Ausgabe 3-2020 : Juli

Die Corona-Pandemie zeigt die gesellschaftliche Ungleichheit

Wer bleibt jetzt und in Zukunft im Regen stehen? Die Verbreitung des Corona-Virus trifft Menschen weltweit und verdeutlicht, wie ungleich Risiken verteilt sind. Aus dem Bundessekretariat des Kolpingwerkes Deutschland veröffentlichen wir hier Stimmen zu den Folgen dieser Krise.

Ein Vorwort von Ulrich Vollmer

Als Adolph Kolping im 19. Jahrhundert Vokämpfer für die sozialen Fragen wurde, nahm er die Verelendung der wandernden Gesellen – die sicherlich zu den unterprivilegierten Schichten der damaligen Gesellschaft gehörten – in den Blick. Gesellschaftliche und kirchlichen Veränderungen dieser Zeit verlangten die Perspektive zu weiten, um den sich abzeichnenden Herausforderungen zu begegnen. Seit einigen Jahren erleben wir erneut starke Umbrüche in Gesellschaft und Kirche, Wirtschaft und Politik. Globalisierung, Digitalisierung und der demografische Wandel sind prägende und schleichende Ursachen dieses Umbruchs. Einen epochalen Einschnitt hingegen stellt die aktuelle Corona-Pandemie dar, deren Folgen globale, europäische sowie nationale Herausforderungen mit sich bringen.

Ulrich Vollmer, Bundessekretär des Kolpingwerkes Deutschland

Unsere Gesellschaft befindet sich bereits seit mehreren Monaten in einem Zustand, der für alle mit großen Veränderungen einhergeht. Familien, Betriebe und Unternehmen, Vereine und Verbände sowie Kirchen und Religionsgemeinschaften müssen sich einer neuen Realität stellen. Zuvor nicht mehr wahrgenommene innereuropäische Grenzen wurden wieder sichtbar; weltweites Reisen eingestellt. Sogar der persönliche Kontakt zwischen Freunden und Verwandten war über viele Wochen eingeschränkt, ganz zu schweigen von der individuellen Bewegungsfreiheit.

Viele Folgen sind noch unvorhersehbar, manche zeichnen sich bereits ab: die soziale und wirtschaftliche Not wird wohl ebenso zunehmen, wie die Anzahl an isolierten und in Abhängigkeit geratenen Menschen. Als Adolph Kolping den Blick auf Menschengruppen in solch schwierigen Lagen richtete, gab er mit seinem Wirken Antwort auf die Nöte seiner Zeit.

Diese Nöte mögen je nach Blickwinkel und gesellschaftlicher Gruppierung einen unterschiedlichen Schwerpunkt haben. Auf den folgenden Seiten positionieren sich sechs Referenten und Referentinnen aus dem Bundessekretariat des Kolpingwerkes zu den notwendigen Veränderungen aus ihrer jeweiligen Fachreferats-Perspektive.

Elisabeth Adolf, Bundesjugendsekretärin, zeigt auf, dass die Corona-Pandemie Kinder und Jugendliche vor Herausforderungen stellt. Michael Hermes, Referent für Familie und Generationen findet, dass ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik längst überfällig sei. Aus dem Referat Gesellschaftspolitik weist Victor Feiler auf die ungleiche Risikoverteilung in der Gesellschaft hin und fordert eine „Solidarität aller mit allen“. Die Referentin des Kolping-Netzwerkes für Geflüchtete, Desirée Rudolf, plädiert für einheitliche Standards bei der Unterbringung von Geflüchteten. Alexander Suchomsky, Referent für Arbeitswelt und Soziales, erkennt die Notwendigkeit eines sozialeren Europas in Zeiten von Corona. Und Torben Schön, Referent Jugendberufshilfe und Handwerk, sieht in der Krise auch die Chance, berufliche Perspektiven für junge Menschen zu schaffen. Die Beiträge zeigen, dass es nach der Pandemie mutiges Handeln und neue Prioritäten braucht. Unsere gegenseitige Abhängigkeit und die generationsübergreifende Verantwortung verdeutlichen, dass teils ein Umdenken notwendig ist. Dabei ist die Orientierung an der katholischen Soziallehre nach wie vor wegweisend und zielführend: Als Christen sind wir gefordert, angesichts von Krisen zu reagieren, selbst dann, wenn diese uns im Augenblick nicht persönlich zu berühren scheinen!

Junge Menschen nicht aus dem Blick verlieren

Eine Stellungnahme von

  • Elisabeth
    Adolf

Die Corona-Pandemie hat uns unerwartet getroffen. Niemand war darauf vorbereitet. Auch für die Politiker/innen war und ist es eine große Herausforderung, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen und zwischen der Einschränkung von Grundrechten einerseits und dem Schutz von Gesundheit und Leben andererseits abzuwägen.

Doch neben den wirtschaftlichen Entscheidungen gerät der Blick auf junge Menschen oftmals in den Hintergrund. Es kommt das Gefühl auf, junge Menschen steckten diese Krise und ihre Konsequenzen leicht weg. Aber gerade im Jugendalter macht man starke Entwicklungen und Veränderungen durch, im Zuge derer es wichtig ist, im Austausch mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu sein, Angebote wahrzunehmen und Hobbys zu haben. Gerade in diesem Alter sind Eltern nicht unbedingt die ersten Ansprechpartner für Probleme und Sorgen.

Nun aber sind Schulen und Anlaufstellen geschlossen. Ferienprogramme werden abgesagt. Es gibt nur wenige Alternativen. Diese Entscheidung war im ersten Schritt durchaus richtig und wichtig. Die Gesundheit der Allgemeinheit geht vor!

Genauso wichtig ist es aber, dass junge Menschen in der Zeit nach und auch schon jetzt in der Zeit, in der die Corona-Pandemie noch den Alltag prägt, aufgefangen werden. Dass ihnen Wege und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie die Krise verarbeiten können.

Viele Kinder und Jugendliche erleben Gewalt in Familien, jetzt noch mehr als zuvor. Die Schere zwischen arm und reich, der Unterschied zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Familien wird noch größer. Deshalb ist es wichtig, dass auch jetzt mit Corona die jungen Menschen stärker in den Blick genommen werden und sie an Entscheidungen beteiligt werden. Schulen und Schüler/innen müssen auf besondere Situationen vorbereitet werden und dafür ausgestattet sein. Die Pandemie zeigt uns ganz klar, wo die Probleme liegen. Diese müssen jetzt angepackt und dürfen nicht nur halbherzig gelöst werden, um durch die Krise zu kommen.

Eine Beobachtung des Bildungsforschers Andreas Schleicher zum Nachdenken: „Es gibt die Technik des 21. Jahrhunderts, es gibt pädagogische Konzepte aus dem 20. Jahrhundert und ein Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert."

Ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik ist überfällig

Eine Stellungnahme von

  • Michael
    Hermes

Wie unter einem Brennglas treten durch die Ausbreitung des Corona-Virus und die damit einhergehenden Beschränkungen Problemfelder deutlich zu Tage. Fehlentwicklungen werden sichtbar, die seit Jahrzehnten schleichend vorangeschritten sind. Dies trifft auch auf die Familienpolitik in der Bundesrepublik zu.

Auch wenn noch so häufig von „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ gesprochen wird, trifft auf die Familienpolitik eher Gegenteiliges zu. Im Familienreport 2017 heißt es: „Familienpolitik ist Wachstumspolitik“. Dokumentiert wird eine enge Verbindung zwischen Familien- und Wirtschaftspolitik. Das mit der Einführung des Elterngeldes vertretene Leitbild sieht vor, dass Mütter zunächst ihre Erwerbstätigkeit (meist für ein Jahr) unterbrechen und anschließend Väter (deutlich kürzer) von der Erwerbstätigkeit pausieren. Mit dem Ziel, dass viele Mütter im Vergleich zu Zeiten des Erziehungsgeldes früher wieder einer Berufstätigkeit nachgehen, geht auch der Ausbau der Kindertagesbetreuungsplätze einher. Nicht zuletzt mündete dies in einem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Die Funktion von Familie bezieht sich innerhalb dieser Perspektive ausschließlich darauf, Kinder hervorzubringen und als Eltern möglichst zeitnah dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung zu stehen. Dies empfinde ich als zu einseitig. Ich erwarte von allen Ministerien, Politik in der Sache ihrer jeweiligen Zuständigkeit zu betreiben und miteinander ausgleichend politische Initiativen zu entwickeln. Das Gegenteil ist der Fall, wenn Familie und „Wachstumspolitik“ für die Wirtschaft zusammengedacht werden. Bedingt durch die Corona-Krise wird das zum Problem: Eine Arbeitsteilung in den Bereichen Betreuung und Bildung zwischen Bildungsinstitutionen und Erziehenden war nicht mehr möglich. Für viele Eltern waren Berufstätigkeit, Homeoffice, Kurzarbeit, Sorge um Arbeitslosigkeit und zugleich Betreuung, Erziehung und Pflege familiärer Alltag und in der Praxis kaum zu leisten. Ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik ist also längst überfällig. Ich unterstütze die Forderung des Kolpingwerkes Deutschland nach einer Familienpolitik, die sich nicht ausschließlich an den Interessen der Wirtschaft, sondern derer der Familien orientiert. Es braucht mehr Anerkennung für die sogenannten sorgenden Tätigkeiten. Dazu sind die auf Bundesebene vorgebrachten Vorschläge eines „atmenden Lebenslaufes“ bzw. eines sogenannten „Carezeit-Budgets“ ernsthaft auf ihre Umsetzbarkeit hin zu überprüfen.

Corona-Pandemie zeigt die gesellschaftlichen Ungleichheiten

Eine Stellungnahme von

  • Victor
    Feiler

Die Corona-Pandemie verdeutlicht, dass Chancen und Risiken in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind. Dadurch werden Ungerechtigkeiten fortgeschrieben. Risiken haben wir bisher vorwiegend personifiziert betrachtet. Die Corona-Pandemie zeigt hingegen die kollektive Dimension eines Risikos.

So lässt sich zum einen beobachten, dass Risiko- und Gefahrenvermeidung nicht mehr nur garantiert ist durch eigenverantwortliches Verhalten. Unsere Gesundheit ist abhängig vom Verhalten anderer! Die Corona-Pandemie macht klar: Wir leben in einer weltweiten gegenseitigen Abhängigkeit; das heißt etwas, das was weit weg passiert, kann negative Auswirkungen auf uns selbst haben. Das Elend der anderen trifft auch uns. Das gilt nicht nur für Krankheiten, sondern auch für die Wirtschaft, die Ökologie usw.

Corona ist risikoethisch betrachtet anders als zum Beispiel Aids. Bei Aids konnte jeder sich selbst erfolgreich schützen, indem er das Risiko der Ansteckung meidet. Das funktioniert bei Corona nicht mehr: Der Einzelne wird auch durch das Fehlverhalten anderer gefährdet. Die kollektive Wirkung der Corona-Pandemie zeigt die politischen und sozialen Systemfehler, die die auseinanderlaufende Schere zwischen Arm und Reich noch vergrößert. Grund hierfür ist die Ungleichverteilung von Risiken und ihren Folgen.

Risiken sind nicht nur zwischen Generationen und Milieus ungleich verteilt, sondern auch zwischen Angehörigen derselben sozialen Gruppen, Familien, Berufen etc. Es gibt Privilegierte und Nichtprivilegierte bei der Corona-Pandemie. Es gibt Menschen, die tragen das ganze Risiko bis zur Existenzvernichtung alleine, andere hingegen sind von den Folgen der Pandemie nicht betroffen. Wir werden angesichts der ungleichen und ungerechten Risikogefährdung und ihrer Folgen Solidarität neu buchstabieren müssen.

Die Logik unseres Sozialstaates vergrößert Ungleichheiten. Folgen von neuartigen Kollektivrisiken müssen daher gemeinsam und nicht nur alleine von einer bestimmten Klientel getragen werden. Die Corona-Pandemie lehrt uns eine neue Losung für den Sozialstaat: „Solidarität aller mit allen“. In der Konsequenz muss die ungleiche Risikoverteilung aufgehoben werden, wenn nicht, wird sich die strukturell bedingte Spaltung der Gesellschaft weiter fortsetzen. Und zwar exponentiell wie bei einer Pandemie!

Es braucht bessere Standards für Flüchtlingsunterkünfte

Eine Stellungnahme von

  • Desirée
    Rudolf

Die prekäre Situation von Geflüchteten in den griechischen Flüchtlingslagern, an der türkischen Grenze und in anderen Ländern mit großen Flüchtlingslagern wurde in den Medien häufig thematisiert. Aber auch in deutschen Flüchtlingsunterkünften gibt es Verbesserungsbedarf.

Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass die Situation von Geflüchteten in vielen, insbesondere größeren Gemeinschaftsunterkünften unzumutbar ist. In den meisten Unterkünften konnten weder die Hygiene- noch die Abstandsregelungen eingehalten werden, so dass sich das Virus schnell ausbreiten konnte und als Folge meist alle Bewohner/innen unter Quarantäne gestellt wurden. Es leben viele Menschen auf engstem Raum zusammen: Sie kommen aus verschiedenen Ländern, sprechen unterschiedliche Sprachen, haben verschiedene kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Bildungsgrade und haben zusätzlich oftmals traumatische Erfahrungen gemacht. Unter diesen Umständen müssen Schlaf- und Gemeinschaftsräume, Sanitäranlagen und Küche miteinander geteilt werden. Es gibt kaum Privatsphäre für die Einzelnen. Sie stehen unter einem inneren und äußeren Druck. Die Enge, Fremdbestimmung, ungewisse Lebensperspektiven und die Angst vor Abschiebungen können zu psychischen Belastungen, Konflikten und Gewalt führen. Doch gerade Menschen, denen in ihren Heimatländern oder auf der Flucht traumatische Erlebnisse widerfahren sind, benötigen einen sicheren Rückzugsort, bedürfnisgerechte Unterstützung und Schutz vor weiteren Übergriffen.

Darüber hinaus führen Sammelunterkünfte zu Stigmatisierung, Ab- und Ausgrenzung. Die Menschen, die dort leben, werden häufig von der lokalen Bevölkerung aufgrund ihrer großen Zahl und unzureichender Begegnungsmöglichkeiten als anonyme Masse, zum Teil sogar als Bedrohung, wahrgenommen. Solidarität gegenüber Geflüchteten sowie deren Integration wird dadurch erheblich erschwert.

Es braucht langfristig bessere und bundesweit einheitliche Standards für die Unterbringung von Geflüchteten, so dass Hygieneregelungen, Privatsphäre, ein sicherer Rückzugsort und bedürfnisgerechte Unterstützung gewährleistet werden können. Es muss von Anfang an Begegnungsmöglichkeiten zwischen Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung geben, um Abgrenzung und Stigmatisierung entgegenzuwirken und Integration zu fördern.

Die Corona-Pandemie zeigt: Jetzt ist gemeinsames Handeln gefragt

Eine Stellungnahme von

  • Alexander
    Suchomsky

In den zurückliegenden Wochen wird in ganz Europa von „Wiederaufbau“ gesprochen. Denn mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist jedes Mitgliedsland der Europäischen Union schwer getroffen. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung innerhalb der EU noch tiefer fallen wird als infolge der Finanzkrise 2008/09. Damals folgte kurze Zeit später die Euro-Krise, durch die sowohl Glaubwürdigkeit als auch Stabilität des Euros in Gefahr gerieten.

Um ein weiteres Auseinanderklaffen von wirtschaftlich starken und schwachen Ländern in der EU zu vermeiden, braucht es nun wie zur Zeit der Euro-Krise ein gemeinsames Handeln. In Deutschland zeichnet sich Zustimmung zu einem „Wiederaufbaufonds“ ab, der vor allem die stark betroffenen Staaten Italien und Spanien finanziell unterstützt. Dies ist ein positives Zeichen der Solidarität. Es ist auch nur konsequent: Denn ein stark exportorientiertes Land wie Deutschland muss ein großes Interesse daran haben, dass die Länder im Süden Europas wirtschaftlich wieder schnell auf die Beine kommen.

Von Wiederaufbau zu sprechen, ist vielleicht rhetorisch überzogen. Denn Europa muss anders als in Folge eines Krieges nicht wiederaufgebaut werden. Es braucht aber einen Fonds, der die schwächelnde Wirtschaft von Warschau bis Lissabon, von Dublin bis Athen in Schwung bringt. Die dadurch möglichen öffentlichen Investitionen sollten dabei nicht nur dazu dienen, kurzfristig entstandene Lücken zu stopfen, sondern sie sollten nachhaltig wirken. Ziel sollte ein Mehr an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit sein.

Ein sozialeres Europa bedingt nicht nur mehr finanzielle Solidarität, sondern auch verstärkte Zusammenarbeit in Fragen der Gesundheitspolitik. Das Nachrangigkeitsprinzip, nach dem sozialpolitische Aufgaben fast ausschließlich in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten fallen, sollte angesichts globaler Herausforderungen korrigiert werden. Denn die Corona-Pandemie zeigt, dass ein Virus nicht vor Grenzen Halt macht: auch nicht, wenn man den freien Grenzverkehr einseitig außer Kraft setzt. Spätestens am Ende dieser Krise werden tiefgreifende Reformen stehen müssen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hätte nun die Gelegenheit, entscheidende Weichen zu stellen.

Eine berufliche Perspektive für alle jungen Menschen ermöglichen

Eine Stellungnahme von

  • Torben
    Schön

Der Shutdown der Wirtschaft hat massive Auswirkungen auch auf die Ausbildung von jungen Menschen, da beispielsweise Ausbildungen, Abschlussprüfungen oder Bildungsmaßnahmen ausgesetzt wurden, weil Einrichtungen und Betriebe über Wochen geschlossen werden mussten.

Auch für das nächste Ausbildungsjahr, das nach den Sommerferien startet, sind Einschränkungen zu erwarten. Viele Betriebe stehen vor Umsatzrückgängen und einer ungewissen wirtschaftlichen Perspektive, die sich auf die Ausbildungsbereitschaft auswirken. Vor allem kleinere Betriebe werden sich nur bedingt in der Lage sehen, auszubilden. Davon sind viele Handwerksbetriebe betroffen, die oft gerade jungen Menschen mit einer niedrigen schulischen Qualifikation aber praktischen Fähigkeiten eine Ausbildungschance geben. Es ist somit zu erwarten, dass insbesondere junge Menschen mit geringeren Qualifikationen durch den Rückgang beim Ausbildungsangebot größere Schwierigkeiten haben werden, einen Ausbildungsplatz zu finden. Dies muss zudem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass bereits im vergangenen Jahr mehr als 73.000 junge Menschen keinen passenden Ausbildungsplatz gefunden haben. Weist der junge Mensch zusätzlich einen Migrationshintergrund auf, sind die Chancen auf eine Ausbildung nochmals geringer. Paradoxerweise konnten im vergangenen Jahr die Betriebe über 53.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Wie kann im kommenden Ausbildungsjahr ein Rückgang bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen verhindert werden?

Ein zweiter durch Corona in den Fokus geratener Punkt ist die Digitalisierung: In vielen Bereichen wurden digitale Medien eingesetzt, um auf diesem Weg Ausbildung bzw. Schule fortzuführen. Vom digitalen Unterricht bis zu Videokonferenzen konnte hier eine pragmatische Entwicklung beobachtet werden. Für finanziell weniger gut aufgestellte Jugendliche war dies oft nur eingeschränkt möglich, da sie zwar über Handys, nicht aber über eine ausreichende Internetverbindung und die geeigneten Endgeräte verfügen.

Corona muss als Chance dafür genutzt werden, unsere Gesellschaft sozialer und solidarischer zu gestalten. Allen jungen Menschen eine berufliche Perspektive zu ermöglichen und dies entsprechend auch finanziell zu unterstützen, würde wesentlich dazu beitragen. Dies ist nicht nur Aufgabe der Wirtschaft, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung.

 

Unser Gott ist ein Gott, der Leben will

Ein geistliches Wort vom Bundespräses des Kolpingwerkes Deutschland

  • Josef
    Holtkotte

Immer wieder waren Menschen in der Geschichte durch lebensbedrohende Ereignisse und totbringende Krisen herausgefordert. Erklärungen wurden gefunden, die das Unheil noch verstärkten: Minderheiten wurden als verantwortliche Schuldige verfolgt, Verschwörungstheorien säten Unwahrheiten und der gute Gott wurde als strafender Gott verfälscht. In der Corona-Pandemie erleben wir weltweit heute auch solche Muster.

Es gibt große Nöte und Katastrophen. 

Leid und Unheil erschüttern uns. Menschen sind verstört und verzweifelt.

Was passiert da in unserer Welt?

Und: Wo ist Gott?

Die Corona-Pandemie fordert uns in der Tiefe unserer Existenz heraus: Woraus lebe ich? Woran mache ich mich fest, und was ist mir wichtig? Welche Bedeutung haben Gott und mein Glaube in meinem Leben?

Wir können uns von uns selbst her verstehen; wir können uns als „Zufall“ betrachten, möglicherweise sogar als einen unglücklichen Zufall. Dann werden wir nicht im Vertrauen leben können, weil wir uns einem willkürlichen Spiel ausgeliefert sehen. Wir können auch den Versuch machen, auf uns selber, unsere Selbstständigkeit zu bauen, aber auch dann werden wir scheitern. Die Ohnmacht, in der wir uns immer wieder vorfinden, hat dann das letzte Wort. Perspektivlosigkeit greift um sich, wenn der Mensch keine Lebensgrundlage sieht, die ihn tragen kann. Sein Dasein ist abgrundtiefe Angst.

Glaube in Zeiten von Corona bedeutet, die Hoffnung zu (ver-)stärken, dass der gute Gott nicht abwesend ist; dass wir den Menschen Mut machen, sich auf diesen Gott zu verlassen; dass wir erkennen, dass es uns in den Widersprüchen unserer Gedanken und Gefühle aufhilft, in Gott den tragfähigen Grund unseres Lebens zu sehen. Die Kolpingsfamilie als Glaubensgemeinschaft gibt uns dazu Kraft und Fundament.

Innere Auseinandersetzungen helfen, uns vom Glauben her befragen zu lassen. Der Glaube ist dann befreiend, wenn er sich an einem Gott festmacht, der den Menschen über den Tag hinaus blicken lässt. Der Glaube gewinnt dann an Kraft, wenn er den Fragen des Lebens nicht ausweicht, sondern standhält.

Gottes Wirklichkeit ist Barmherzigkeit. Seine Barmherzigkeit ist für uns oft wenig vereinbar mit den Realitäten der Welt. Und doch glaube ich: Gott ist überall. Er ist da! Er ist der ferne, der unbegreifliche und der unfassbare Gott, und zugleich ist er der nahe, der erklärende und der fassbare Gott. Ich glaube an den liebenden Gott. Nur seine Liebe lässt es uns aushalten in einer Welt, in der so vieles geschieht, das wir nicht verstehen, nur zögerlich annehmen oder kaum akzeptieren können. Er schenkt Sinn, wenn uns auch manches sinnlos (er-) scheint.

Gott ist Gott! 

Unser Gott ist ein Gott, der Leben will, der die Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlässt, dem Leid, Angst und Not nicht gleichgültig sind.

Ich glaube daran, dass Gott ein guter Begleiter ist, auch wenn zweifelndes Suchen und Fragen in Leid und Not scheinbar ohne Antwort bleiben. In Jesus Christus zeigte und zeigt Gott ein für alle Mal, dass er auf die Menschen zukommt; dass er auf Seiten der Menschen steht. Jesus macht die Für-Sorge Gottes sichtbar und erfahrbar: Immer ist er bei den Armen und Leidenden. Er ist mit den Suchenden und Fragenden auf dem Weg. Er stellt sich den Zweifelnden und Ablehnenden. Im Miteinander unserer Kolpinggemeinschaft stärkt er unser Gottvertrauen und schenkt uns Mut.

Die Corona-Pandemie fordert uns heraus, in der Dunkelheit nach einem Gott zu suchen, der das Licht ist. Die Corona-Pandemie fordert uns heraus, die eigene Sprachlosigkeit auszuhalten, in der nur Gott die Antwort sein kann.

Ich glaube daran, dass unsere Welt und alle Menschen von Gott getragen und gehalten werden.

Er ist Zukunft und Leben.

Mein Glaube an ihn stellt sich gegen die Angst, die Hoffnungslosigkeit und die Resignation. 

Mein Glaube an ihn sieht seine Zuwendung, Achtsamkeit und Liebe. 

Ich vertraue Gott auch in dieser Zeit. Mein Glaube ermutigt und bestärkt mich. 

Ich glaube: Gott ist da. Immer.

Fotos: Marian Hamacher, Barbara Bechtloff, Britta Schüßling