Ausgabe 2-2023 : Mai

Die Zukunft ist schon da

Künstliche Intelligenz ist das Thema der Stunde. Die Technologie wird unsere Gesellschaft und unser Arbeitsleben grundlegend verändern. Wie sollten wir damit umgehen?

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Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) hat bereits erhebliche Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens. Während KI-Systeme zunächst hauptsächlich in der Industrie und im Bereich der Robotik eingesetzt wurden, hat sich ihre Anwendung in den letzten Jahren auf Bereiche wie Gesundheitswesen, Finanzen, Verkehr und sogar Kunst und Musik ausgedehnt. Eine der größten Auswirkungen von KI ist die Automatisierung von Arbeitsplätzen. Da KI-Systeme in der Lage sind, bestimmte Aufgaben schneller, präziser und kosteneffizienter zu erledigen als menschliche Arbeitskräfte, werden in vielen Branchen Jobs durch Maschinen ersetzt. Dies hat weitreichende Konsequenzen und erfordert eine Anpassung der Arbeitskräfte und der Ausbildungssysteme.

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Die Frage ist nicht, was technisch möglich ist, sondern, wie man mit diesen Möglichkeiten umgeht. Das gilt auch bei der künstlichen Intelligenz (KI) und der Rolle, die sie in der Arbeitswelt der Zukunft spielen wird. Führende Köpfe in Forschung, Politik und Wirtschaft sind sich bei dieser Frage uneins: Für die einen überwiegen die Gefahren, die mit der Technologie einhergehen und würden sie am liebsten mit engen Kontrollen einschränken. Für die anderen herrscht derweil die Hoffnung auf bahnbrechende technische Entwicklungen vor. In einem zumindest sind sich beide Gruppen einig: Künstliche Intelligenz ist hier, um zu bleiben, und sie wird unser Leben ebenso wie unsere Arbeitswelt grundlegend verändern. 

Autorenschaft: Mensch oder Maschine?

Zwei Textanfänge zum Thema KI. Die Frage ist nur: Welcher hat einen "echten" Autor? Denn einen der Texte hat ein Mensch geschrieben, den anderen eine Maschine. ChatGPT nämlich, ein von KI gesteuertes Dialogsystem, ein sogenannter Chatbot des US-Unternehmens OpenAI, und zwar auf Basis der Anfrage "Schreibe einen Text über die Folgen der künstlichen Intelligenz mit 1500 Zeichen". 

Der Umstand, dass nur noch schwer erkennbar ist, ob ein Text oder Bild von einem Menschen oder einer Maschine stammen, ist für viele besorgniserregend. Denn das Experiment zeigt: KI kann bereits jetzt schon überraschend viel. Digitalminister Volker Wissing (FDP) sagte etwa kürzlich der Bild am Sonntag, dass die Europäische Union schnell darauf reagieren müsse, dass KI im Alltag angekommen sei und das Leben der Menschen grundlegend verändern werde. Diese Veränderungen werden auch vor unserem Privatleben und dem Arbeitsalltag nicht halt machen. Aber was kann KI wirklich? 

Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, erst einmal Klarheit darüber zu haben, was KI überhaupt ist und wie sie funktioniert. Das ist gar nicht so einfach: So gibt es zahlreiche verschiedene Definitionen dafür, die sich teils deutlich unterscheiden. Die Definition aus dem Wörterbuch Merriam Webster gibt aber zumindest einen grundlegenden Eindruck davon, was mit KI üblicherweise gemeint ist, nämlich "ein Zweig der Informatik, der sich mit der Simulation von intelligentem Verhalten in Computern befasst", beziehungsweise "die Befähigung einer Maschine, intelligentes menschliches Verhalten zu imitieren". Damit geht KI klar über die Grenzen herkömmlicher Automatisierung hinaus.
 

Der 1985 geborene Künstler Refik Anadol ist ein Pionier auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, die derzeit Musik, Literatur und Kunstwelt revolutioniert. Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf präsentierte im Frühjahr dieses Jahres Anadols monumentale Datenskulptur »Machine Hallucinations – Satellite Simulations: B« von 2021. Für diese Arbeit wurden über zwei Millionen Bilder verwendet, die von den Weltraumteleskopen der Internationalen Raumstation (ISS), Hubble und dem Magdalena-Ridge-Observatorium (MRO) erfasst und aufgezeichnet wurden.

Mit Daten füttern

Damit ein KI-System funktioniert, braucht es allerdings mehr als nur die Software. Sie muss erst noch trainiert werden. Dies bedeutet, dass KI-Systeme üblicherweise mit großen Mengen an Daten gefüttert werden müssen, damit sie lernen können, die gewünschten Entscheidungen zu treffen. Dabei wirkt sich die Qualität der Daten auf die spätere Leistungsfähigkeit des Systems aus. 

In der Praxis kann das beispielsweise bedeuten, dass ein System mit großen Mengen an Bildmaterial gefüttert wird, auf deren Basis das Programm lernen soll, Gesichter automatisch zu erkennen. Oder aber, es wird mit Finanzdaten befüllt, damit im Anschluss Börsenbewegungen automatisch eingeordnet werden können. … Klar ist: Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.  Bilderkennung, Finanzentscheidungen … heißt das etwa, dass KI-Systeme lediglich etwas für klassische "Schreibtisch-Berufe" sind? Ganz und gar nicht. Künstliche Intelligenz kann theoretisch in allen Branchen eingesetzt werden, gerade weil die Systeme so flexibel und die Einsatzmöglichkeiten so weitgefächert sind. Und nicht nur das: Oftmals werden sie es bereits schon. Auch im Mittelstand und Handwerk. 

KI im Handwerk

Zahlreiche Handwerksbetriebe setzten bereits heute Lösungen ein, die KI nutzen – selbst, wenn sich die Nutzenden darüber nicht immer im Klaren sind. Typische Anwendungsfelder sind beispielsweise Aufgabenmanagement, Terminvergabe und -planung oder Materialbestellung. Teilweise nehmen Chatbots, Kundenanfragen an und leiten sie automatisch an die zuständige Stelle im Betrieb.

Damit wird deutlich: Gerade dort, wo schnell und immer wieder ähnliche Entscheidungen getroffen werden müssen, sind KI-Systeme auch für Handwerksunternehmen eine Hilfe. Schließlich sind die Systeme gut im Abarbeiten von Prozessen. Damit sparen sie in Konsequenz nicht nur Aufwand und Stress, sondern auch bares Geld. Denn die Unternehmen können ihre Kapazitäten für die Aufgaben aufsparen, die in ihre Kernkompetenz fallen und für die sie beauftragt werden. Je mehr Nebentätigkeiten an entsprechend passende Systeme ausgelagert werden können, desto besser. Ein Hoch auf Künstliche Intelligenz! Aber geht da nicht mehr? 

Hier könnt Ihr KI-Systeme selbst ausprobieren:

Der künstliche Klempner

Noch ist die Technologie nicht so weit, dass der eigene Roboter auf Zuruf mit dem Schraubenschlüssel bereitsteht – aber entsprechende Szenarien zeichnen sich in der Tat am Horizont ab. So konnten Sébastien Bubeck und sein Team der Machine Learning Foundations Group von Microsoft Research in einem Experiment ein KI-System zum "virtuellen Klempner" machen, um einen Wasserschaden zu beheben. Das System arbeitete dabei mit einem menschlichen Helfer zusammen, der die klaren, konkreten Handlungsanweisungen des Systems direkt umsetzte und Auskunft über ihre Folgen gab. Nur eines von vielen plausiblen Beispielen für zukünftige Einsatzmöglichkeiten.

Die Frage ist also nicht: Kann Künstliche Intelligenz einen Mehrwert für Handwerkerinnen und Handwerker darstellen? Die Antwort darauf ist bereits ersichtlich. Stattdessen ist die Frage, in welcher Form sie genutzt werden wird – und vor allem, was es braucht, um ihr Potenzial vollends auszuschöpfen. Handwerksunternehmen stehen damit vor der Herausforderung, sich aktiv mit den Chancen und Einsatzmöglichkeiten von KI auseinanderzusetzen. Es braucht Knowhow, Investitionen, aber auch – allem voran – die Bereitschaft, sich dem Thema überhaupt zu öffnen, ganz in dem Verständnis, dass es sich bei KI auch für sie um eine Technologie der Zukunft handelt. Denn was ist die Alternative?  
 

Die Kolpingjugend probierte an Ostern 2023 mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz aus, wie es aussehen könnte, wenn Jesus in unserer Zeit leben würde, ein Influencer wäre und seine Auf­erstehung bei Instagram posten würde.

Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen 

Wagen wir eine Spekulation: In zehn Jahren wird sich kaum jemand mehr die Frage stellen, ob Handwerksunternehmen KI einsetzen, ebenso wenig wie sich heute noch die Frage stellt, ob Smartphones zur technischen Grundausstattung gehören. Das heißt jedoch nicht, dass auch zwangsläufig eigene Systeme aufgebaut werden müssen. Das dürfte für viele Unternehmen allein aus Kostengründen unmöglich sein. Aber diese Lücke dürften Dienstleister füllen, die bereits eng an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausgerichtete KI-basierte Lösungen bereitstellen – niedrigschwellig und flexibel. 

Aber wohin führt das? Werden Menschen irgendwann komplett überflüssig sein? Diesem Schluss möchte sich der Unternehmer und KI-Experte Jörg Heynkes nicht anschließen. Er ist der Meinung, dass gerade in Branchen wie dem Handwerk, wo es oftmals auf sehr individualisierte Fähigkeitsprofile und Kreativität ankommt, der Mensch auch weiterhin über einzigartige Fähigkeiten verfügt, die ihn von seinen "technischen Kollegen" abheben – und seien diese noch so "intelligent" gebaut. 

Solidarität und Gemeinwohl

Es ist unabdingbar, den Menschen im Zentrum der KI-Debatte zu behalten. Das gebietet sowohl die grundlegende gesellschaftliche Logik als auch die christliche Soziallehre – Stichwort Solidarität und Gemeinwohl. Man denke etwa an die zahlreichen Menschen, deren Arbeitsplätze mittel- und langfristig von digitalen Lösungen verändert oder ganz ersetzt werden. Darauf zu verzichten, ihre Schicksale in gesellschaftliche Debatten zu KI einzubeziehen, wäre fatal. 

Schließlich ist nach christlichen Gesichtspunkten eine lebenswerte Gesellschaft ohne Verantwortung füreinander und ohne mitmenschlichen Zusammenhalt nicht erstrebenswert oder gar denkbar. Der Mensch ist nach christlichem Verständnis ein Geschöpf und Abbild Gottes – das ist eine ganz grundlegende Prämisse der katholischen Soziallehre. KI kann und soll dieses Ziel unterstützen. Und dort, wo dieser zwischenmenschlichen Solidarität geschadet wird, braucht es Regeln, Leitplanken und Grenzen. 
 

KI in der Kultur

Menschen träumen schon lange von künstlicher Intelligenz, ihren Chancen und Gefahren. Hier sind ein paar Bücher und Filme, in denen KI eine wesentliche Rolle spielt.

Zum Lesen: 

  • "Neuromancer" von William Gibson
  • "Die Tyrannei des Schmetterlings" von Frank Schätzing
  • "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams

Zum Schauen: 

  • "A.I. – Künstliche Intelligenz" (Regisseur: Stephen Spielberg)
  • "Ex Machina" (Regisseur: Alex Garland)
  • "Blade Runner" (Regisseur: Ridley Scott)
  • "Her" (Regisseur: Spike Jonze)
  • "Matrix" (Regisseurinnen: Die Wachowskis)

Gesellschaftliche Debatte nötig

Die Frage, was KI kann, wird in der Wissenschaft entschieden – die Frage, was sie darf und soll, von allen Menschen. Nicht von einzelnen, sondern von der ganzen Gesellschaft, weil diese grundlegenden Fragen eben nicht von ihrem Einfluss auf alle Menschen entkoppelt werden können. Der Einsatz von KI ist nicht wertfrei und neutral – ebenso wenig, wie der Einsatz eines Schraubenschlüssels wertfrei und neutral ist. Das Werkzeug selbst, ja. Wie es eingesetzt wird, nie. 

Aus diesem Grund nimmt die Digitalisierung, unter deren Dach KI fällt, auch im aktualisierten Leitbild des Kolpingwerkes eine so große Rolle ein. "Kolping setzt sich dafür ein, dass der Mensch auch im digitalen Zeitalter Mittelpunkt des Handelns bleibt: Die Digitalisierung muss dem Menschen dienen – und einen Mehrwert für die Gesellschaft bilden", heißt es dort. Die digitale Transformation werde unsere Gesellschaft und die Arbeitswelt so fundamental verändern wie zuvor nur die industrielle Revolution. 

Selbst Menschen wie Elon Musk, die sich sonst als konsequente und risikofreudige Vordenker und Treiber digitaler Entwicklungen präsentieren, nehmen die Risiken ernst. So unterzeichnete Musk einen offenen Aufruf an alle KI-Entwickler*innen, die Forschung an mächtigen KI-Systemen für mindestens sechs Monate einzustellen, um Klarheit über nötige Sicherheitsstandards zu gewinnen.

Es ist an uns

Am Ende gilt jedoch: KI birgt trotz aller Risiken ein enormes Potenzial, die Welt für alle Menschen fundamental besser zu machen. Es ist kaum abzusehen, was die Systeme in zehn, zwanzig, dreißig Jahren leisten können. Deshalb ist es an uns, jetzt die nötigen gesellschaftlichen Debatten zu führen, um die richtigen Weichen zu stellen – und zwar in der Politik und Wirtschaft, aber auch in der Werkstatt, in der Berufsschule, in der Familie und im Freundeskreis. Denn noch stehen wir, was die wirkliche Kraft von KI-Systemen angeht, trotz aller Überraschung und Begeisterung über ChatGPT und Co. noch ganz am Anfang. Und falls nicht klar geworden ist, welcher Text eingangs von der Maschine kam: Es war der erste.  

Interview mit Jörg Heynkes

Der Unternehmer, Autor und Speaker Jörg Heynkes setzt sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz auseinander. In seinen Vorträgen und Texten begeistert er für eine aktivere Gestaltung unserer Zukunft, so auch in seinem Buch Zukunft 4.1: Warum wir die Welt nur digital retten – oder gar nicht.

Welcher Wahrheit müssen wir bei künstlicher Intelligenz ins Auge blicken?

Heynkes: "Sicherlich der Wahrheit, dass wir im Moment nur ein minimales Bruchstück dessen erleben, was KI einmal können wird. Wir müssen verstehen, dass KI das Zentrum der vierten industriellen Revolution ist, in der wir uns gerade befinden. Alles, was an weltverändernden Technologien auf uns zu kommt, wird KI im Zentrum haben. Künstliche Intelligenz wird unser ganzes Leben revolutionieren. Das betrifft jeden, egal ob Mann, Frau, Handwerker, Beamter oder Politiker."

Wie wird sich das im Handwerk auswirken?

Heynkes: "Handwerksberufe werden davon enorm profitieren können. KI wird da viele Prozesse beschleunigen, so dass in der gleichen Arbeitszeit viel mehr Wertschöpfung betrieben wird. Da wird es weniger darum gehen, Jobs zu ersetzen, sondern Handwerkerinnen und Handwerker bei ihrer Arbeit zu unterstützen."

Wo ist die Grenze der Technologie?

Heynkes: "KI-Systeme werden jeden Tag besser, so wie wir auch jeden Tag besser werden, nur wird ihre Leistungsfähigkeit nicht durch einen Alterungsprozess bestimmt. Die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen hängt von der Rechengeschwindigkeit und dem Speichervolumen ab – und beides nimmt immer weiter zu. Das macht einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs darüber, wie viel KI wir wollen und in welchen Bereichen, so wichtig und dringend."

Bilder: SomYuZu|shutterstock.com, Anne Orthen; akg-images/Album/Warner Bros. Pictures; André Bakker

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