Ausgabe 1-2021 : Februar

Ein ganz besonderer Schatz

In der Bibel zeigt sich die bleibende Gegenwart Gottes in seinem Wort und seiner gültigen Botschaft – auch wenn sie stark beschädigt ist.

Während einer Reise besuchte ich eine Familie, die ihr Haus und fast alles, was sie besaß, durch einen Tsu­nami verloren hatte. Wir sprachen über diese Katastrophe und darüber, wie sie damit umgegangen sind. Am Ende des Gesprächs wurde ich gefragt, ob ich das Einzige, was sie retten konnten, einmal sehen wollte. Ich war neugierig: Ja, natürlich, gerne. Ich fragte mich: Was hatten sie wohl gerettet? Aus einem anderen Raum holten sie die besondere Kostbarkeit aus einer schützenden Verpackung. Ich musste genauer hinschauen, um zu erkennen, was es war: Eine Bibel! Nach der Rettung und Trocknung stark beschädigt, aber dennoch wie ein Schatz behütet.

Dieses Erlebnis begleitete mich während der gesamten weiteren Reise und ich denke heute noch oft daran. Gerade die Bibel konnten sie retten. Gottes Wort für uns. Was bedeutet mir dieses Wort? Auf wen hören wir? Wem hören wir zu? Wem schenke ich meine Aufmerksamkeit? Wessen Aussagen, wessen Worte haben Gewicht und beeindrucken mich? Wer sagt die Wahrheit? Wer hat bei seinen Argumenten nicht nur sich, sondern den Anderen im Blick? Und: Welche Bedeutung hat Gottes Wort für mich?

Wenn uns im Gottesdienst aus der Bibel vorgelesen wird, dann müssen wir zuhören, um zu verstehen. „Hören“ kommt von „horchen“ – „gehorchen“ – dem Wort, das ich höre, gehorchen. Das Wort verbindlich machen für mein Leben. Zulassen, dass Gottes Wort so bei mir ankommt, dass es etwas in mir bewirken kann. Im Hören nehme ich die Realität wahr. Im Hören ereignet sich Wirklichkeit. Das Gehörte soll in meinen Verstand und in mein Herz kommen. Es geht um Zuhören, um die Erfassung des Sinns des Gehörten. Es ist Gottes Wort, das unter uns im Glauben lebendig werden will. Wir spüren, wie sehr wir solche Worte des Glaubens für unser Leben, für unser Glaubensleben, brauchen. Gott handelt. Durch und in seinem Wort. Auch heute.

In der Bibel zeigt sich die bleibende Gegenwart Gottes in seinem Wort und seine gültige Botschaft zu allen Zeiten. Dazu muss sie gelesen und interpretiert, gedeutet und verstanden werden.

Von Gott etwas verstehen in meinem Leben. Das Wort Gottes in meine Situation hinein annehmen. Daran glauben, dass es ein gutes Wort ist, das ich höre. Ein Wort, das mich und mein Leben aufrichtet, mir Halt und Richtung gibt, mir Zuversicht schenkt und mich froh macht.

Das Wort ist für Gott so wichtig, dass Jesus selbst als Gottes Wort bezeichnet wird. Das Johannes-Evangelium beginnt so: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). Gottes Wort geht von ihm aus und wird Mensch und teilt in menschlicher Gestalt unser Leben. Er, Jesus, ist immer das Wort, das zu uns gesprochen wird. 

Ihre Bibel – und nichts anderes – konnte die Familie aus den Wassermassen des Tsunamis retten. Sie freute sich, dass sie diesen Schatz bergen konnte. Die Bibel ist für sie zu einer lebendigen Zusage Gottes geworden, zu einem Haltepunkt, der auch nach der Katastrophe Mut macht, zu einem nie vergehenden Wort der Hoffnung für ihr Leben. 

Jesus selbst hat durch sein Wort Glauben geweckt. Er ermutigte die Menschen, sich durch Gottes Wort verändern zu lassen. Er lädt uns ein, auf sein Wort zu hören und danach zu handeln. In unserem ganzen Leben geht es darum, nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen zu hören und zu verstehen ... und zu glauben. 

Josef Holtkotte
Bundespräses

Kolpingwerk Deutschland
50606 Köln

bundespraeses(at)kolping.de

Fotos: Josef Holtkotte, Marian Hamacher