Ausgabe 2-2023 : Mai

Augenhöhe und Herzensnähe – Barmherzigkeit zählt

"Wir selbst sind fehlerhafte Menschen und haben mit fehlerhaften Menschen zu tun; wir verdienen Barmherzigkeit, wenn wir Barmherzigkeit üben." (Adolph Kolping)

"Barmherzigkeit ist der letzte und endgültige Akt, mit dem Gott uns entgegentritt. Barmherzigkeit ist das grundlegende Gesetz, das im Herzen eines jeden Menschen ruht und den Blick bestimmt, wenn er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen. Barmherzigkeit ist der Weg, der Gott und Mensch vereinigt, denn sie öffnet das Herz für die Hoffnung, dass wir trotz unserer Begrenztheit … für immer geliebt sind" So beschreibt Papst Franziskus in seiner Botschaft "Misericordiae Vultus" (2015), worum es geht. Barmherzigkeit ist die Haltung des Samariters, der sich um den kümmert, der unter die Räuber gefallen ist. Barmherzigkeit braucht Augenhöhe und die Herzensnähe zu den Menschen, um echt zu sein. Der Blick auf die Wirklichkeit des Lebens muss ernstnehmen, was ernstgenommen werden muss.

Sehnsucht nach Herzensnähe

Papst Franziskus sagt weiter: "Der Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt, ist die Barmherzigkeit. Ihr gesamtes pastorales Handeln sollte umgeben sein von der Zärtlichkeit, mit der sie sich an die Gläubigen wendet; ihre Verkündigung und ihr Zeugnis gegenüber der Welt können nicht ohne Barmherzigkeit geschehen. Die Glaubwürdigkeit der Kirche führt über den Weg der barmherzigen und mitleidenden Liebe. ... Vielleicht haben wir es für lange Zeit vergessen, auf den Weg der Barmherzigkeit hinzuweisen und ihn zu gehen." Damit sind wir aber genau auf dem Punkt, wo es wehtut: nicht wenige Menschen vermissen im Blick auf die Kirche genau diese Barmherzigkeit; sie sehen eher ein Verharren auf Positionen, die schon längst vom wirklichen Leben der Menschen überholt worden sind. Von Herzensnähe spüren sie wenig, aber die Sehnsucht danach bleibt stark.

Liebe erfahrbar machen

"Wenn Gott bei der Gerechtigkeit stehen bliebe, dann wäre er nicht mehr Gott, sondern vielmehr wie die Menschen, die die Beachtung des Gesetzes einfordern. Die Gerechtigkeit allein genügt nicht und die Erfahrung lehrt uns, dass wer nur an sie appelliert, Gefahr läuft, sie sogar zu zerstören. Darum überbietet Gott die Gerechtigkeit mit der Barmherzigkeit und der Vergebung. Das bedeutet keinesfalls, die Gerechtigkeit unterzubewerten oder sie überflüssig zu machen. Ganz im Gegenteil: Wer einen Fehler begeht, muss die Strafe verbüßen. Aber dies ist nicht der Endpunkt, sondern der Anfang der Bekehrung, in der man dann die Zärtlichkeit der Vergebung erfährt. Gott lehnt die Gerechtigkeit nicht ab. Er stellt sie aber in einen größeren Zusammenhang und geht über sie hinaus, so dass man die Liebe erfährt, die die Grundlage der wahren Gerechtigkeit ist."

Darum geht es also: die Liebe zu erfahren und sie erfahrbar zu machen, die von Gott kommt. Barmherzig zu sein heißt also: die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist – und die ist nicht selten schwer zu ertragen, weil Menschen ihre Interessen ohne Rücksicht durchsetzen. Aber auch im Blick auf uns selbst gilt: "Wer Liebe und Barmherzigkeit haben will, muss sie selbst geben und gewähren." (Adolph Kolping)
 

Hans-Joachim Wahl
Bundespräses


Kolpingwerk Deutschland
50606 Köln
bundespraeses(at)kolping.de

Fotos: Dmitri Lytov, Kolpingwerk Deutschland

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