Ausgabe 2-2022 : Mai

Einsamkeit ins Blickfeld rücken

In anderen Ländern längst Usus, ist auch hierzulande das Thema Einsamkeit in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren ins Blickfeld der Politik gerückt. Und das ist gut so!

Stellt Euch einmal folgendes Szenario vor: Ihr habt ein Familienfest geplant. Euer Telefon klingelt und es meldet sich eine Agentur, die bei Euch anfragt, ob Ihr nicht eine weitere Person mit am Tisch aufnehmen könntet. Ihr kennt die Person nicht. Sie hat sich bei der Agentur angemeldet, um mal wieder an einem gesellig-schönen Abend teilnehmen zu können. 

Noch mag eine solche Vorstellung in den meisten Ohren befremdlich klingen. In Japan und China sind solche Geschichten längst gesellschaftliche Realität. Im Notfall wird auch eine ganze Gesellschaft vermittelt, die zum Geburtstag erscheint.

Was nach einem etwas abstrusen wissenschaftlichen Experiment klingt, ist also in asiatischen Gesellschaften schon die Wirklichkeit. Der Hintergrund dieses künstlich errichteten engsten Familienkreises liegt auf der Hand: Immer mehr Menschen sind durch Einsamkeit bedroht, leiden unter Isolation und vermissen dringend benötigten gesellschaftlichen Anschluss.

Auch hierzulande ist das Thema Einsamkeit in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren ins Blickfeld der Politik gerückt. Und das ist gut so!

Die Einsamkeit ist eine Brutstätte, aus der andere schwerwiegende Folgeerscheinungen, individuell und auch gesellschaftlich, hervorgehen. Einsame Menschen sind gefährdet, an ihrer Einsamkeit zu leiden, darüber an Leib oder Seele zu erkranken und schließlich in einen Strudel zu geraten, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Es ist an der Zeit, dass die Politik sich des Themas annimmt. In Großbritannien wurde bereits 2018 unter Premierministerin Theresa May ein Ministerium für Einsamkeit geschaffen. Das Ministerium müht sich seither, Menschen aus ungewollter Isolation zu befreien. Auch im Koalitionsvertrag der deutschen Ampelregierung taucht das Thema auf, im Februar wurde das Kompetenznetz Einsamkeit begründet. Ein Pakt gegen Einsamkeit soll damit geschlossen und so gesellschaftliche Kräfte gebündelt werden. Dem ersten wichtigen Schritt müssen nun weitere richtige Schritte folgen. Das Thema muss längerfristig behandelt werden. Zu prüfen wäre, welches langfristige Format dem Trend zur kurzfristigen Erregung durch das Pandemie-Geschehen entgegenwirkt. Die Verantwortlichen müssen darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass Einsamkeit ein generationsübergreifendes Phänomen mit vielen Ursachen und Facetten darstellt. Nicht nur ältere Menschen leiden darunter. Schließlich muss der Staat erkennen, dass er selbst das Rad nicht neu erfinden muss.

Bevor er ganz neue Institutionen aus der Taufe hebt, sollten kompetente Akteure der Zivilgesellschaft – auch finanziell – unterstützt und gefördert werden. Ein langfristig angelegter Pakt gegen die wachsende Einsamkeit – das könnte auch viele verbandliche und kirchliche Kräfte aktivieren!


Foto: Anthony Tran/unsplash.com

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