Ausgabe 3-2022 : Juli

Starke Stimme für junge Menschen

Es braucht eine Offensive für eine bessere demokratische Bildung im Jugendalter – dann ist auch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre eine gute Idee!

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass ein Bundespräsident namens Joachim Gauck seinen Amtsantritt mit einem persönlichen Lebenszeugnis begann. Gauck, der als Pastor jahrzehntelang unter den Repressionen des DDR-Regimes gelitten hatte, berichtete vom überragenden Gefühl beim Gang zu den ersten freien Wahlen im März 1990. "Es war damals ein sicheres Wissen in mir", so der frisch gewählte Präsident wörtlich, "ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen!"

Die Vorstellung, nicht wählen gehen zu dürfen, ist für viele Menschen in Deutschland geradezu abwegig. Umso erschütternder sind dann die Zahlen, die zuletzt am Abend von Landtagswahl-Sonntagen über die Bildschirme flimmerten. Gerade einmal 55,5 Prozent der Wahlberechtigten haben etwa bei der NRW-Wahl von ihrem Recht Gebrauch gemacht und ein Kreuzchen gesetzt. Jeder Wahlsiegerin und jedem Wahlsieger sei die Freude über das eigene Ergebnis gegönnt, allerdings: Angesichts einer derart desaströsen Wahlbeteiligung kann sich niemand mehr auf dem eigenen Stimmenanteil ausruhen. Die demokratische Beteiligung hierzulande braucht dringend ein Upgrade! Ohne wirksame Maßnahmen endet diese ostentative Nichtbeteiligung in einem Ausmaß an Politikverdrossenheit mit schwer kalkulierbaren Folgen für die Gesellschaft und die politische Kultur, von der sie lebt.

Mehr politische Bildung

Nun wäre es wohl eine Milchmädchenrechnung, würde man glauben, mit einer Absenkung des Wahlalters alleine wären die Probleme gelöst. Und doch scheint diese seit Jahren diskutierte Frage den Finger in die richtige Wunde zu legen. Es braucht mehr politische Bildung, frühzeitiges Ausprobieren von Beteiligung sowie eine weitreichende Förderung des politischen Engagements junger Menschen. Wer frühzeitig lernt, Verantwortung zu übernehmen, weiß diese schließlich auch zu schätzen und kultiviert womöglich ein demokratisches Selbstverständnis, das uns insgesamt abhandenkommt. Wenn es gelingt, eine solche Entscheidung mit einer entsprechenden Offensive für eine bessere demokratische Bildung im Jugendalter zu verbinden, ist die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre eine gute Idee!

Die Hoffnung auf eine starke Stimme junger Menschen wiegt stärker als die Argumente der Skeptiker, die gleichwohl ernstgenommen werden müssen. Schwierig wird die Argumentation allerdings dort, wo sie ins Paternalistische umschlägt, wo ausschließlich eine vermeintliche Unreife und fehlende Sachkenntnisse ins Feld geführt werden. Man muss sich ehrlich machen: Eine Überprüfung der realen Sachkenntnis gibt es auch bei den Ü18-Wählerinnen und Wählern nicht – und dies kann auch niemand ernsthaft herbeisehnen.

Es braucht eine große Allianz vieler Beteiligter aus Politik, Bildung und auch aus der Zivilgesellschaft. Der Politik-Unterricht der Mittelstufe alleine wird es nicht packen. Hier allerdings könnte das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Wählen ein Privileg ist. Zeitzeugen mit dem Erfahrungsschatz eines Joachim Gauck können dabei helfen.

Es gibt viele Entscheidungen, die junge Menschen unmittelbar betreffen, an denen sie aber nur ganz am Rande beteiligt werden. Selten trat dies deutlicher zutage als in den vergangenen zwei Jahren. Höchste Zeit, dass Jugendliche auch dort eine Stimme haben, wo es in einer parlamentarischen Demokratie ans Eingemachte geht – bei Wahlen.


Text: Tim Schlotmann – tim.schlotmann(at)kolping.de 
Bild: pexels/Edmond Dantès

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1 Kommentare

  • Christoph Strebel
    am 01.08.2022
    Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Viele Politiker haben nie was anderes gemacht. Der Schwerpunkt ihrer Fähigkeiten liegt auf Rhetorik, Netzwerken, Gremien. Das spricht eher dafür, zumindest das passive Wahlrecht erst ab 30 zu gewähren.
    Ich vermute, bei der aktiven Wahl für Jüngere werden nur die bildungsnahen Kinder teilnehmen.
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