Ausgabe 1-2022 : Februar

Und dann bist du dran?!

Nach der Schule trittst Du dann in die Fußstapfen deiner Eltern – diese Erwartung kennen viele Kinder, deren Eltern einen Familienbetrieb führen. Aber ist das so selbstverständlich? Warum entscheiden sich junge Menschen für oder aber auch gegen einen Weg ins Familienunternehmen?

Eine mittelständische Baufirma, ein Weingut und ein Reiterhof: Die Orte könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Genauso wie Benedikt und Christian Huf, Nicole Siener und Melanie Vögele, die in diesen Umfeldern aufgewachsen sind. Eine Gemeinsamkeit haben aber alle: Sie alle sind in Familienbetrieben groß geworden.

„Früher am Küchentisch wurde ganz selbstverständlich über die Firma gesprochen“, erzählt Christian Huf, „wir kennen es gar nicht anders.“ Sein Cousin Benedikt nickt dem 32-Jährigen von der Seite bestätigend zu. Die beiden haben im vergangenen Jahr das Familienunternehmen übernommen und leiten es seitdem. In vierter Generation. 1912 gründete Johann Huf „Huf Haus“, zunächst als Zimmerei mit Sägewerk. Über die Jahrzehnte entwickelte sich der Handwerksbetrieb zu einem Vorreiter für den Bau moderner Fachwerkhäuser. Heute, mehr als 110 Jahre später, tragen die zwei Urenkel die Verantwortung für das Traditionsunternehmen in einem kleinen Ort im Westerwald.

Die Firma immer im Blick

Dass die beiden die Familientradition fortsetzen, habe sich so über die Jahre ergeben, meint Benedikt. Schon früh zeichnete sich bei ihm ab, dass er in die Wirtschaft gehen will: Dem Wirtschaftsabitur folgten eine Bankausbildung und ein Betriebswirtschaftsstudium mit Fachrichtung Bau und Immobilien. Dabei immer im Blick: Das Unternehmen des Vaters. Dass er nach dem Studium dort einsteigen möchte, wurde ihm im Laufe seiner Ausbildung klar. Und das ganz ohne familiären Druck, wie der 34-Jährige betont. „Aus Familienunternehmen kennt man das auch anders; dafür bin ich sehr dankbar."

Christian (l.) und Benedikt Huf sind Cousins – und Geschäftspartner. Dass sie sich seit ihrer Kindheit gut kennen, sehen sie als Vorteil für die Arbeit.

Es hört sich fast zu schön an, eine Ausbildung, der direkte Einstieg ins Unternehmen und nach knappen zehn Jahren die Übernahme der Geschäftsführung. Die Firma Huf Haus ist weit über den 800-Einwohner-Ort hinaus bekannt, die Aufgabe groß: 420 Mitarbeitende hat das Unternehmen, es ist über Ländergrenzen hinweg erfolgreich. Mit dem Erfolg geht auch eine große Verantwortung einher. Ob sie nie daran gedacht haben, doch lieber einen anderen Weg einzuschlagen? „In der Vergangenheit gab es sicher mal einen ganz kurzen Moment, in dem ich überlegt habe, ob das das Richtige ist“, gibt Christian Huf zu, „allerdings finde ich das auch gar nicht schlimm. Ganz im Gegenteil: Ich finde es total wichtig, sich selbst zu fragen, ob es das ist, was man wirklich will.“

"Ich brauche die Trennung zwischen Privat- und Berufsleben gar nicht unbedingt."
Christian Huf

Die Cousins sind sich einig, sie fühlen sich wohl im Familienunternehmen. Auch, wenn die Trennung zwischen Privat- und Berufsleben kaum möglich ist. Der eine wohnt inmitten von Musterhäusern direkt im sogenannten HUF-Dorf, der andere zieht dort demnächst hin. Christian Huf stört das nicht. „Ich brauche diese Trennung gar nicht unbedingt, vielleicht auch, weil ich es noch nie anders kennengelernt habe.“ Was andere Menschen in ihrem Beruf stören würde, sehen die beiden nicht als Nachteil. Im Familienunternehmen zu arbeiten hat für die beiden noch ganz andere Vorteile. „Es herrscht ein unglaublicher Vertrauensvorschuss in vielen Bereichen,“ erzählt Christian. Trotz unterschiedlicher Interessen gab es für beide die passende Nische im Unternehmen. Auch einige ihrer Geschwister arbeiten inzwischen bei Huf Haus, als Architekt oder im Bereich der Gartenarchitektur. Aber nicht alle sind in die Fußstapfen ihrer Ahnen getreten. Ein Bruder hat beispielsweise Sportmanagement studiert und macht inzwischen etwas ganz anderes.

Drei Generationen der Familie Huf auf einmal: Alle sind der Firma treu geblieben.

Vom Pferdestall in die Großstadt

Wie er hat sich auch Melanie unabhängig von den Eltern orientiert. Die bauten um die Jahrtausendwende südlich von Freiburg einen Reiterhof. Ihre Entscheidung war nicht aus heiterem Himmel gekommen: Bereits Melanies Großeltern waren in der Landwirtschaft tätig. Für Melanie und ihre jüngeren Geschwister war der Hof zunächst ein Paradies. „Wir hatten den ganzen Tag über Tiere, Traktoren und vor allem Pferde um uns herum“, erzählt die 27-Jährige, „auch in der Schule war der Hof natürlich immer ein Highlight. Man war ja auch ein bisschen stolz darauf“, erinnert sie sich. Die Familie lebte zusätzlich auch auf dem Hof. Dass eine Trennung von der Arbeit und Privatem kaum möglich war, störte Melanie nicht. Bis zum 15. Lebensjahr waren Pferde und auch das Sportreiten ein großes Thema für sie. Früh vor der Schule fütterten alle gemeinsam die Tiere, in den Ferien half sie mit, Kinder-Reitfreizeiten zu betreuen.

Erst in der Pubertät rückten andere Themen und Hobbys in den Vordergrund. Melanie beschloss, mit dem Reiten aufzuhören. Rückblickend sieht sie das als eine Art Cut, auch mit dem Hof. Als es dann darum ging, was sie nach der Schule machen würde, fiel ihr die Entscheidung leicht. „Ich war schon immer das kreative Kind in der Familie. Für mich war früh klar, dass ich den Reiterhof auf keinen Fall übernehmen, sondern einen kreativen Beruf ausüben wollte.“

Heute arbeitet Melanie als Grafikdesignerin. Sie ist glücklich mit ihrer Entscheidung, den Hof zu verlassen.

Praktisch hieß das für Melanie eine Grafikdesignausbildung in Freiburg. Danach zog sie für die Arbeit knapp 800 Kilometer ans andere Ende von Deutschland, nach Hamburg. Die räumliche Trennung unterstrich auch nochmal Melanies Entscheidung, dem Hof den Rücken zuzuwenden. Ihre Familie zeigte dafür Verständnis. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Eltern mich nie dazu gedrängt haben, den Reiterhof zu übernehmen“, erzählt sie, „ganz im Gegenteil: Sie haben immer darauf gepocht, dass meine Geschwister und ich auf jeden Fall eine Ausbildung machen, die idealerweise auch nichts mit dem Hof zu tun hat.“

Trotzdem ist sich die Grafikdesignerin sicher, dass sich ihre Eltern gefreut hätten, wenn sie oder ihre Geschwister den Hof übernommen hätten. Melanie ist bis heute zufrieden mit ihrer Entscheidung. Wäre sie auf dem Hof geblieben, wäre sie nie aus Freiburg weggezogen: Eine Sache, die Melanie nicht gewollt hätte. Auch ihre beiden Geschwister haben sich letztlich gegen eine Übernahme des Hofes und für andere Berufsfelder entschieden. Dass es so gekommen ist, darüber ist Melanie froh. „Hätten alle drei Geschwister den Hof übernehmen wollen, hätte es wahrscheinlich mehr Probleme und Streit gegeben, als wenn alle sagen, sie wollen das nicht machen.“

Melanies Eltern leben inzwischen getrennt, der Vater leitet nach wie vor den Reiterhof. Die 27-Jährige ist der Landwirtschaft nicht abgeneigt, wenn es in der Familie etwas zu tun gibt und sie in der Heimat ist, ist sie am Start. Dass sie irgendwann aber auf den Hof zurückkehrt, schließt sie für sich allerdings absolut aus. „Als Kind war das gut so. Ich bin aber sehr zufrieden mit der Entscheidung, meinen eigenen Weg gegangen zu sein“, meint Melanie zufrieden.

Winzerin oder lieber doch nicht?

Ihren eigenen Weg geht auch Nicole Siener. Und tritt dabei doch auch irgendwie in die Fußstapfen der Eltern. Aber von Anfang an: Bereits die Großeltern der 24-Jährigen haben in Rheinland-Pfalz ein Weingut aufgebaut. Der Familienbetrieb ging in die nächste Generation, auf Nicoles Eltern, über. Heute existiert das Weingut seit über 60 Jahren. Nicole kennt es gut. Sie hat alle Schritte im Arbeitsablauf tagtäglich mitbekommen: Anbau, Lese, Herstellung, Vermarktung, Verkauf.

Bis sie zwölf Jahre alt war, lebte sie mit ihren Eltern, einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder sogar auf dem Gut. Es sei immer sehr turbulent gewesen, teils auch sehr anstrengend, erinnert sich Nicole. „Wir waren schon immer mittendrin. Eigentlich ging es immer um die Arbeit, um Kunden oder um Wein. Wenn es Herbst wurde, war es laut, und die Eltern haben ewig gearbeitet. Auch wir waren immer wieder mit am Feld dabei.“ Manchmal mehr, meistens aber weniger freiwillig, meint Nicole. „Das ging nie so richtig von meiner Schwester und mir aus“, gibt sie zu. Als sie älter wurde, verging die Lust, den Eltern viel zu helfen. „Ich wollte mich mit Freundinnen und Freunden treffen, ins Volleyballtraining, meine Freizeit selbst gestalten“, erzählt Nicole.

Gegen Ende der Schulzeit war sie sich sicher: „Ich will nichts mit dem Betrieb zu tun haben, auch weil ich viel Negatives damit verband: Es wurde immer viel gearbeitet, teilweise zu viel.“ Nicole wollte ihr Leben anders gestalten. Au-Pair in Island und ein Studium im Bereich Medien und Kommunikation waren ihre nächsten Schritte. Während des Studiums merkte sie jedoch schnell, dass es nicht funktionierte. „Ich habe mich dort nicht gut aufgehoben gefühlt.“ Sie brach das Studium ab und absolvierte für ein Jahr einen Freiwilligendienst in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Die Bewohnerinnen und Bewohner dort pflegten einen Gemüsegarten, für Nicole ein Blicköffner. „Ich wusste eh schon, dass ich kein Büromensch bin. Im Garten habe ich gemerkt, dass mich das Thema Landwirtschaft und auch Weinbau irgendwie nicht loslässt.“

Nicole kam ins Grübeln, und nach dem Freiwilligendienst fällte sie eine Entscheidung: Sie möchte eine Ausbildung als Winzerin machen. Heute steht sie ein halbes Jahr vor ihrem Abschluss. Ans Abbrechen der Ausbildung Nicole Siener denkt sie nicht.

Bei Wind und Wetter ist Nicole im Herbst bei der Ernte zwischen den Weinreben unterwegs.

Aber sie ist auch realistisch und kennt die Herausforderungen. „Es ist schon ein schwieriger Beruf: Man müsste sich eigentlich spezialisieren, es gibt viel Konkurrenz und dann ist es doch wieder eine Nische“, merkt sie an. Wie es nach der Ausbildung weitergeht, weiß Nicole noch nicht: ein landwirtschaftliches Studium, einen Job als Winzerin oder doch zurück in den Betrieb der Eltern. Alles sind potentielle Wege. In einer Sache ist sich die angehende Winzerin aber sicher: Komplett ins Familienunternehmen möchte sie vorerst nicht einsteigen, dazu sind ihre  Befürchtungen zu groß: „Man bleibt wahrscheinlich immer ein Stück weit in der Rolle der Tochter und kann sich nicht so richtig entwickeln“, bedenkt sie. Auch, dass sie zu Überstunden schwerer ,Nein‘ sagen könne, weiß sie.

"Ich habe Sorge, dass ich dem Betrieb nicht gerecht werde."
Nicole Siener

Ganz ausschließen möchte sie den Betrieb ihrer Eltern für ihren weiteren Lebensweg aber nicht. Vielleicht eine Teilzeitstelle, überlegt die 24-Jährige. „Wahrscheinlich würde ich mich im  Familienbetrieb freier in der Arbeit fühlen“, wägt sie ab, „außerdem ist es ja auch irgendwie schön, dass ich mich mit der Arbeit dort irgendwie identifizieren kann, weil es meine Familie ist.“ Das sei für sie ein Vorteil im Vergleich zu anderen Betrieben. Zuletzt verspürt Nicole auch großen Respekt vor ihren Eltern „Ich habe Sorge, dass ich dem Betrieb nicht gerecht werde und ihn auch wirtschaftlich nicht so weiterführen kann, wie es meine Eltern gemacht haben. Man ist ja auch dem verpflichtet, was früher aufgebaut wurde. Das ist schon eine große Aufgabe.“


Bilder: Barbara Bechtloff; TopVectors, melitas, lemono, Yulia Sutyagina, Chris Rausch/istock; privat