Ausgabe 1-2024 : Februar

Europawahlen 2024

Der Binnenmarkt braucht eine soziale Dimension.

Drei Jahrzehnte nach seiner Einführung ist der europäische Binnenmarkt zur Selbstverständlichkeit geworden. Angesichts aktueller Herausforderungen und Krisen gerät jedoch leicht aus dem Blick, dass der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen, Arbeitskraft und Kapital nicht ohne eine soziale Dimension auskommt. Bisher liegt es fast ausschließlich in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten, Fehlentwicklungen des freien Marktes einzuhegen und soziale Absicherung zu garantieren. Stichwort: "Soziale Marktwirtschaft". Doch in einem voll funktionsfähigen Binnenmarkt braucht es langfristig mehr als nur den freien Austausch von Gütern und Arbeitskräften. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch die Europäische Union zu eigen gemacht. 

Dringend erforderlicher Paradigmenwechsel

Hatten ihre Institutionen infolge der Finanzkrise noch darauf gedrungen, Arbeitnehmerrechte und Sozialstandards in den sogenannten "Krisenstaaten" zurückzufahren, so haben sie im November 2017 mit der "Europäischen Säule sozialer Rechte" Grundsätze für ein soziales Europa vorgelegt. Damit wurde ein dringend erforderlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Denn die EU kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie den sozialen Zusammenhalt ihrer 27 Mitgliedsstaaten stärkt. Unterschiedliche Transfersysteme, allen voran die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, leisten dazu seit langem einen Beitrag. Doch im Bereich einer "harten" Gesetzgebung wird die EU erst allmählich und zuweilen noch zögerlich aktiv. Bestes Beispiel ist die Europäische Mindestlohnrichtlinie: Ursprünglich sollte sie verbindliche Mindestlohnniveaus in den Mitgliedsstaaten setzen. Am Ende wurde sie zu einem gemeinsamen Orientierungsrahmen eingedampft, der den EU-Staaten bei Umsetzung und Anpassung deutlich mehr Spielraum lässt.

Die anstehenden Europa-Wahlen sollten Anlass bieten, den Dialog über die soziale Dimension der EU zu intensivieren. Wie lassen sich als Lehre aus der Corona-Pandemie die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten besser aufeinander abstimmen, um im nächsten Krisenfall rascher zu reagieren? Wann entsteht eine gemeinsame Strategie gegen die Folgen des demografischen Wandels, insbesondere mit Blick auf Fachkräfteintegration und Alterssicherung? Und wie könnte eine Europäische Arbeitslosenversicherung Gestalt annehmen, durch die sich die Auswirkungen einer weiteren Finanzkrise abfedern ließen? Es gibt viele Fragen auf dem Weg zu einem sozialeren Europa. Es lohnt sich, auf die Suche nach Antworten zu gehen.

alexander.suchomsky(at)kolping.de


Foto: Maximalfocus auf Unsplash

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