Ausgabe 4-2020 : November

Den Schwächsten eine Stimme geben

Es musste gehandelt werden: Der Ausbreitung des Corona-Virus wurde mit Kontaktbeschränkungen und Regeln entgegengetreten, die den Alltag aller Menschen in unserem Land massiv beeinflusst und – aus Sicht vieler – eingeschränkt haben.

Dies war und ist allerdings nötig, um in einer verhältnismäßigen Art und Weise eine weitere Ausbreitung des Virus und damit die gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung zu verhindern. Schnell wurde Kritik an den Maßnahmen laut. Und sie kam von denjenigen, die ohnehin mit einer starken Stimme wahrgenommen werden: Die Diskurse um Lockerungen wurden zunächst maßgeblich von Industrie und Handel geprägt und im zeitlichen Verlauf auf die Situation im Bildungssystem (Öffnung von Kitas und Schulen) ausgeweitet. Doch während einige gut durch die Corona-Pause kommen und teilweise sogar positive Auswirkungen im Sinne persönlicher Entschleunigung erleben, leiden die Schwächsten der Gesellschaft – und das oft still – am meisten. Beispielhaft dafür ist die Situation in den Pflegeheimen.

Im Bereich der stationären Pflege wirkte Corona – wie in vielen anderen Bereichen auch – wie ein Brennglas und lenkte den Blick auf die teils nicht hinnehmbaren Bedingungen, unter denen Pflege und Betreuung geleistet werden. Natürlich mussten und müssen gerade ältere, vorerkrankte und/oder pflegebedürftige Menschen in besonderer Weise vor dem Corona-Virus geschützt werden. Zugleich wurden meines Erachtens viel zu spät die Stimmen jener Heimbewohner und Heimbewohnerinnen sowie deren Angehörigen gehört, die durch die monatelangen Kontaktsperren viel Leid erfahren haben.

Körperliche und emotionale Nähe zwischen (familiären) Angehörigen kann nicht durch professionelle Pflege und schon gar nicht durch digitale Medien ersetzt werden. Auch nach den ersten Lockerungen bleibt die Situation für viele Menschen prekär: Ist etwa der Kontakt nur durch eine Plexiglasscheibe möglich, ist dies nicht nur unangemessen, sondern für viele Pflegebedürftige zutiefst verstörend. Es geht um elementare menschliche Bedürfnisse. Dass dem so ist, zeigen die Beispiele zahlreicher Pflegebedürftiger, bei denen eine Verschlechterung des Allgemeinbefindens zu beobachten ist. Wenn zudem – im schlimmsten Falle – Menschen in der letzten Phase ihres Lebens nicht begleitet werden können und voller Einsamkeit sterben, ist dies in unserer Gesellschaft nicht hinzunehmen. 

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich der Kern einer (funktionierenden) Gesellschaft. Dabei nicht nur auf die laut und öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Forderungen einzugehen, sondern solidarisch ein Miteinander im Blick zu haben, sollte Anspruch und Zielsetzung einer demokratischen Gesellschaft sein.


Foto: Sabine van Erp/pixabay

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