Von hier aus hat er alles im Blick. Ungefähr schulterhoch ist der aus Muschelkalk gefertigte Sockel, der Sebastian Kneipp eine ideale Aussicht auf die Fußgängerzone Bad Wörishofens bietet – beziehungsweise seinem kupfernen Abbild. Direkt vor dem 1903 enthüllten Denkmal plätschern die Wasserspiele des großen halbkreisförmigen Brunnens. Ähnliche Varianten sind in deutschen Fußgängerzonen wahrscheinlich ebenso oft zu finden wie Statuen berühmter Söhne und Töchter der jeweiligen Stadt. Allerdings sind sie in der Kombination wohl nirgends so passend wie in der mit 17.000 Einwohnern größten Stadt des Unterallgäus. Immerhin war es die nach Pfarrer Kneipp benannte Wasserkur, die Wörishofen nicht nur den Beinamen „Bad“ einbrachte, sondern auch weltbekannt machte.
„Wenn er nicht hierhergekommen wäre, wäre Wörishofen heute nur ein kleiner Marktflecken“, ist sich Thomas Dressel sicher. „Es gab damals im Grunde nur die Hauptstraße und ein, zwei Seitenstraßen mit Gehöften. Aber das war es dann auch schon.“ Vergrößert habe sich die Stadt erst, als wegen Kneipps Wasserheilkunde immer mehr Menschen kamen und Übernachtungen brauchten. Kurzerhand stellten zahlreiche Bürger ihre Zimmer zur Verfügung. Eine lukrative Idee, wie sich herausstellen sollte. „Innerhalb von 50 Jahren ist da unglaublich viel gebaut worden. Der Aufstieg war von den Ausmaßen her gewaltig.“ Inzwischen zählt Wörishofen 115 Hotels. Das etwa 80 Kilometer westlich gelegene München hat zwar etwa viermal so viele, allerdings auch 93-mal so viele Einwohner wie der vergleichsweise winzige Kneippkurort.
Thomas Dressel – kurze graue Haare, Brille, olivgrüne Jacke, dunkelblaue Jeans – ist zwar nicht in Wörishofen geboren, aber hier aufgewachsen. Seit 27 Jahren leitet er die örtliche Kolpingsfamilie, ist seit knapp der Hälfte seiner Amtszeit zugleich deren Geistlicher Begleiter und hat sich nicht nur wegen seines Berufs als Religionspädagoge intensiv mit dem Leben Sebastian Kneipps auseinandergesetzt. „An ihm kommt man hier gar nicht erst vorbei“, sagt der 59-Jährige und lacht. Das fange schon in der Schule an, in der Kinder beim Heimat- und Sachkunde-Unterricht automatisch mit dem auch als „Wasserdoktor“ bekannten Priester konfrontiert werden. „Man wächst einfach mit Kneipp auf.“