Ausgabe 4-2021 : Oktober

Eine Frage der Gerechtigkeit

Sprache ist lebendig. Sie ist vielfältig und kreativ. Sie erzeugt Bilder, schafft Bewusstsein und knüpft Beziehungen. Eine verantwortungsvolle Anwendung tut Not.

Als mit Elisabeth Schwarzhaupt 1961 erstmals eine Frau Mitglied des Bundeskabinetts wurde, war es für Bundeskanzler Konrad Adenauer noch selbstverständlich, sie als „Frau Minister“ anzureden. Und als sie gegen die Begrüßung der Kabinettsrunde mit „Morjen, meine Herren“ protestierte, soll „der Alte“, wie berichtet wird, lakonisch geantwortet haben: „In diesem Kreis sind auch sie ein Herr“. 44 Jahre später wurde Angela Merkel die Anrede in der weiblichen Form „Frau Bundeskanzlerin“ nicht mehr verweigert, als sie ihren Amtseid als Regierungschefin ablegte. Dieser Verzicht auf das „generische Maskulinum“ – also auf die Verwendung einer männlichen Bezeichnung für ein Amt oder eine Personengruppe, die alle Geschlechter miteinschließt – war das Ergebnis eines fundamentalen Wandels im Bewusstsein der Nation. Er war begleitet von zahlreichen Maßnahmen und Gesetzesänderungen, um durchzusetzen, dass die Geschlechter gleichberechtigt sind. Das sah das Grundgesetz zwar bereits 1949 vor – als abgeschlossen kann dieser Prozess aber auch im Jahr 2021 noch nicht gelten.

Unterschied von Sex und Gender

Die Anekdote aus dem politischen Leben der frühen Bundesrepublik zeigt anschaulich, dass das Verhältnis der Geschlechter zueinander nicht allein von dem biologischen Geschlecht, sondern auch von Rollen­erwartungen an ein „typisches“ Verhalten von Mann und Frau bestimmt ist. Die Geschlechter­forschung hat dafür die Unter­scheidung von „Sex“ und „Gender“ eingeführt. Während der Begriff „Sex“ auf biologische Gegebenheiten verweist, steht „Gender“ für das soziale Geschlecht. Es geht dabei um soziale Zuschreibungen, die Geschlechtsidentitäten bedingen, das Verhältnis von Mann und Frau prägen und so auch zu einer strukturellen Hierarchisierung von Geschlechtern beitragen. Offenbar war in der Ära Adenauer eine Frau in der Ministerriege so undenkbar, dass sie der Bundeskanzler kurzerhand für männlich erklärte, um sie aus der geschlechtsbedingten Unterordnung zu befreien. Und die Auflehnung von Elisabeth Schwarzhaupt, die damals ungewöhnlich war, wurde mittlerweile zu einem breiten gesellschaftlichen Phänomen: Menschen wehren sich dagegen, von anderen sozial zugeordnet zu werden. 
 

Elke Spörkel ist transident: Sie konnte sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das aufgrund der äußeren Merkmale nach der Geburt eingetragen wurde. Mehr über Elke Spörkel erfährst Du in unserer "Im Fokus"-Reportage "Irgendwo dazwischen"

Mehr als nur zwei Geschlechter

Dieses Phänomen hat nicht nur soziale, sondern auch biologische Ursachen. Denn neue humanwissenschaftliche Erkenntnisse haben gezeigt, dass das binäre Geschlechtsmodell – also die traditionelle Beschränkung der Geschlechter auf Mann und Frau, die beispielsweise auch ganz maßgeblich die kirchliche Sexuallehre bestimmt – nicht der biologischen Wirklichkeit entspricht. Der Mensch und seine Geschlechtlichkeit sind sowohl genetisch als auch hormonell vielfältiger. Deshalb kommt es sowohl in biologischer als auch in soziologischer Hinsicht vor, dass einzelne Menschen nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter „männlich“ oder „weiblich“ zugeordnet werden wollen oder können. Man spricht hier von Intersexualität. Der Gesetzgeber hat dafür 2018 „divers“ als zusätzliche Geschlechtsbezeichnung eingeführt. Seither darf zur geschlechtsneutralen Gestaltung von Stellenanzeigen das sogenannte dritte Geschlecht nicht übergangen werden.

Der Gesetzgeber war zu diesem Schritt verpflichtet, weil ein Staat, der die Würde jedes Individuums für unantastbar erklärt, Menschen nicht benachteiligen darf, die von tradierten Rollenbildern abweichen. Und auch das Kolpingwerk Deutschland, das als katholischer Sozialverband in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes sieht, sollte diesen Menschen mit derselben Wertschätzung begegnen, wie allen anderen auch. Dies betrifft sowohl das Denken als auch das Handeln. Und da beides maßgeblich von der Sprache bestimmt wird, hat sich der Bundesvorstand des Kolpingwerkes Deutschland zum Ziel gesetzt, im Verband einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch in Wort und Bild zu etablieren, der Ausdruck von Gleichberechtigung und von einer wertschätzenden, integrativen, sozialen und offenen Haltung gegenüber allen Menschen ist.

Dieses berechtigte Anliegen einer geschlechtersensiblen Sprache ist auf gesellschaftlicher Ebene in der gegenwärtig kontroversen und oft auch stark ideologisch geführten Diskussion um das „Gendern“ in den Hintergrund gedrängt worden. Während die einen nach dem Vorbild der englischen Sprache die Abschaffung aller Geschlechter verlangen, verteufeln die anderen das Gendern als „elitär, undemokratisch und übergriffig“. Sonderzeichen wie Genderstern, Unterstrich und Doppelpunkt erhalten dabei eine Bedeutung, die dem Anliegen unangemessen ist. Denn in den meisten Fällen lassen sie sich umgehen (s. Kasten). 

Bewusstseinswandel aktiv gestalten

Der Bundesvorstand des Kolpingwerkes lädt alle Mitglieder ein, sich mit der Bereitschaft zu Dialog sowie mit Mut und Offenheit gemeinsam auf den Weg zu mehr Geschlechtersensibilität und -gerechtigkeit zu machen. Einen entsprechenden Orientierungsbeschluss hat der Bundesvorstand unter dem Titel „Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild“ der Bundesversammlung zur Kenntnis gegeben. 

Letztendlich ist es das höchste Anliegen jeglicher Sprache, verständlich zu sein. Deshalb behält für die Redaktion des Kolpingmagazins die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Texte oberste Priorität.

Gendern leicht gemacht

So kann man das generische Maskulinum geschlechtersensibel umgehen:  

  • geschlechtsneutrale Formulierungen (z.B. „Feuerwehrleute“, „Lehrkräfte“),
  • substantivierte Partizipien (z.B. „Mitarbeitende“ statt „Mitarbeiter“),
  • syntaktische Lösungen (z.B. „Es haben 25 Personen teilgenommen“ statt „Es gab 25 Teilnehmer“)
  • alternative Formulierungen („alle, die“ statt „jeder, der“)
  • Verben oder Adjektive statt Substantive verwenden (z.B. „ärztlicher Rat“ statt Rat eines Arztes“)
  • direkte Anrede („Bitte melden Sie sich an“ statt „Besucher müssen sich anmelden“)
  • Relativsätze („Wer Fahrrad fährt, sollte einen Helm tragen“ statt „Fahrradfahrer sollten einen Helm tragen“)
  • Doppelnennungen, die auch Rollenklischees durchbrechen können  (z.B. „Bürgerinnen und Bürger“ oder „Friseure und Ingenieurinnen“; Aber Achtung: Doppelnennungen schließen „divers“ aus!)
  • Sonderzeichen als Alternative und in Fällen, in denen eine Umformulierung nicht möglich ist, etwa Doppelpunkt (z.B. „Wähler:innen“), Genderstern (z.B. „Wähler*innen“) oder Unterstrich (z.B. „Wähler_innen“).

Illustrationen: Maria Zalfen-Lenz, OpenClipart-Vectors/Pixabay 

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