Ausgabe 1-2021 : Februar

Die Engel von El Alto

Gesundheitszentren sind eigentlich kein Schwerpunkt der weltweiten Kolpingarbeit. Eine Ausnahme ist Bolivien, wo die medizinischen Einrichtungen des Verbandes auch in Corona-Zeiten wertvolle und gleichzeitig bezahlbare Hilfe leisten.

Als Hernán Gironda Mamani im Juli 2020 in die Notaufnahme des Kolping-Hospitals „Herz Jesu“ in El Alto kam, gaben ihm die Ärzte kaum Überlebenschancen: „Seine Covid-Erkrankung war auf dem Höhepunkt, seine Lungen schon halb zerstört“, erinnert sich seine Frau Jaqueline. Umso dringlicher hätte der 53-jährige Familienvater ärztliche Hilfe benötigt. Doch die fand er zunächst nicht, wurde überall nur abgewiesen. „Wir liefen 24 Stunden herum auf der Suche nach einem Krankenhaus und niemand wollte sich um uns kümmern“, erzählt die vierfache Mutter. Erst die Kolping-Klinik nahm ihren Mann endlich auf.

Wie viele Staaten Lateinamerikas wurde auch Bolivien hart von der Corona-Pandemie getroffen. Bis Ende 2020 zählte das 11-Millionen-Einwohner-Land offiziell über 160.000 Infizierte und fast 10.000 Tote – bei weit höher geschätzten Dunkelziffern. Als mit Einsetzen der kalten Jahreszeit die Infektionszahlen erstmals stark stiegen, entwickelte sich die von Armut geprägte Stadt El Alto oberhalb von La Paz rasch zu einem Corona-Brennpunkt. Zunächst sollten Covid-19-Patienten hier nur in den wenigen öffentlichen Krankenhäusern behandelt werden, die aber schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kamen. Darüber hinaus fehlte es überall an nötiger Infrastruktur, Schutzausrüstung und Know-how, um mit dem neuartigen Virus Erkrankte zu versorgen. Was folgte, war der Zusammenbruch des bolivianischen Gesundheitssystems und dramatische Szenen in den Häusern, Straßen und Kliniken von El Alto.

In dieser kritischen Phase öffnete sich auch das Herz-Jesu-Hospital, das größte von insgesamt fünf Kolping-Gesundheitszentren in Bolivien, für Covid-19-Patienten. „Als Teil der katholischen Kirche und aufgrund unserer Berufung zu helfen, wollten wir mit der Behandlung von Covid-19-Patienten beginnen“, erklärt Jorge Jiris, medizinischer Leiter der Klinik. Ein logischer Schritt für ein Hospital, das den Bedürftigen von El Alto seit Jahren im Geiste Adolph Kolpings zur Seite steht und dank moderater Preise auch den Ärmsten eine bezahlbare Gesundheitsversorgung bietet. „Kolping hat keinen Chef, der Gewinne machen will“, so Juan Carlos Mattos, Geschäftsführer von Kolping Bolivien. In den Gesundheitseinrichtungen des Verbandes zahlen die Patienten daher im Schnitt nur etwa ein Drittel dessen, was andere private Kliniken verlangen würden. Und ist selbst dieses Geld nicht da, wird nach Lösungen gesucht. 

Hernán Gironda Mamani rettete der Ausbau des Herz-Jesu-Hospitals zum Covid-19-Behandlungszentrum das Leben. Der schwerkranke Familienvater war der erste, der im Juli auf die frisch eingerichtete Covid-19-Intensivstation der Kolping-Klinik kam. Nach mehreren Operationen erholte er sich in einer der neuen Weiterbehandlungseinheiten. Die notwendigen Infrastrukturanpassungen hatte die Klinik mit Unterstützung des Verbandes gestemmt. Kolping International half mit Mitteln aus dem Kolping-Corona-Fonds: So konnte – dank großzügiger Spenden von Kolpingmitgliedern aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Südtirol – rasch die nötige medizinische Schutzausrüstung für das Personal angeschafft werden, darunter Masken, Brillen und Virenschutzanzüge im Wert von 27.000 Euro. Eine internationale Solidaritätsbekundung, die dazu beitrug, das Ansteckungsrisiko von Personal und Patienten zu senken: „Mehr als 600 Personen aus unseren Einrichtungen wurden auf unterschiedliche Weise mit Schutzmaterialien ausgestattet. Dadurch konnten wir in allen Einrichtungen niedrige Infektionsraten verzeichnen“, bestätigt Geschäftsführer Juan Carlos Mattos. Gleichzeitig hatten die Spenden einen wichtigen psychologischen Effekt: „Sie zeigten, dass wir nicht alleine sind.“

Es folgten harte Wochen, in denen die Angestellten des Herz-Jesu-Hospitals bei hoher Belegung und oftmals in 24-Stunden-Schichten um das Leben zahlreicher Covid-19-Erkrankter kämpften. Mithilfe eines neuen Ambulanzfahrzeugs führte die Klinik zudem zeitweise Hausbesuche durch. Trotz Straßensperrungen und Aufständen aufgrund politischer Unruhen fuhr das Klinikpersonal täglich heraus, um den Bewohnern von El Alto in der Pandemie beizustehen. Dieses bemerkenswerte Engagement sprach sich herum. Bald machte sich das Herz-Jesu-Hospital in El Alto einen Namen als „das Corona-Hospital“. Auch staatliche Institutionen wie die parlamentarische Versammlung Boliviens oder der Stadtrat von El Alto wurden aufmerksam: Sie sprachen den Angestellten der Kolping-Klinik „für ihren unermüdlichen Einsatz im Dienste der Gesundheit auf dem Höhepunkt der Pandemie“ offiziell ihre Anerkennung aus. Und sogar Vertreter von Kolping International in Deutschland erhielten stellvertretend Auszeichnungen für ihre Solidarität mit der bolivianischen Bevölkerung. „Diese Ehrung gilt dem Zusammenhalt der internationalen Kolpingsfamilie“, betont Generalsekretär Markus Demele. „Es war die überwältigende Solidarität der Spenderinnen und Spender mit ihren Kolpinggeschwistern weltweit, die es ermöglicht hat, dass wir mit finanziellen Mitteln schnell und effizient helfen konnten.“ 

Dank des Kolping-Corona-Fonds wurden in Bolivien aber nicht nur die Gesundheitszentren unterstützt. Wie in vielen Partnerländern wurden auch hier Nothilfepakete verteilt. Infolge harter Ausgangssperren konnten zahlreiche Menschen nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. „Viele, die von kleinen Geschäften leben, waren verzweifelt, weil sie ihre Familie nicht mehr versorgen konnten“, so Juan Carlos Mattos. Deshalb wurden mithilfe von Freiwilligen 520 Lebensmittelkörbe im Wert von 20.000 Euro an die Ärmsten der rund 5.200 Kolpingmitglieder im Land verteilt. „Im kritischsten Moment war Kolping für uns da“, sagt Ivon Ramirez Chavez, die ein solches Nothilfepaket erhielt. „Das war wichtig für uns und dafür bin ich dem Verband sehr dankbar.“ 


Text: Michaela Roemkens
Foto: Bernabé Lopez Alcon