Ausgabe 3-2021 : Juli

Starke Nothilfe in Indien

Indien mit seinen rund 1,4 Milliarden Menschen wurde schwer von der Corona-Pandemie getroffen. Im Mai war die Lage geradezu dramatisch. Kolping Indien hilft, wo es möglich ist.

Die zweite Welle der Corona-Pandemie hat in Indien eine dramatische Krise hervorgerufen, die im ganzen Land für Verzweiflung und auch weltweit für Bestürzung gesorgt hat. Die Bilder von nach Luft schnappenden Menschen vor überfüllten Spitälern und überlasteten Krematorien schockierten in diesem Frühjahr die Welt. Dabei hatte der dicht besiedelte indische Subkontinent die erste Welle noch relativ glimpflich überstanden. Die Zahl der Neuinfektionen war seit September letzten Jahres stetig gesunken. Dies verleitete die indische Regierung offenbar zu der Fehleinschätzung, dass die Krise bereits überwunden sei. 

Bereits während der ersten Welle hatten strenge Ausgangssperren Millionen von Menschen dazu gezwungen, die Arbeit plötzlich niederzulegen. Tagelöhner und Wanderarbeiter verloren ihre Existenzgrundlage. Zahlreiche von ihnen machten sich auf den Rückweg in ihre Dörfer – ohne Geld und ohne Nahrung. Mit finanzieller Unterstützung von Kolping International reagierte Kolping Indien auf das große Leid: Der Verband mit Sitz im südindischen Chennai entschied, umgehend Hilfsmaßnahmen zu organisieren. Im Juni und Juli 2020 wurden freiwillige Helfer geschult und mit Masken sowie Schutzkleidung ausgestattet, damit sie sich an Aufklärungsmaßnahmen in den Dörfern beteiligen konnten. Darüber hinaus wurden notleidende Kolpinggeschwister und gestrandete Wanderarbeiter mit Mahlzeiten versorgt, die von ehrenamtlichen Helfern gekocht wurden. Auch 3.450 größere Lebensmittelpakete wurden an hungernde Kolpingmitglieder und ihre Familien verteilt. Im November 2020 organisierte Kolping Indien mit Mitteln aus dem Kolping-Corona-Fonds eine zweite Phase der Nothilfe. Wie zuvor wurden auch diese Maßnahmen von Nationaldirektor Father Maria Soosai geleitet, der vom Nationalbüro in Chennai aus mit seinem Team die Hilfen vorbereitete und koordinierte. Zielgruppe waren dieses Mal obdachlose und in Notlagern gestrandete Menschen, die mit Lebensmitteln und frisch gekochtem Essen sowie Decken versorgt wurden. 

Kolping Indien verfügt über eine gute Reputation und hat sich als verlässlicher Partner staatlicher und privater Hilfsorganisationen bewährt. Denn der Verband leistet nicht zum ersten Mal Nothilfe. Bei veschiedenen Naturkatastrophen hat Kolping Indien sich in den vergangenen Jahren schon erfolgreich an humanitären Hilfsmaßnahmen beteiligt – etwa bei dem Thane-Zyklon im Jahr 2011 oder bei Überschwemmungen 2015 in Tamil Nadu. Seit 2010 besitzt Kolping Indien dafür den sogenannten „Kolping Disaster Relief Fund“ (KDRF). Damit wollte der Verband sich strategisch auf zukünftige Katastrophen vorbereiten und Mitarbeiter entsprechend schulen. Die Nothilfemaßnahmen des Verbandes besitzen mit „Kolping cares“ (Kolping kümmert sich) auch ein eigenes Logo.

Nun erlebt das Land seit Ende Februar mit der zweiten COVID-19-Welle eine noch größere Katastrophe: Das Gesundheitssystem Indiens kollabierte auf allen Ebenen unter dem enormen Anstieg der Corona-Fälle. Selbst in den privaten Krankenhäusern der Mittel- und Oberschicht waren im Mai weder ein Krankenbett noch Sauerstoff zu erhalten. Die Notsituation vieler Menschen habe sich noch einmal drastisch verschlimmert, berichteten die Kolpingmitarbeiter aus dem Nationalbüro. Überall höre man die Sirenen von Krankenwagen, überall sehe man Leichenwagen. 

Bis Mitte Juni haben sich offiziell bereits mehr als 29 Millionen Inder mit dem Virus angesteckt, über 370.000 Erkrankte sind verstorben. Fachleute gehen jedoch von einer weit höheren Dunkelziffer aus. Auch was Impfungen angeht, hat sich das Bild in Indien mit der zweiten Welle komplett gewendet: Von einem Land, das Nachbarländer und weitere Staaten mit dem eigenen Impfstoff versorgen konnte, ist Indien zu einem Land geworden, das auf internationale Hilfe angewiesen ist. Dass sich die Lage in Indien schnell entspannt, ist unwahrscheinlich, denn in dem bevölkerungsreichen Land leben viele Menschen dicht gedrängt in den Millionenstädten.

Was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kolping Indien zudem große Sorgen bereitet, ist der rapide Anstieg der Arbeitslosigkeit im Land. In Indien arbeiten rund 70 Prozent der Bevölkerung im sogenannten informellen Sektor – oft auch aufgrund fehlender Bildung. Von dieser einfachen Arbeiterschaft haben etwa 80 Prozent während des ersten Lockdowns ihre Arbeit verloren. Für solche Menschen plant der indische Verband nun weitere Hilfsmaßnahmen, die durch Spenden aus Europa finanziert werden sollen. Besonders notleidenden Menschen soll geholfen werden, sich eine neue Existenz aufzubauen. Kolping Indien hat große Erfahrungen im Bereich der Gründung von Kleinunternehmen. Diese Expertise sowie finanzielle Starthilfen sollen Kolpingmitgliedern zukommen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind – ein erster Schritt zurück zur gewohnten „Hilfe zur Selbsthilfe“.


Text: Gregor Federhen
Foto: Kolping International