Ausgabe 3-2021 : Juli

Eine Kindheit für die Familie

Als Kind oder Jugendlicher die eigenen Angehörigen pflegen müssen – in dieser Situation sind in Deutschland rund eine halbe Million junge Menschen. Die 16-jährige Lana Rebhan ist eine von ihnen. Aus der herausfordernden Situation macht sie das Beste und will dabei auch anderen Mut machen.

Es war ein schleichender Prozess, erzählt Lana: „Am Anfang hieß es beim Spielen: Spring den Papa nicht so an, das tut ihm weh. Irgendwann kam dann zum ersten Mal der Krankenwagen, und Papa kam mit Nierenversagen und Lungenentzündung ins Krankenhaus“.

Die 16-Jährige spricht abgeklärt und routiniert von der chronischen Nierenkrankheit ihres Vaters. Kein Wunder – seit ihrem achten Lebensjahr gehört diese zu Lanas Alltag. Ihre Mutter ist den ganzen Tag berufstätig, der Vater auf Unterstützung angewiesen: Lana ist es gewohnt, Einkäufe zu erledigen, zu kochen und einfach dort anzupacken, wo sie gebraucht wird. Sie ist dabei „Young Carer“. So werden minderjährige Person genannt, die Angehörige pflegen und in alltäglichen Aufgaben unterstützen. 
 

Mit 14 Jahren gründete Lana die Initiative „Young Carer Hilfe“. Damit möchte sie anderen jungen Menschen Mut machen.

Über 2.000 Briefe an die Politik

In Großbritannien ist der Begriff schon lange bekannt. Dort gibt es viel Unterstützung für Minderjährige, die aufgrund der familiären Situation häufig psychischen, sozialen und schulischen Belastungen ausgesetzt sind. In Deutschland vermisst Lana das bis heute. Mit 14 hat sie deshalb die Initiative „Young Carer Hilfe“ gegründet. „Zu Beginn habe ich über 2.000 Politikern Briefe geschickt. Ich wollte wissen, inwieweit es überhaupt Hilfsangebote gibt.“

Das Ergebnis war erschreckend. Unter den Kreisstädten Bayerns konnte nur eine Stadt konkrete Hilfsangebote benennen. Für Lana ein Problem: „Viele Kinder und Jugendliche realisieren gar nicht, dass sie Young Carer sind. Dabei muss man nur ein bisschen zuhören.“

„Das Thema Pflege begegnet fast jeder und jedem mal. Die Frage ist nur: Wann?“
Lana Rebhan

Ihr selbst hat in den letzten Jahren oft Unterstützung gefehlt. Lana erinnert sich an Situationen, in denen sie sich mehr Verständnis gewünscht hätte. „Papa lag nach einem Herzinfarkt im Koma und ich saß in der Schule und musste in einer Matheaufgabe die Pumpleistung des menschlichen Herzens berechnen. Da ist man mit dem Kopf einfach nicht bei der Sache.“  Gerade der Balanceakt zwischen Schule und Familie ist für junge Menschen oft nicht einfach. „Ich finde es traurig, dass in dem Moment, in dem sich Kinder in ihrem Gewissenskonflikt Schule vs. Familie für letzteres entscheiden, nicht die Unterstützung vom Staat bekommen“, meint Lana.

Das Gefühl, gesehen zu werden

Seit dem Start ihrer Initiative steht sie oft in der Öffentlichkeit. Stellvertretend spricht die Auszubildende für viele andere junge Menschen. Dabei entstehen immer wieder neue Ideen. „Seit einiger Zeit haben wir ein Mentoringprogramm, in dem sich Freiwillige zu Young-Carer- Mentorinnen und Mentoren ausbilden lassen und so Kinder und Jugendliche im Alltag unterstützen.“ Lana ist überzeugt davon, dass Jugendliche in der Situation erst einmal das Gefühl brauchen, gesehen zu werden. Die eigenen Angehörigen in jungem Alter zu pflegen, ist nicht einfach. Für Lana ist trotzdem klar: Mit Unterstützung von außen ist es auch als junger Mensch möglich, an das Thema Pflege herangeführt zu werden. Dafür kämpft sie: Für sich, für ihre Familie und vor allem für viele andere Young Carer bundesweit.


Illustrationen und Fotos: iStock/ Anna Erastova/ Denyshutter, privat (2)

Lana mit ihrem Vater. Lana ist es wichtig, zu betonen: Young Carer sein ist nichts Schlechtes!