Manche Stimmen stellen die Krise mit der Reformation im 16. Jahrhundert auf eine Stufe. Ich weiß nicht, ob das so ist. Ich sehe aber die vielen Kirchenaustritte. Ich habe selbst erleben müssen, dass ich auf offener Straße übelst beschimpft wurde, weil ich als Priester zu erkennen war. Ich weiß um die Frage „Wie kannst du immer noch in dieser Kirche sein?“, der sich gerade ehrenamtlich engagierte Menschen immer wieder stellen müssen.
Es ist Zeit, sich dieser Wirklichkeit schonungslos zu stellen und sich nicht im „Haus voll Glorie“ zu verschanzen. Es ist aber auch an der Zeit, aus dem Geist Jesu Christi zu handeln und Möglichkeiten des Dialogs, der Begegnung und der gegenseitigen Hilfe zu bieten, damit sich etwas zum Guten verändern kann.
Ich sehe Menschen, die an dieser Krise und an der Kirche leiden, die aber eben nicht abtauchen. Ich erlebe Menschen, die von sich sagen mögen, dass sie der Kirche noch nicht einmal nahestehen, die ihr aber durchaus immer noch Entscheidendes zutrauen – wie der oben zitierte Journalist in seinem tagesaktuellen Kommentar. Da weiß einer um das Potential der christlichen Botschaft, um die verändernde Kraft des Evangeliums, um die Chancen, die die Kirche wahrnehmen muss, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Und er fordert sie heraus. Mit Recht.
Ich stehe am Anfang meiner Aufgabe als Bundespräses. Ich freue mich darauf, diesen Auftrag zu übernehmen. Ich weiß mich in guter Gesellschaft, weil Kolping in etlichen Bereichen der beklagten Vereinsamung entgegenwirkt, auch wenn jetzt die Pandemie für nicht unerhebliche Einschränkungen sorgt. Ich weiß mich in guter Gesellschaft, wenn ich sehe, dass die Kolpinggeschwister sich engagieren, sich durchaus als Teil der Kirche und die Kolpingsfamilien und –gemeinschaften als Kirchorte verstehen, die weltweit Heimat und Gemeinschaft schenken.