Ausgabe 3-2023 : August

Beeindruckendes Nothilfe-Netzwerk für Geflüchtete

Im Westen der Ukraine ist Kolping zu einem wichtigen Akteur der Flüchtlingshilfe geworden. Möglich ist dies dank der unermüdlichen Arbeit aller Beteiligten sowie der internationalen Solidarität des Verbandes.

v.l.n.r. Lydia, Angelika und Tatjana haben in der Notunterkunft von KOLPING Ukraine in Czernowitz wertvollen Beistand und neue Kraft gefunden.

Mit Tatjana über ihre Heimat zu sprechen ist schwer. Unentwegt knetet die 66-Jährige ihr von Tränen durchnässtes Taschentuch. Sie war eine der Ersten, die auf der Flucht vor dem russischen Militär ins bislang kriegsverschonte Czernowitz im Westen der Ukraine kam. Ihre Heimatstadt Popasna in Luhansk war schon seit 2014 umkämpft. Doch mit dem Einmarsch der russischen Armee wurde der Ort innerhalb kürzester Zeit komplett zerstört. "Ich flüchtete in den Keller. Dann schlugen die Raketen ein und trafen das Haus", erzählt sie und zeigt auf ihrem Handy zitternd das Bild eines zerbombten Hochhauses. "Helfer retteten mich aus den Trümmern und nahmen mich mit Richtung Westen." Auf verschlungenen Wegen gelangte Tatjana in die Notunterkunft von KOLPING Ukraine in Czernowitz, eine ehemaligen Schule, deren Klassenzimmer der Verband zu Schlafsälen, Notküchen und mobilen Gesundheitszentren umfunktioniert hat. Czernowitz ist ein beschauliches Städtchen mit 220.000 Einwohnern nahe der Grenze zu Rumänien.

"Als ich die Nachricht von der Invasion der russischen Truppen erhielt, war mir sofort klar, dass Flüchtlinge kommen würden, viele Flüchtlinge."
Vasyl Savka, Nationalsekretär von KOLPING Ukraine

"Ich rief die Vorsitzenden aller 23 Kolpingsfamilien an und bat um Hilfe. Sie hatten längst angefangen, Matratzen, Decken und Essen zu organisieren." Tatsächlich wurde Czernowitz zum Durchgangsort für zahlreiche Flüchtlinge, die von dort nach Rumänien oder weiter nach Europa reisen wollten. Sie alle mussten versorgt werden. Und mit zwei größeren Notunterkünften in Czernowitz und Schargorod sowie einem weiteren Hilfsnetzwerk wurde der ukrainische Kolpingverband rasch zu einem unverzichtbaren Teil der Flüchtlingshilfe.

Noch immer kommen in Czernowitz Geflüchtete an, doch es sind weniger geworden. Die meisten, die fliehen konnten, sind inzwischen aus den besetzten und umkämpften Gebieten ausgereist. "Diejenigen, die noch dort sind, sind für eine Flucht meist zu alt oder zu krank. Deshalb verlagert sich unsere Arbeit gerade darauf, diese Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen", erklärt Vasyl Savka und zeigt eines der Hilfsgüterlager in der Garage des örtlichen Kolpinghauses. Dort stapeln sich Kisten mit Lebensmitteln, Medikamenten, Verbandsmaterialien, Hygieneprodukten und Wasserfiltern. Seit Kriegsbeginn kommen jede Woche neue Transporte der Kolpingverbände aus Rumänien und Polen an. Finanziert wird diese gemeinschaftliche Nothilfe durch Spenden. 
2,4 Millionen Euro erhielt KOLPING INTERNATIONAL bereits dafür. "Es gab sogar Geldspenden von Kolpinggeschwistern aus Ruanda und Burundi. Da habe ich wirklich verstanden, was hinter dem Begriff Kolpingsolidarität steckt", erzählt der Nationalsekretär. Und es kam nicht nur materielle Hilfe. "Viele schrieben auch 'Wir beten für euch'. Das hat uns Kraft gegeben, weil wir fühlten, dass wir mit unserer Tragödie und unserem Kummer nicht alleine sind."
 

Schutz auf Zeit

Bis zu vier Monate können Schutzsuchende bei Kolping bleiben. Dann muss eine andere Lösung gefunden werden. Viele reisen weiter. 50.000 Menschen blieben in Czernowitz, leben nun oft in Not-Wohngemeinschaften oder Containern. Es sind diejenigen, die kein Geld für eine weite Reise haben, keine Verwandten im Ausland oder einfach keine Kraft. Tatjana hat vor einigen Monaten eine neue Unterkunft gefunden; doch sie bleibt auf Hilfe angewiesen. Täglich geht sie in die Suppenküche, die die Kolpingsfamilie Czernowitz seit Kriegsbeginn betreibt. Dort erhalten Bedürftige kostenlos ein warmes Mittagessen. Rund 500 Mahlzeiten kocht das ehrenamtliche Team jeden Tag mit den Lebensmitteln, die die Nachbarverbände Rumänien und Polen regelmäßig liefern.

Gemeinsam statt einsam

Die Suppenküche ist auch der Ort, an dem Tatjana Menschen trifft, die bei Kolping von Fremden zu Freunden wurden. Gemeinsam mit Lydia aus Cherson und Angelika aus Saporischschja hat sie sogar Tarnnetzte für Panzer genäht. "Um etwas beizutragen und mich nicht so nutzlos zu fühlen", sagt sie. Besonders wichtig ist für die Frauen der Austausch untereinander. "Die Menschen in der Stadt sind hilfsbereit. Aber sie verstehen nicht wirklich, was Krieg bedeutet. Sie haben nicht erlebt, was es heißt, beschossen zu werden oder Leichen zu sehen", sagt Angelika.

Viele der geflüchteten Menschen sind einsam. Vor allem die älteren Frauen sind oft völlig alleine. Ihre Männer und Söhne sind im Krieg, die Töchter samt Enkeln weit verstreut. Es gibt keinen, der ihnen Mut zuspricht. Deshalb bietet KOLPING Ukraine auch psychosoziale Unterstützung an. Jede Woche öffnen Valerij Zahorskiv und Elena Kononychia,
 beides psychologisch ausgebildete Ärztinnen, die Türen für ihre Therapie-gruppe. Zu Beginn erzählen alle, wie sie sich fühlen. "Sorgenvoll, weil Freunde in Gefahr sind, aber auch dankbar, weil ich in Sicherheit bin", meint Marina, die gerade in Kiew war. "Es war gut, alte Freunde zu treffen. Aber viele haben Angehörige verloren und sind voller Trauer. Das ist schwer zu ertragen."

In den Sitzungen können Marina und die Frauen ihre Sorgen und Nöte teilen. Sie motivieren sich gegenseitig zu Sport, Spaziergängen und Dingen, die Freude machen. "Die Gruppe hilft mir, zu heilen, wieder ganz zu werden und weiterzumachen. Sie ist überlebenswichtig und ich bin allen Menschen, die sie ermöglichen, sehr dankbar", so Marina. Wie es künftig weitergehen wird? Das weiß keiner. Wer noch ein Zuhause hat, hofft auf baldige Heimkehr. Tatjana weiß nicht, wo sie nach dem Krieg hin soll, ihre Heimat ist zerstört. "Aber immer, wenn ich verzweifle, erinnere ich mich daran, wie ich im Winter frierend im Luftschutzkeller saß und wieviel besser es mir jetzt schon geht, hier – wo ich hier in Ruhe und Sicherheit bin. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft."


Text: Katharina Nickoleit
Foto: Christian Nusch
    
 

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