Im vergangenen Jahr hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Dadurch können Sterbehilfevereine oder auch Ärzte, die ihre Hilfe nicht nur einmal, sondern wiederholt anbieten, uneingeschränkt tätig werden. Welche Reaktion hat das bei Dir ausgelöst?
Ursula Groden-Kranich: Ich habe diese Entscheidung sehr bedauert, weil sich der Bundestag parteiübergreifend sehr intensiv und sachlich in der letzten Legislaturperiode mit dem Thema auseinandergesetzt hatte. Ich selbst hatte den Kontakt zu Palliativmedizinern gesucht, mit Betroffenen gesprochen und auch in der eigenen Familie miterlebt, was Sterbebegleitung bedeutet.
Das Urteil besagt, dass Staat und Gesellschaft die Entscheidung für ein selbstbestimmtes Sterben respektieren müssen. Wie bewertest Du das – auch aus Deiner christlichen Haltung heraus?
Ich respektiere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dennoch sind viele Fragen weiterhin offen. So kann es Situationen geben, in denen der Wunsch besteht, die Hilfe Dritter für einen selbstbestimmten Suizid in Anspruch nehmen zu können. Deshalb plädiere ich für eine Regelung, die sicherstellt, dass die Selbstbestimmung über das eigene Leben insbesondere auch für verletzliche Gruppen gewahrt bleibt. Ich möchte Alternativen zum assistierten Suizid stärken. Wenn der Zugang zum assistierten Suizid leichter ist als zur palliativen Begleitung und Versorgung, zu fürsorgender Pflege oder zur Psychotherapie, entsteht eine gefährliche Schieflage. Staat und Gesellschaft dürfen niemandem den Eindruck vermitteln, überflüssig zu sein.
Da wir uns für die Würde des Menschen und seine autonome Selbstbestimmung einsetzen, müssen wir dann nicht seinen ernsten Wunsch, das eigene Leben zu beenden, akzeptieren?
Den Wunsch, dieses zu akzeptieren, ist das eine. Von einer Person zu verlangen, dass sie Sterbehilfe leisten soll, ist das andere. Ich habe große Sorge vor einer „Selbstverständlichkeit“, und dass organisierte Selbsttötungshilfe zum normalen Behandlungsangebot wird. Wir müssen den selbstbestimmten Willen des Einzelnen vor unzulässigem Druck – sei es durch Dritte oder eine unausgesprochene gesellschaftliche Erwartungshaltung – schützen.
Die katholischen Bischöfe haben den assistierten Suizid abgelehnt, da er Menschen mit Suizidabsichten „nicht die richtige Antwort“ auf ihre Lebenssituation gebe. Wie sieht nach Deiner Auffassung eine "richtige Antwort" aus?
Es gibt weder eine "richtige Antwort", noch eine einfache Antwort. Als Christen glauben wir, dass das menschliche Leben von Gott geschenkt ist. Jeder Mensch wird einzigartig geboren; daher muss jede Antwort individuell erfolgen. Den Betroffenen muss – wenn möglich – eine Bandbreite an Lebensperspektiven deutlich vor Augen geführt werden. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, bessere Möglichkeiten für ein erträgliches und würdevolles Lebensende zu schaffen.