen zu fördern – und zwar um ihrer selbst willen und nicht erst dann, wenn sie aus Not gefragt werden müssen. Eine Frau oder ein Mann, die eine Ausbildung zur geistlichen Leitung gemacht haben, sollen nicht denken: Ich mach das hier, weil sonst keiner mehr da ist und weil es nicht mehr anders geht. Wir dürfen Priester und Laien nicht gegeneinander ausspielen: Eine Kolpingsfamilie kann einen Präses und eine geistliche Leitung haben. Das ist das Ideal. Sie kann aber auch das eine oder das andere haben. Der Präses hat als Priester oder Diakon so viele andere Aufgaben, dass er froh sein kann, mit einer geistlichen Leitung unterwegs zu sein. Ich habe im Diözesanverband Paderborn damit nur positive Erfahrung gemacht: Der große Pool von Männern und Frauen, die sich einbringen, hat dazu geführt, dass Gemeinden merkten, das ist eine gute Entwicklung, die gar nicht unsere Priester in Frage stellt, sondern die deutlich macht: Wir wollen miteinander Kirche sein. Jeder in seiner Kompetenz kann sich entsprechend einbringen. Als Bundespräses wollte ich dies weiter stärken: Es ist für die Zukunft wichtig, dass wir das Amt der Geistlichen Leitung stringent weiter und zu Ende denken, damit es sich auf allen verbandlichen Ebenen weiter etabliert. Dabei hat sehr geholfen, dass Rosalia Walter, unsere Geistliche Leiterin auf Bundesebene, und ich uns auch einfach gut verstanden haben. Sich verstehen heißt ja nicht, dass man immer gleicher Meinung sein muss und nie miteinander diskutieren darf. Es kommt darauf an, wie man das tut, welche gemeinsamen Ziele man verfolgt, wie man miteinander kommuniziert und wie man sich gegenseitig ernst nimmt. Das ist mit Rosalia, das muss ich einfach ganz groß unterstreichen, immer so gewesen. Wir haben wirklich ein vertrauensvolles Verhältnis, und ich glaube, das hat auch dieses Miteinander gestärkt. Ich hoffe und wünsche mir, dass das in guter Weise weitergeht. Nur im Austausch und im guten Miteinander werden wir weiterkommen. Die Menschen spüren das.

Rosalia Walter, Geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland, und Bundespräses Josef Holtkotte.

Das berührt jetzt sehr unmittelbar die Fragen, die beim Synodalen Weg diskutiert werden. Sie waren dort Vertreter des Kolpingwerkes. Wie wird der Verband wahrgenommen, und welchen Beitrag kann er für die Entwicklung der Kirche leisten?

Holtkotte: Ich glaube, dass es beim Synodalen Weg Menschen gibt, die es sehr zu schätzen wissen, wenn wir unsere Vorstellungen (von einem gelebten und praktizierten Miteinander zwischen Laien und Priestern) einbringen. Es gibt immer auch andere, die das nicht so wahrnehmen. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, ob wir über unsere eigene verbandliche Praxis oder über das Kirchenrecht einer weltweiten Institution reden. Aber das darf man nicht als „Totschlag-Argument“ verwenden. Wichtig ist deshalb, wie Kolping sich in die Diskussionen beim Synodalen Weg einbringt. Wir haben uns nicht hingestellt und gesagt: Wir sagen euch jetzt mal, wie das alles funktionieren kann. Das ist nicht unsere Art, und das ist nicht der richtige Weg. Gleichwohl beschreiben wir, wie das Miteinander bei uns gelingt. Das kann in unserer gesamtkirchlichen Situation sehr hilfreich sein. Und das wird auch von anderen wahrgenommen.

Die Vertretenden des Kolpingwerkes beim Synodalen Weg (v.l.n.r.): Josef Holtkotte, die Bundesleiterin der Kolpingjugend Michaela Brönner und die Geistliche Leiterin Rosalia Walter.

Was waren die wichtigsten Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Holtkotte: Mir war und ist wichtig, wie ich die Idee von Kolping in Felder des gesellschaftlichen und politischen Lebens hineintransportiere. Das hat sich zum Teil aus meiner Rolle als Repräsentant des Kolpingwerkes ergeben. Ich will vermitteln, wofür ich stehe, und damit auch letztlich die Idee rüberbringen, was Kolping ist und welche Positionen wir als katholischer Verband vertreten. Das ist vielleicht nicht im klassischen Sinne ein Schwerpunkt, aber es ist eine wichtige Aufgabe zu vermitteln, was unser Anspruch ist, und wie wir unseren Glauben im Alltag leben. Auch bei Begegnungen mit vielen Menschen, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung tragen, habe ich die Gelegenheit genutzt und ihnen von unserem generationenübergreifenden Verband, unserem Bildungswerk, dem Jugendwohnen und vielem mehr erzählt. Auf diese Weise die guten Ideen von Kolping zu transportieren, das verstehe ich auch unter einer Glaubenshaltung, die im Alltag spürbar wird. Diese Möglichkeit soll man nicht verschenken. Das kann ein jeder, der sich mit Kolping oder der Kirche verbunden fühlt, aber man muss es eben auch tun.

Adolph Kolping

Da sind wir dann direkt auch bei dem Wirken Adolph Kolpings selber. Welche Bedeutung hat Kolping für Sie, und was begeistert Sie an Kolping?

Holtkotte: Der Mensch und Priester Adolph Kolping hat mir zu allen Lebensphasen etwas zu sagen gehabt. Es liegt, wie ich glaube, daran, dass er wirklich die Gabe hatte, Menschen – und die Handwerksgesellen zu seiner Zeit waren sicherlich keine einfache Gruppe – zu sammeln, indem er sie ernst nahm. Deswegen habe ich immer bei unserem Bemühen um die Heiligsprechung gesagt: Es geht nicht darum, ihn auf ein Podest zu stellen und ihn dadurch zu entrücken, sondern ihn noch mehr zu den Menschen zu holen, in unserer Welt, wie sie ist, und zu sagen: Kolping passt 100-prozentig in all die Herausforderungen, die wir sehen, besser geht's eigentlich nicht – mit seinem Menschenbild, mit seinem Gottesbild, mit seinem Angebot, mit seinen Werten. Deshalb habe ich ihn in allen meinen Lebensphasen als Wegweiser und Wegbegleiter empfunden. Seine Haltung zu den Menschen war seine Stärke und sie macht ihn hochmodern. Wie er mit Menschen agierte, sie sammelte und sich für sie einsetzte, das muss uns erst mal gelingen in unserer Zeit.

Sternenklar 2018 in Frankfurt am Main.

Es waren ja gerade junge Menschen, für die sich Kolping eingesetzt hat. Die Kolpingjugend hat heute eine starke Stimme im Verband. Wie haben sie die Zusammenarbeit mit der Kolpingjugend erlebt?

Holtkotte: Die Zusammenarbeit habe ich als sehr unproblematisch, herzlich und wohlwollend erlebt. Ich habe an vielen Versammlungen teilgenommen und auch häufig Gottesdienst mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefeiert. Dabei hatte ich immer den Eindruck, dass das Miteinander gut gewesen ist, und dass sie sich mit ihren Themen wiedergefunden haben. Kolping ist ein generationsübergreifender Verband, in dem wir miteinander und füreinander verantwortlich sind. Es ist doch eine große Chance, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Das macht für mich eine Stärke des Verbandes aus. Wir ringen manchmal um Positionen und erkennen so andere Aspekte, die man in seiner eigenen Wahrnehmung so unter Umständen gar nicht gehabt hätte. Ein generationsübergreifender Verband stärkt auch insgesamt ein Miteinander von Kirche und Gesellschaft, wie man es sich ja nur wünschen kann. Denn wir erleben, dass Segmente in Kirche und Gesellschaft auseinanderzubrechen drohen. Ich habe mich bemüht, bei der Kolpingjugend so zu sein, wie ich auch wirklich bin. Das ist mir auch insgesamt als Priester wichtig gewesen: Ich bin doch nicht dann Priester, wenn ich eine Rolle spiele, sondern ich muss doch als der Mensch Josef Holtkotte Priester oder Präses sein.

Kolpingtag 2015

Hat Sie denn auch die Zeit, die Sie in verantwortlicher Position bei Kolping tätig waren, verändert? Und was nehmen Sie von Kolping mit in das neue Amt als Weihbischof?

Holtkotte: Gute eigene Überzeugungen wurden durch das erlebte Miteinander und Handeln im Verband gestärkt. Dabei habe ich mich immer als ein Lernender verstanden. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder auch neue Themen gesetzt, die andere Sichtweisen ermöglichten. Das hat bereichert, weil eine Vielfalt deutlich wurde, die häufig auch neue Ideen hervorbrachte. Die Art des hörenden Austauschs, die Beteiligung von Menschen, wie ich das zum Beispiel beim Zukunftsprozess erlebt habe, werde ich mitnehmen ins neue Amt. Ich werde darüber hinaus viel mitnehmen von der positiven Erfahrung der Begegnung mit unzähligen Frauen und Männern, die sich im Ehrenamt und im Hauptamt für die gemeinsame gute Sache einsetzen. Im Miteinander eine Glaubens- und Weggemeinschaft zu sein, ist auch etwas, das mich geprägt hat. 

Am 26. September 2021 ist Bundespräses Josef Holtkotte zum Weihbischof geweiht worden.

Sie haben das Amt nun neun Jahre bekleidet. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Holtkotte: Ich sehe auf der einen Seite, dass der Verband für Kontinuität steht, weil er aus einem bestimmten Kontext und bestimmten Werten heraus versucht, weiterzugehen. Gleichzeitig freue ich mich, dass es dem Verband auch gelingt, in den ganzen gesellschaftlichen Veränderungen gute Antworten zu geben. Bei uns wird nicht einfach gesagt, wir machen es genauso, wie wir es immer gemacht haben, sondern wir haben die Stärke nachzudenken, was uns an Zielen, Aufgaben, Schwerpunkten und Inhalten wichtig ist, und wie wir das für die Zukunft weiterentwickeln können. Wir sind natürlich in die gesamten Veränderungsprozesse von Kirche und Gesellschaft eingebunden. Wichtig ist, dass wir uns nicht abschotten, sondern einer Wagenburgmentalität entgegenwirken. Wir bei Kolping handeln aus unserer Verortung in der katholischen Kirche und tiefen Überzeugungen und bleiben trotzdem einladend und offen. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir als Bundesverband Orientierung geben in Feldern zum Beispiel von Ethik und von Werten sowie im Diskurs mit Gesellschaft, Kirche und Politik, dass es einen Orientierungsrahmen gibt, an dem sich die Kolpingsfamilien und -mitglieder ausrichten können.