Ausgabe 2-2022 : Mai

Anständiger Handel

Seit 30 Jahren setzt sich die gemeinnützige Organisation Fairtrade Deutschland für mehr Gerechtigkeit im weltweiten Handel ein. Das Kolpingwerk Deutschland ist seit langem Mitglied.

Ein großer Teil der in Deutschland verkauften Rosen kommt aus Ost­afrika, wo viele Frauen als Pflückerinnen in den Gewächshäusern oder in den Packstationen der Rosenfarmen arbeiten. Jede dritte in Deutschland verkaufte Rose ist inzwischen eine Fairtrade-Rose.

Dass Menschen von ihrer Arbeit leben können, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch für viele Produzent:innen von Lebensmitteln, Kleidungsstücken, Blumen gerade in Ländern des sogenannten globalen Südens (der heute gängige Begriff für die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer) trifft das sehr oft immer noch nicht zu. Viele Produktpreise, die Endverbraucher:innen in Deutschland täglich beim Einkauf bezahlen, spiegeln nicht den tatsächlichen Wert wider; der Anteil, der für die Arbeitsleistung gezahlt wird, macht nur einen sehr geringen Anteil aus. Die Produzent:innen auf Feldern und Plantagen erhalten oft nur den sprichwörtlichen „Hungerlohn“. Hinzu kommen schlechte Arbeitsbedingungen, fehlender Arbeitsschutz, der Mangel an Mitspracherechten. Zwar steigen viele Preise für Produkte im Zuge der hohen Inflation gerade an. Ursachen dafür sind aber der Krieg in der Ukraine, Lieferschwierigkeiten, Ernteausfälle und stark gestiegene Energiepreise. Von den höheren Produktpreisen in den Geschäften haben die Produzent: innen deshalb nichts. Damit Menschen auch im globalen Süden von ihrer Arbeit leben können, müssen sie angemessen und fair bezahlt werden.

Aufgrund dieser Erkenntnis entstand in den 1950er Jahren die Fairhandelsbewegung: Gemeinnützige Importeure, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Produzentengruppen schlossen sich erstmals mit dem Ziel zusammen, die Armut in wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern zu bekämpfen. 1988 siegelte die niederländische Organisation Solidaridad erstmals einen Kaffee, der direkt, ohne den Umweg über einen  Zwischenhandel, und zu einem für die Produzierenden fairen Preis verkauft wurde. Inspiriert von dieser Idee gründeten sich in den Folgejahren in Europa und Nordamerika vergleichbare Organisationen, die eigene Produktsiegel für fair gehandelte Produkte vergaben.

Kolping seit 28 Jahren dabei

Vor 30 Jahren wurde in Deutschland der gemeinnützige Verein TransFair mit dem Ziel gegründet, den fairen Handel in der „Einen Welt“ zu fördern. Inzwischen heißt die Organisation Fairtrade Deutschland; sie ist Mitglied der Dachorganisation Fairtrade International. Schon 1994, also vor 28 Jahren, trat das Kolpingwerk Deutschland dem TransFair e.V. bei und ist bis heute stimmberechtigtes Mitglied bei Fairtrade Deutschland.

In einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) sagt der Vorstandsvorsitzende Dieter Overath: „Unser Hauptanliegen von Beginn an war es, den fairen Handel über den Kreis der Weltläden und kirchlichen Aktionsgruppen hinaus in den Mainstream zu bekommen, also fair gehandelte Waren im normalen Handel verfügbar zu machen.“ Kaffee ist wahrscheinlich noch immer das bekannteste Produkt mit dem Fairtrade-Siegel. In den vergangenen Jahren wurde die Produktpalette jedoch deutlich ausgeweitet. Der Marktanteil von Fairtrade-Kaffee liegt bei zurzeit niedrigen fünf Prozent. Bei Rosen liegt der Anteil aus fairer Produktion inzwischen bei 35 Prozent. Jährlich werden in Deutschland rund 600 Millionen fair gehandelte Rosen, vor allem aus Ostafrika verkauft. Für Dieter Overath ist dies ein unglaublicher Erfolg. Schwierig sei die Durchsetzung fairer Bedingungen bei der Baumwollproduktion. „Bei Textilien sind wir in den großen Modefirmen quasi gar nicht vertreten, da liegt der Anteil weit unter einem Prozent“, sagt Overath. „Das liegt daran, dass die Modebranche noch zu sehr auf Fastfashion setzt und Nachhaltigkeit oft nur ein Lippenbekenntnis ist.“

„Kolping und Fairtrade gehören zusammen“, ist Andreas W. Stellmann überzeugt. Er leitet den Bundesfachauschuss „Verantwortung für die Eine Welt“ des Kolpingwerkes Deutschland. „Wir leben verantwortlich und handeln solidarisch. Das entspricht unserem Verständnis als christlicher Sozialverband,“ sagt er. „Deshalb unterstützen wir als Mitglied auch aktiv die Arbeit von Fairtrade Deutschland. Bei verschiedenen Sitzungen des Ausschusses haben wir uns mit Vertreter:innen von Fairtrade ausgetauscht und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit besprochen. Diese geschieht vor allem auch auf Diözesan- und Ortsebene. Ein logischer Schritt ist für uns deshalb auch die Unterstützung der Initiative „Lieferkettengesetz“.

Die kontinentalen Produzentennetzwerke unterstützen Produzentinnen und Produzenten in ihrer Region bei der Zertifizierung und der Umsetzung der Fairtrade-Standardkriterien.

Zahlreiche Kolpingsfamilien und viele Mitglieder setzen sich für den fairen Handel ein. Kolpingsfamilien laden anlässlich der jährlich im September stattfindenden Fairen Woche zu Frühstücken oder zum Essen mit ausschließlich fair gehandelten Produkten ein. Auch Gründungen von Eine-Welt-Läden gehen auf Kolpingsfamilien zurück. In vielen Steuerungsgruppen der sogenannten Fairtrade-Towns arbeiten Kolpingmitglieder mit oder sind sogar federführend tätig, damit ihre Stadt/ihre Gemeinde alle Bedingungen erfüllt, um den Titel Fairtrade-Town tragen zu dürfen. Die Idee des fairen Handels soll mit Fairtrade-Towns auf eine breite Basis gestellt werden, denn vielen Menschen ist nicht bewusst, wie weit verbreitet Fairtrade-Produkte bereits sind. Ein Beispiel: Im Jahr 2014 haben die Kolpingsfamilie Frechen und der örtliche Eine-Welt-Laden nach dem Lesen eines Kolpingmagazin-Beitrags die Initiative ergriffen und den Vorbereitungsprozess für die Zertifizierung der 52.000-Einwohner-Stadt Frechen angestoßen. Seit 2016 ist die Stadt im Rhein-Erft-Kreis offiziell Fairtrade-Town. Im Verband bekannt ist zudem der fair gehandelte Kolping-Kaffee „Tatico“.

So funktioniert das System

Damit Produkte mit dem Fairtrade-Siegel ausgezeichnet werden können, müssen sie nach den internationalen Standards von Fairtrade International angebaut und gehandelt werden. Diese sind verbindlich für die beteiligten Kleinbauernorganisationen, Plantagen und alle in der Lieferkette eingebundenen Unternehmen. Die sozialen, ökologischen und ökonomischen Kriterien sollen eine nachhaltige Entwicklung der Produzentenorganisationen sicherstellen. Ausbeuterische Kinderarbeit ist verboten, es müssen geregelte Arbeitsbedingungen geschaffen und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Fairtrade unterstützt die demokratische Mitbestimmung der Arbeiter:innen. Auf Plantagen meint dies die Förderung des Aufbaus gewerkschaftlicher Organisationen. Die Produzent:innen erhalten für ihre Produkte einen festgesetzten Mindestpreis, der oft über dem Weltmarktpreis liegt. Damit wird sichergestellt, dass die Produktionskosten gedeckt sind und dass die Menschen auch tatsächlich von ihrem Lohn leben können. Sollte der jeweilige Weltmarktpreis für ein Produkt wie Kaffee über dem Mindestpreis liegen, ist der höhere Marktpreis zu zahlen. Zudem muss der Anbau umweltschonend und nachhaltig erfolgen. Besonders wichtig ist aus Sicht von Dieter Overath das im Jahr 2011 eingeführte Mitbestimmungsrecht aller Produzent:innen, die damit in allen wichtigen Entscheidungsgremien beteiligt sind.

Die verschiedenen Siegel

Anfangs wurden mit dem Faitrade-Siegel bzw. seinem Vorgänger dem TransFair-Siegel, nur Einzelprodukte wie Kaffee, Kakao oder Bananen gelabelt. Um den Absatzmarkt für Produzenten weiter zu öffnen, wurden später auch Mischprodukte wie Schokolade aufgenommen. Hier gilt: Alle verwendeten Zutaten müssen fairtrade sein, sofern sie erhältlich sind. Das bedeutet am Beispiel Schokolade: Kakao, Kakaobutter, Zucker, Vanille müssen aus fairzertifiziertem Anbau stammen, Milch dagegen nicht. Bei diesen Mischprodukten verweist ein Pfeil neben dem eigentlichen Siegel auf erklärende Informationen auf der Produktverpackung. Diesen Pfeil und weitere Infos gibt es auch beim sogenannten Mengenausgleich. Bei verschiedenen Produkten sind die angelieferten Mengen oft nicht groß genug, um sie separat verarbeiten zu können. In die Verarbeitung fließen dann auch nicht fairzertifizierte Chargen. Der Orangensaft in der Flasche im Supermarkt ist dann ein Gemisch aus fairen und nicht-fairen Chargen. Vergleichbar ist dies mit dem Strommarkt. Wer seinen Strom bei einem Ökostromanbieter kauft, zieht aus der Steckdose oft ein Gemisch aus Öko-, Atom- und Kohlestrom.

Fairtrade-Produkt-Siegel

Das Fairtrade-Siegel steht für fair angebaute und gehandelte Produkte, bei dem alle Zutaten zu 100 Prozent unter Fairtrade-Bedingungen gehandelt und physisch rückverfolgbar sind, wie zum Beispiel bei Kaffee oder Bananen.
Handelt es sich bei dem Produkt um ein Mischprodukt (z.B. Kekse oder Schokolade), dann ist das Fairtrade-Produkt-Siegel zusätzlich mit einem Pfeil gekennzeichnet, der auf weiterführende Informationen auf der Rückseite verweist. Bei Mischprodukten mit diesem Siegel müssen alle Zutaten, die unter Fairtrade-Bedingungen erhältlich sind, Fairtrade-zertifiziert sein. Produkte, die mit Mengenausgleich hergestellt wurden, sind ebenfalls mit einem Pfeil neben dem Siegel gekennzeichnet, der auf Informationen auf der Rückseite verweist.

Spezielle Fairtrade-Produkt-Siegel

Das Fairtrade-Produkt-Siegel für Baumwolle steht für fair angebaute und gehandelte Rohbaumwolle, die über alle Produktionsschritte direkt rückverfolgbar ist und getrennt von Nicht-Fairtrade-Baumwolle weiterverarbeitet wird. Die Baumwolle in Textilien, die dieses Siegel tragen, ist zu 100 Prozent Fairtrade-zertifiziert.
Das Fairtrade-Produkt-Siegel für Gold auf einem Produkt stellt sicher, dass das Gold fair abgebaut und gehandelt wurde und in allen Produktionsschritten direkt rückverfolgbar ist. Die Kennzeichnung erfolgt mittels Stempel-Prägung auf dem Schmuckstück.
Kosmetikprodukte mit Fairtrade-Inhaltsstoffen werden mit dem Fairtrade-Produkt-Siegel in Kombination mit dem Zusatz „contains Fairtrade ingredient“ (deutsch: enthält Fairtrade-Bestandteile) gekennzeichnet. Wie beim Fairtrade-Produkt-Siegel auf Lebensmitteln gilt auch hier: Alle Inhaltsstoffe, die als Fairtrade-Rohstoffe verfügbar sind, müssen Fairtrade-zertifiziert sein.
Das Fairtrade-Produkt-Siegel für Textilproduktion kennzeichnet Produkte, bei denen die gesamte Textillieferkette nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert ist.

Fairtrade-Rohstoff-Siegel

Nur die im Siegel angegebene Zutat im Mischprodukt ist Fairtrade-zertifiziert – beispielsweise wurde die für einen Schokoriegel benötigte Menge Kakao oder Zucker unter Fairtrade-Bedingungen eingekauft.
Das Fairtrade-Rohstoff-Siegel für Baumwolle bedeutet, dass eine vereinbarte Menge Rohbaumwolle zu Fairtrade-Bedingungen eingekauft wurde und ab der Spinnerei indirekt durch die Dokumentation bei der Zertifizierungsstelle FLOCERT rückverfolgbar ist.

Anlässlich des Jubiläums will Fairtrade Deutschland auf dem diesjährigen Katholikentag in Stuttgart die Verbindung zu den Mitgliedsorganisationen sichtbar und für die Besucher:innen erlebbar machen. Auf der Kirchenmeile, Standnummer 7-OS-58, können sich Interessierte eine Stempelkarte für eine Fairtrade-Rallye abholen. An den jeweiligen Ständen können sie sich dann über das Engagement der einzelnen Organisationen hinsichtlich internationaler Solidarität und globaler Gerechtigkeit informieren. Vollständig an den 14 Ständen der Mitgliedsorganisationen abgestempelte Karten, nehmen an einer Verlosung teil. Am Stand des Kolpingwerkes Deutschland können die Besucher:innen dann auch den fair gehandelten Kolping-Kaffee Tatico probieren.

Zum Jubiläumsjahr hat Fairtrade Deutschland mit „Fairan“ einen neuen Begriff geschaffen. Die Organisation ruft jetzt dazu auf, auf der Homepage fairtradedeutschland.de ein Statement abzugeben und kurz seine Haltung zum fairen Handel und sein Engagement zu beschreiben: Ich lebe #fairan, weil …“ Dieter Overath blickt im KNA-Interview auf ein starkes Wachstum in den vergangenen 30 Jahren zurück – das Fairtrade-Siegel ist inzwischen sehr bekannt und auch bei Discountern im Angebot gut vertreten – andererseits sieht er beim fairen Handel noch viel Luft nach oben und sagt: „Ein Land mit solch einem Wohlstand wie Deutschland muss sich fragen, ob auf Dauer Billigangebote wie Bananen für unter einen Euro das Kilo nicht ein Grund zum Schämen sein sollten. Auf lange Sicht muss das Ziel sein, dass Fairtrade-Konzepte der Standard für den Handel werden.“

Fotos: Christoph Köstlin