Ausgabe 3-2023 : August

"Jungen Menschen ein gutes Zuhause geben"

Immer weniger Jugendliche entscheiden sich für eine Ausbildung. Eine der Herausforderungen für Ausbildungs­interessierte ist häufig der Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Der Bundestagsabgeordnete und "Kolpinger" Stefan Nacke besuchte im Zuge der Beratungen zum Aus- und Weiterbildungsgesetz das Kolping Jugendwohnen Berlin-Oberschöneweide und kam dort mit einem Bewohner, dem Auszubildenden Julius Rüter, ins Gespräch.
 

Stefan Nacke: Seit vielen Jahren geht die Zahl der Auszubildenden kontinuierlich zurück. Während es vor 15 Jahren noch etwa 1,6 Millionen Auszubildende in Deutschland gab, erreichten die Ausbildungszahlen auch 2022 – im dritten Jahr seit der Corona-Pandemie – mit rund 1,2 Millionen jungen Menschen einen neuen Tiefstand. Derzeit kommen auf 10 Studierende nur noch 4,3 Auszubildende. Herr Rüter, ich freue mich, dass Sie sich anders entschieden haben.

Julius Rüter: Viele meiner Schulfreunde haben nach dem Abi tatsächlich ein Studium begonnen. Diesen Weg hätte auch ich einschlagen können. Aber ich wollte etwas Praktisches machen und habe mich daher ganz bewusst für eine Ausbildung entschieden. Auch in einem Ausbildungsberuf ergeben sich viele Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten, es muss nicht immer ein Studium sein. Ich mache im KaDeWe eine Ausbildung zum Bäcker, das ist spannend und abwechslungsreich. Mit meiner Wahl bin ich sehr zufrieden.
 

 

  • Dr. Stefan Nacke (47)

    ist seit Oktober 2021 CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Münster und ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Der Sozialpolitiker ist nicht nur langjähriger "Kolpinger", sondern war von 2017 bis 2022 auch Vorsitzender des Kolping Landesverbandes NRW. Er wohnt mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn sowie Familienhund Anton im Stadtteil Hiltrup in Münster.

  • Julius Rüter (20)

    ist Auszubildender und absolviert eine Bäckerlehre im KaDeWe in Berlin. Er stammt aus Kassel und wohnt seit August 2022 im Kolping Azubi- und Jugendwohnen in Berlin-Oberschönwalde. In seiner Freizeit spielt er gerne Fußball und Badminton.

Stefan Nacke: Die Betriebe, insbesondere im Handwerk, sagen uns Abgeordneten, dass sich die Rahmenbedingungen verbessern müssen, um die Attraktivität der beruflichen Bildung weiter zu sichern. Gerade in Ballungsräumen gibt es häufig einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der junge Menschen von der Aufnahme einer Ausbildung fernab des bisherigen Wohnorts abhält. Sie sind letztes Jahr nach Berlin gezogen. Wie haben Sie den Start in Berlin erlebt? War es für Sie schwierig, hier Fuß zu fassen?

Julius Rüter: Ursprünglich komme ich aus Kassel. In Berlin ist es in der Tat für einen jungen Menschen wie mich eine Herausforderung, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Für Studierende gibt es in vielen Städten zumindest eine gewisse Anzahl an Plätzen in Studierendenwohnheimen. Dagegen ist dieses Angebot für Auszubildende leider sehr begrenzt. Daher habe ich gezielt nach solchen Angeboten gesucht und mich dann beworben. Ich habe großes Glück gehabt und bin sehr happy, hier ein Zimmer gefunden zu haben. Für Jugendliche müsste es mehr Jugendwohnheime wie hier in Oberschöneweide geben – auch außerhalb von Ballungsräumen und großen Städten. Hier ist aus meiner Sicht die Politik gefragt, um für ein besseres Angebot zu sorgen.

Das Kolping Azubi- und Jugendwohnen in Berlin-Oberschöneweide liegt direkt an der Spree und bietet den Bewohner*innen vielfältige Kultur- und Freizeitmöglichkeiten. Das Haus verfügt über 137 modern eingerichtete Appartements, Gemeinschaftsräume und einen gemeinsamen Garten.
"Auch in einem Ausbildungsberuf ergeben sich viele Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten, es muss nicht immer ein Studium sein."
Julius Rüter

Stefan Nacke: Sie können mir glauben, dass mir ie Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf dem Ausbildungsmarkt sehr am Herzen liegt. Wenn wir hier in den nächsten Jahren keine substanziellen Verbesserungen erreichen, wird das den Fachkräftemangel mittel- und langfristig weiter verschärfen. Ein Punkt, den ich für wichtig halte, ist die Mobilität. Aktuell wohnen immer noch 72 Prozent der Auszubildenden bei ihren Eltern oder Verwandten. Hier müssen wir ansetzen und etwa das sozialpädagogisch begleitete Azubi- und Jugendwohnen zielgerichtet stärker fördern. Die Erstattung von zwei Heimfahrten im Monat im ersten Lehrjahr und von lediglich einer Heimfahrt ab dem zweiten Lehrjahr, was die Ampelregierung im Aus- und Weiterbildungsgesetz vorsieht, ist aus meiner Sicht unzureichend. Ich bin überzeugt, wir müssen mehr für die räumliche Mobilität und soziale Integration vor Ort tun. Diese Chance wurde im Aus- und Weiterbildungsgesetz leider vertan. Und das Förderprogramm "Junges Wohnen" der Bundesregierung ist für Einrichtungen des Azubi- und Jugendwohnens nicht praxistauglich ausgestaltet. Es wird die Wohnsituation der Auszubildenden kaum nachhaltig verbessern. Als Opposition haben wir uns nicht nur in den Beratungen im Bundestag für das Azubi- und Jugendwohnen eingesetzt, ich habe zu Jahresbeginn über die CDA, den Arbeitnehmerflügel der CDU, bereits eine Initiative zur Mobilitätsoffensive für Auszubildende gestartet.

Julius Rüter: Ja, das kann ich nur unterstützen. Und wie Sie schon angedeutet haben, geht es definitiv nicht nur um ein Dach über dem Kopf. Ich habe das Glück, dass es im Kolping Jugendwohnen recht familiär zugeht. Wir haben eine große Gemeinschaftsküche, wenn wir etwas zusammen kochen möchten, einen Tisch-Kicker und Gemeinschaftsräume für weitere Aktivitäten wie gemeinsame Yoga-Kurse oder gemütliches Beisammensein. Viele Bildungs- und Freizeitangebote im Haus organisieren wir selbst. Das Wichtigste in meinen Augen ist aber: Wenn wir Fragen zur Ausbildung haben oder Unterstützung bei administrativen Angelegenheiten und persönlichen Problemen suchen, dann gibt es immer eine Ansprechperson vor Ort. 
 

"Ich bin überzeugt, wir müssen mehr für die räumliche Mobilität und soziale Integration vor Ort tun. Diese Chance wurde im Aus- und Weiterbildungsgesetz leider vertan."
Stefan Nacke

Stefan Nacke: Nochmal zu Ihnen und Ihrem Ausbildungsberuf: Sie erlernen einen ebenso traditionellen wie zukunftsträchtigen Beruf. Wie geht es danach weiter, wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?

Julius Rüter: An meine Ausbildung werde ich auf jeden Fall direkt einen Meister anschließen, das ist mir wichtig. Danach möchte ich ins Ausland gehen und dort weitere Erfahrungen sammeln. Wo es genau hingehen wird, weiß ich noch nicht. Aber noch einmal eine andere Kultur kennenzulernen, ist mein Ziel.

Stefan Nacke: Ich sehe schon, Sie haben für die nächsten Jahre bereits einen klaren Plan. Auf diesem und Ihren weiteren Wegen wünsche ich Ihnen viel Erfolg! Ich danke Ihnen für das Gespräch und werde die positiven und wertvollen Eindrücke vom Kolping Azubi- und Jugendwohnen für meine Arbeit im Ausschuss für Arbeit und Soziales im Bundestag mitnehmen.  

Was ist Kolping Azubi- und Jugendwohnen?

Die Idee des Azubi- und Jugendwohnens geht auf Adolph Kolping zurück. Seit 1852 wurden Gesellenhospize gegründet, eine heutige Interpretation ist das Kolping-Jugendwohnen. Der Gedanke dahinter: Die Unterkunft ist mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Das Herzstück des Kolping Jugendwohnens ist die sozialpädagogische Begleitung, in deren Rahmen junge Menschen am Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf, aber bei Bedarf auch bei der Verselbständigung, individuell unterstützt werden können. Das Kolping Jugendwohnen ist bunt – fast 40 Einrichtungen in Trägerschaft von Kolping bieten Auszubildenden, aber auch anderen jungen Menschen, ein Zuhause zum Wohlfühlen. Die Bewohner*innen haben sich aus den unterschiedlichsten Gründen für das Jugendwohnen entschieden. Oft liegt der Ausbildungsplatz weit entfernt vom Heimatort, manchmal wollen die jungen Menschen zwischen 14 und 27 auch einfach "weg von Zuhause". Im Jugendwohnen können sie schnell neue Leute kennen lernen und an vielfältigen Freizeitaktivitäten teilnehmen.

Text und Fotos: Johannes; Klaus Altevogt; privat

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