Ausgabe 3-2022 : Juli

Den Kreislauf durchbrechen

Eine vertrauensvolle Bindung zwischen Mutter und Kind ist das Fundament für ein ganzes Leben. Doch in Südafrikas Town­ships haben viele Mütter diese wichtige Basis selber nicht mitbekommen. Kolping hilft mit einem Programm, damit sie die Fehler ihrer Eltern nicht bei ihren Kindern wiederholen.

Für Candice und ihren sechsjährigen Sohn Lawader war das SPARK-Programm ein Segen. Die beiden verstehen sich nun viel besser.

Aufmerksam sitzen die Mütter im Halbkreis und lauschen den Worten ihrer Kursleiterin. Was ihnen in der Kommunikation mit ihren Kindern am schwersten fällt? Die Antwort kennen sie sofort: "Nicht zu schrei­en, auch wenn man gestresst ist!" Eine Grundregel, deren Einhalten wohl allen Eltern manchmal schwerfällt. Doch für die Frauen, die am SPARK-Programm von Kolping im südafrikanischen Kapstadt teilnehmen, ist es eine ungleich größere Herausforderung. Denn eine andere Form der Erziehung kennen sie nicht. "Meine Mutter war alleinerziehend und trank zu viel. Sie war hauptsächlich mit sich selber beschäftigt. Wenn ich etwas wollte, hat sie mich angeschrien und gesagt, dass ich sie in Ruhe lassen soll", erzählt die 31-jährige Candice. Die übrigen Frauen nicken. Sie alle haben ähnliches erlebt. 

"In Südafrika gibt es viel häusliche Gewalt und viele Kinder, die vernachlässigt werden", berichtet Laurian Kleinhans von Kolping Südafrika. "Die Mütter wissen oft, dass ihnen in ihrer Kindheit etwas gefehlt hat. Aber sie wissen nicht, was es eigentlich war. So wiederholen sie das Verhaltensmuster ihrer Eltern, weil es einfach das ist, was sie kennen." Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, hat Kolping Südafrika "SPARK" (engl. für Funke) ins Leben gerufen. Das Programm hilft Müttern, eine gute und vertrauensvolle Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. In den Gruppenstunden geht es erst einmal um die Frauen selbst. "Viele haben kaum Selbstvertrauen und niemanden, mit dem sie reden können. Der erste Schritt ist deshalb, im Kurs eine Gemeinschaft aufzubauen, in der sie sich austauschen können und in der sie erfahren, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind", erklärt Programmkoordinatorin Laurian.

Verhaltensmuster durchbrechen

Die Bedingungen, unter denen die Mütter leben, sind schwierig. Alle kommen aus Kapstadts Townships – Armenviertel, deren Alltag von Drogen, Kriminalität und Gewalt geprägt ist. Umso wichtiger ist es, über Erfahrungen und Sorgen reden zu können. "Wir lachen und wir weinen zusammen. Wir fühlen die Freude und den Schmerz der anderen und wir teilen unsere Probleme", erzählt Maryka. Die 35-Jährige zieht vier Mädchen groß. Manchmal wird ihr alles zuviel: die Arbeit, der Haushalt, die Probleme in der Schule und mit dem Geld, der Streit mit ihrem Mann. "Dann gab es immer Stress mit den Kindern, weil sie nie machten, was ich ihnen sagte. Ich verlor ständig die Nerven." Genau hier setzt SPARK an. "Die Frauen analysieren, welche Bedürfnisse sie haben und wo diese schon in ihrer Kindheit übersehen wurden. Wenn sie sich das einmal vor Augen geführt haben, erkennen sie schnell, was ihre Kinder brauchen", erläutert Laurian den Ansatz. 

Während des viermonatigen Programms erhalten die Mütter viele praktische Erziehungstipps und lernen, alte Muster zu durchbrechen, damit sie eine bessere Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Manche dieser Tipps sind simpel – zum Beispiel der, niemals lauter zu sprechen als das Kind selbst.

Selbstständig dank Qualifikation

Zusätzlich zum Kursteil, der sich auf die Erziehung fokussiert, können die Frauen auch eine Kurzausbildung absolvieren – etwa im Büromanagement oder als Altenpflegerin. Die berufliche Qualifikation ermöglicht es ihnen, unabhängiger zu werden, eigenes Geld zu verdienen und sich, wenn nötig, aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen. Denn viele der SPARK-Teilnehmerinnen haben nie einen Beruf gelernt und bleiben aus diesem Grund selbst dann bei ihren Partnern, wenn sie in der Beziehung Gewalt erleben oder unterdrückt werden. Für Programmkoordinatorin Laurian stehen beide Programmteile – die Berufsausbildung und die Erziehungsberatung – gleichberechtigt nebeneinander, damit die Frauen ihr Leben und das ihrer Kinder positiv verändern können. "Wenn die Mütter die emotionalen Bedürfnisse der Kinder vernachlässigen, verbringen diese mehr Zeit draußen auf der Straße und suchen sich dort Bestätigung und Anerkennung. So geraten sie schnell in Gruppen, in denen Drogen genommen werden oder die kriminell sind." Laurian beobachtet, dass sich die Jungen aus den Townships oft schon im Alter von zehn Jahren Gangs anschließen. SPARK wirkt dem entgegen: "Wir helfen den Frauen dabei, frühzeitig eine enge und liebevolle Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen", so Laurian. "Wenn die Kinder Vertrauen zu ihren Müttern haben, wenden sie sich bei Problemen an sie – und nicht an zweifelhafte Freunde auf der Straße."

Wege aus der Abwärtsspirale

Candice hat erst in der Gruppe gelernt, wie sehr sie in ihrer eigenen Vergangenheit mit der alkoholkranken Mutter gefangen war. "Ich war so mit mir selber beschäftigt, dass ich meinen Sohn vernachlässigte. Er nervte mich mit seinem Blödsinn, ich schrie ihn an, er machte noch mehr Mist." Durch SPARK erkannte Candice, dass ihr Sohn damit nach Aufmerksamkeit schrie. Eine glücklichere Kindheit bekommt Candice dadurch nachträglich nicht. Aber die Gespräche mit den anderen Frauen haben ihr geholfen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. "Ich habe alles, was mir gefehlt hat, all die Erniedrigungen und die Verzweiflung, aufgeschrieben. Und dann haben wir dieses Papier gemeinsam in einer Zeremonie verbrannt. Alle haben dabei geweint. Und dann war es tatsächlich vorbei. Jetzt kann ich ganz für meinen Sohn da sein." 


Foto: Christian Nusch