Ausgabe 1-2024 : Februar

"Den Menschen sehen und nicht die Straftat"

Ein Besuch im Offenen Vollzug Bochum Langendreer. Hier und in anderen Justizvollzugsanstalten hilft KOLPING Häftlingen durch Weiterbildungsangebote beim Übergang in das Leben nach der Haft. Ein Einblick in die wichtige Arbeit hinter Gittern.

Kolping Bildung begleitet Menschen in und nach der Haft. Susanne Frieg ist Übergangsmanagerin bei Kolping Bildung Deutschland in der Berufsförderungsstätte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum Langendreer. Gemeinsam mit den Inhaftierten entscheidet sie, welche Schritte unternommen werden, um das Leben nach der Haft zu meistern. So sollen Rückfälle in die Kriminalität vermieden werden. Eine berufliche Perspektive ist dabei entscheidend.

Christian Schmeller (Name geändert) ist der sechste Klient an diesem Morgen, mit dem Susanne Frieg und ihre Kollegin Nadja Hasenjürgen in ihrem Büro in der JVA an einer Zukunft in Freiheit feilen. Hier riecht es nach Arbeit. Große Bildschirme dominieren die Schreibtische der beiden Mitarbeiterinnen. Akten stapeln sich darunter. Auf einem Papierstapel liegt ein Zettel mit übergroßer Aufschrift: To Do!

Susanne Frieg

Fünf Schritte zum Wiedereinstieg

Susanne Frieg, eine 54-jährige Mitarbeiterin von Kolping Bildung Deutschland, arbeitet mit einem Programm namens B5, das die Agentur für Arbeit und das Justizministerium NRW entwickelt haben. Es bietet fünf Basismodule zur beruflichen Wiedereingliederung von Strafgefangenen, um sie auf ein Leben außerhalb der Haft vorzubereiten. Das Angebot ist freiwillig und steht allen Inhaftierten offen. 
 

Unterstützung und Verantwortung

Christian Schmeller, ein großer, kräftiger Mann, sitzt etwas gebeugt auf seinem Stuhl, als wolle er die Wirkung seiner kräftigen Statur abmildern. Der Blick aus dem markanten Gesicht ist direkt. Offen erzählt der 42-Jährige seine Geschichte. Nach einem schweren Raubüberfall mit Körperverletzung sitzt er seit fünfeinhalb Jahren im Gefängnis. Alles sei ihm scheißegal gewesen. Ganz klar sagt er: "Ich habe alles dafür getan, dass ich diese Reise antreten durfte. Jetzt tue ich alles dafür, dass ich wieder rauskomme." In der sozialtherapeutischen Abteilung der Haftanstalt Schwerte hat er zwei Jahre lang mit einer Therapeutin zusammengearbeitet. Es waren intensive Jahre. Mit guten und schlechten Zeiten. In dieser Zeit hat Schmeller gelernt, sein Leben aktiv in die Hand zu nehmen und Verantwortung für sich zu übernehmen. Sein Blick wirkt nachdenklich, als er über seine Entlassung spricht: "Draußen bin ich auf mich allein gestellt. Meine Eltern sind mein Anker, aber das meiste muss ich allein schaffen. Das wird bestimmt nicht einfach", aber "ich habe gelernt aufzustehen."

Nach der Zeit in Schwerte kam der gelernte Industriemechaniker in die JVA Bochum. Hier konnte er sich zum Schweißer weiterbilden, was seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiter verbessert. Ohne Rückhalt hätte das alles nicht geklappt, ist sich Schmeller sicher.

Neben seinen Eltern, bei denen er nach der Entlassung erst einmal unterkommen kann, sind es seine beiden Kinder, die ihn motivieren, den Weg in ein stabiles Leben in Freiheit zu finden. Und da ist Susanne Frieg, mit der er Kompetenzanalysen macht, Lebensläufe schreibt, den Stellenmarkt durchforstet und die dann "Gas gibt", wie Schmeller ihr Engagement beschreibt.

"Wichtig ist zu zeigen, hier ist jemand, der an dich glaubt."
Susanne Frieg

Bewerben aus der Haft

Susanne Frieg und Christian Schmeller sitzen gemeinsam vor den Bildschirmen und schauen sich das E-Mail-Postfach an, das sie für ihn eingerichtet hat. Schmeller hat einige Angebote für Stellen als Schweißer. Der Fachkräftemangel vereinfacht die Arbeitssuche auch für Gefangene. Für Schmeller bedeutet das, dass er sich den Job aussuchen kann. »Ich habe zwei Favoriten«, sagt er. Frieg rät ihm: "Hören Sie auf Ihr Herz!"

Dabei war das erste Bewerbungsgespräch nicht so einfach. Zwei Tage habe er gebraucht zu überlegen, wie er über seine Situation sprechen könne, erzählt Schmeller. Mit Unterstützung von Susanne Frieg bereitete er sich vor. "Am Telefon habe ich gleich gesagt: 'Ich bin aktuell inhaftiert.' Am anderen Ende war ein tiefes Durchatmen zu hören, aber dann haben wir eine halbe Stunde über den Knast gesprochen und das Eis war gebrochen."
 

Freundschaftlich und doch Grenzen setzend

Susanne Frieg schaut Schmeller an, während er spricht. Die Freude über das Erreichte ist ihr anzusehen. Frieg kommt gerne zur Arbeit. Sie beschreibt es als Berufung, Gefangene auf ihrem Weg in die Zeit nach der Haft zu begleiten, ihnen zu zeigen "Hier ist jemand, der an dich glaubt". Dabei sei es wichtig, den Menschen von seiner Tat zu trennen. "Ich lerne die Menschen erstmal kennen und schaue nicht erst auf die Straftat", erklärt sie ihre Haltung. Doch bei aller Herzlichkeit, die Frieg ausstrahlt, achtet sie auf eine professionelle Distanz. Für sie heißt das, keine persönlichen Kontakte zuzulassen und sich nicht zu illegalen Handlungen verleiten zu lassen. "Das erkläre ich meinen Teilnehmern gleich im ersten Gespräch", sagt sie. Nadja Hasenjürgen, die mit einer halben Stelle für Kolping in der JVA Bochum arbeitet, ist seit fünf Jahren die zweite Übergangsmanagerin. Die 38-Jährige berichtet: "In der ganzen Zeit ist es nur zwei Mal vorgekommen, dass ich Teilnehmer in ihre Schranken weisen musste."
 

"Wir arbeiten hier nicht nach Schema F."
Nadja Hasenjürgen

Es gibt auch Rückschläge

Beide Frauen erzählen mit Begeisterung von ihrer Arbeit. "Manchmal ruft jemand nach der Entlassung an und erzählt, wie gut es ihm jetzt geht", sagt Frieg. Und einmal sei sie sogar zu einer Hochzeit eingeladen worden. "Mein ehemaliger Klient wusste, dass ich nicht komme", sagt sie. Aber solche Momente machen sie besonders glücklich.

Es gibt auch Rückschläge. "Ganz am Anfang hat mich das fast gebrochen", erzählt Frieg. Da hat ein Teilnehmer drei Tage vor seiner Entlassung im Freigang einer alten Frau die Handtasche geklaut. Obwohl der Arbeitsvertrag unterschrieben war und auch sonst alles geregelt. Da habe sie stark an ihrer Menschenkenntnis gezweifelt und fast hingeschmissen, erinnert sich Frieg.

Arbeit, die sich lohnt

"Wir arbeiten hier nicht nach Schema F", sagt Hasenjürgen. "Es ist sehr individuell. Man muss sich auf jeden einzeln einlassen." Neben der täglichen Arbeit, wie E-Mail-Konten zu prüfen, Teilnehmer individuell auf Gespräche vorzubereiten und alles für Justiz und den kriminologischen Dienst zu dokumentieren, überlegen sich die beiden auch andere Wege, um Gefangene bei der Jobsuche zu unterstützen. Eine neue Initiative ermöglicht es beispielsweise, Arbeitgeber ins Gefängnis einzuladen, um Hemmschwellen auf beiden Seiten abzubauen. Dies sei vor allem für Häftlinge ohne vollzugsöffnende Maßnahmen, wie Ausgang oder Urlaub, interessant.

Die Vermittlungsquote auf den ersten Arbeitsmarkt beträgt 60 bis 70 Prozent. Die berufliche und dadurch soziale Integration stärkt das Selbstbewusstsein der Entlassenen. Dadurch vermindert sich das Rückfallrisiko der ehemaligen Gefangenen erheblich.

Ausbildungen in sieben Berufsfeldern

Nachdem Schmeller das Büro verlassen hat, macht Susanne Frieg einen Rundgang durch die verschiedenen Ausbildungswerkstätten der Haftanstalt. Sie besucht ihre Klienten. Es ist wichtig, dass auch andere Gefangene die Übergangsmanagerin kennenlernen, damit sie sich trauen, sie anzusprechen. In der JVA gibt es die Möglichkeit, zwölf verschiedene Ausbildungen in sieben Berufsfeldern zu absolvieren. Es können auch modulare Qualifizierungen erworben werden. Das ist besonders für diejenigen interessant, deren Haftzeit für eine komplette Ausbildung nicht mehr ausreicht.

Die Anstalt bietet auch vierwöchige Schnupperpratika an, um die einzelnen Gewerke kennenzulernen. Danach können sich die Gefangenen für einen Beruf entscheiden. Garten- und Landschaftsbau ist einer davon. Die Anstalt ist das Übungsfeld der angehenden Gärtner. Das erklärt das grüne, parkähnliche Gelände, das trotz des vorangeschrittenen Jahres farbenfroh blüht. Kaum vorstellbar, dass dies ein Gefängnis ist. Auch das Wohnhaus der Gefangenen sieht nicht wie ein typischer Zellentrakt aus. Gittern vor den Fenstern, Stacheldraht oder sonstige Anzeichen eines massiven Freiheitsentzugs sucht man vergeblich. Der Backsteinbau, in dem sich die Hafträume der Gefangenen befinden, erinnert eher an ein Seminarhaus. Beete und Büsche säumen den Weg. "Die Anstalt wird auch BoLa-Beach genannt" (Bochum Langendreer Beach), sagt Susanne Frieg lachend.

Wie Kolping Bildung bei der Resozialisierung hilft

Kolping Bildung Deutschland führt in den schleswig-holsteinischen Justizvollzugsanstalten Kiel, Neumünster und Lübeck Berufsausbildungen, Qualifizierungen sowie Bewerbungscoachings durch. Auch in Anstalten im Ruhrgebiet, Sauerland und am Niederrhein unterstützt das Bildungsunternehmen Gefangene bei der beruflichen Wiedereingliederung, um so den Übergang aus der Haft in die Freiheit zu erleichtern. Aktuell sind im Bereich Resozialisierung 52 Mitarbeitende von Kolping Bildung Deutschland an 21 Standorten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Einsatz.

"Kolping Bildung Deutschland übernimmt gesellschaftliche Verantwortung, indem wir Menschen unterstützen, die keinen makellosen Lebenslauf vorweisen können und im Leben gestolpert sind."
Julia Kölsch

Mit Vertrauen und Humor

In der Maurerwerkstatt trifft sie einen ihrer derzeit 40 Teilnehmer. Pro Jahr sind es 90. Der junge Mann misst gerade seine Mauer aus. Die beiden tauschen ein paar Worte, bevor Frieg sich auf den Weg zur Metallwerkstatt macht. Dort trifft sie einen anderen Teilnehmer, einen Lageristen in Ausbildung, der gerade am PC den Bestand des Lagers prüft. An dem humorvollen Unterton der beiden lässt sich ablesen, wie vertrauensvoll das Verhältnis ist. "Wenn ich was hätte, würden die Jungs für mich durchs Feuer gehen", ist sich Frieg sicher.

Die Klienten von Übergangsmanagering Susanne Frieg können zwölf verschiedene Ausbildungen in sieben Berufsfeldern absolvieren.

"Die Nöte der Zeit werden euch zeigen, was zu tun ist"

Frieg arbeitet seit zwölf Jahren als Übergangsmanagerin in der JVA Bochum Langendreer. Damals noch als Beschäftigte der RAG Bildung. 2011 übernahm der TÜV Nord das Übergangsmanagement, 2022 dann Kolping Bildung Deutschland. Julia Kölsch, die Vorgesetzte von Susanne Frieg, ist die Bereichsleiterin für Resozialisierung in NRW und Schleswig-Holstein. Auch sie ist heute hier. "Wir sind sehr froh jetzt zu Kolping zu gehören. Zum ersten Mal passt der soziale Träger zu unserer Bildungsaufgabe", sagt sie. Besonders hebt sie hervor, dass Kolping Bildung Deutschland nun die gesamte Linie von der Orientierung über die Bildungsbegleitung und den Übergang bis zur Nachsorge nach der Haft abdeckt. Die Nachsorge dauert nochmal sechs Monate. Dabei geht es um sehr persönliche Themen, und eine enge Zusammenarbeit ist besonders wichtig. Eine Entlassung bedeutet auch den Übergang aus einem strukturierten Alltag in unsichere Lebensverhältnisse. Probleme wie Sucht, Schulden, Wohnungslosigkeit, Stigmatisierung und psychische Erkrankungen müssen bewältigt werden. "Kolping Bildung Deutschland übernimmt gesellschaftliche Verantwortung, indem wir Menschen unterstützen, die keinen makellosen Lebenslauf vorweisen können und im Leben gestolpert sind. Wir helfen ihnen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden", erläutert Kölsch. Dies sei ganz im Sinne Adolph Kolpings.

"Wenn ich was hätte, würden die Jungs für mich durchs Feuer gehen."
Susanne Frieg

Beim Thema Wohnen sieht sie noch viel Handlungsbedarf und einen Hebel, um die Menschen nachhaltig zu stabilisieren. Der angespannte Wohnungsmarkt und die mangelnde Bereitschaft, an ehemalige Gefangene zu vermieten, tragen dazu bei, dass viele der Entlassenen direkt in die Wohnungslosigkeit abrutschen. Dem will Kölsch entgegenwirken. Für sie gilt der Leitsatz Kolpings "Die Nöte der Zeit werden euch zeigen, was zu tun ist".

Am Nachmittag gehen Susanne Frieg und Nadja Hasenjürgen zum Ausgang der JVA. Ein junger Mann in Jeanshose kommt von seinem Freigang zurück. Er bleibt stehen und erzählt Hasenjürgen, dass er seinen Arbeitsvertrag gerade unterschrieben hat. Nicht nur er strahlt über das ganze Gesicht, auch Hasenjürgen kann ihre Freude nicht verbergen. Fast wie ein Kind lacht sie und gratuliert dem jungen Mann zu seinem Erfolg. Ein erster Schritt ist getan.


Text und Fotos: Barbara Bechtloff
Titelbild: Milo Bauman/Unsplash

Interview

"Was der Mensch aus sich macht, das ist er"

Die Kolping-Bildungsunternehmen (KBU) sind integraler Bestandteil von KOLPING. Ein Interview mit Wolfgang Gelhard, Vorstandsvorsitzender der KBU.

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