Ausgabe 4-2020 : November

Der lange Atem

Wir haben den Klimawandel erfolgreich bewältigt! Diesen Eindruck könnte zumindest die stark gesunkene Aufmerksamkeit für das Thema vermitteln: Seitdem die Corona-Krise um sich greift, wird medial und auch auf der Straße seltener über

Klimaschutz gesprochen.

"Manchmal ist es wirklich frustrierend, dass das Thema Klimawandel so stark in den Hintergrund gerückt ist“, sagt Ibo Mohamed aus Bamberg. Der 22-jährige Kinderpfleger ist Teil des lokalen Organisationsteams von Fridays for Future – wie so vieles andere, finden auch die meisten Aktionen der überparteilichen Bewegung aufgrund der Corona-Pandemie neuerdings online statt. „Aber das hat natürlich eine viel geringere Strahlkraft als die riesigen Menschenmassen, die wir 2019 weltweit auf die Straßen gebracht haben.“

Selbstverständlich müsse für die Bewältigung der globalen Pandemie Aufmerksamkeit geschaffen werden – „daneben dürfen wir aber auch den Klimawandel nicht vergessen, denn gegen ihn wird es leider keine Impfung geben“, findet Ibo. Das Gegenteil ist der Fall: Die Klimakrise verschärft sich von Tag zu Tag. Wenn der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur entsprechend der Empfehlung des Pariser Klimaabkommens auf 1,5 Grad beschränkt werden soll, ist das weltweit verbleibende CO2-Budget laut Weltklimarat schon in sieben Jahren aufgebraucht. 

„Die Bundesregierung tut nicht genug, um dieses Ziel zu erreichen“, kritisiert Ibo. Fridays for Future fordert deshalb, die Nettonull in Deutschland bereits bis 2035 umzusetzen – d. h. bis dahin sollen menschengemachte Emissionen durch Reduktion oder entsprechende Ausgleichsmaßnahmen vollständig aus der Atmosphäre entfernt werden. Nur so könne man die Stabilität der Ökosysteme unseres Planeten weiterhin gewährleisten. Für diese und andere Forderungen engagieren sich weltweit tausende junge Menschen – Ibo ist einer von ihnen.

Ibo findet: „Aktivismus muss nachhaltig sein!“ Es sei wichtig, sich regelmäßig zu engagieren und nicht nur eine Woche lang. Aktivismus fängt im Kleinen an. „Bevor ich andere kritisiere, schaue ich immer erst auf mich selbst“, sagt Ibo. 

„Ich weiß, dass Menschen in anderen Ländern schon heute unter den Folgen des Klimawandels leiden“, erklärt er die Motivation für seinen Aktivismus. „Dadurch werden in Zukunft immer mehr Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen.“ Aufgrund der eigenen Fluchterfahrung – Ibo ist 2015 vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen – wisse er, wie schlimm das ist. „Gerade in Entwicklungsländern sind die Folgen des Klimawandels kein Zukunftsszenario, sondern bereits harte Realität.“

Überhaupt ist Aktivismus ein wichtiges Thema für Ibo. Neben Fridays for Future setzt er sich auch für andere Belange ein – z. B. unterstützt er die Seebrücke, nimmt an Mahnwachen teil und geht für ältere Menschen in der Corona-Krise einkaufen. „Eigentlich bin ich jeden Tag ehrenamtlich unterwegs und komme erst spät am Abend nach Hause.“ Auf die Frage, was Aktivismus für ihn bedeutet, antwortet Ibo deshalb lachend: „Stress! Man muss als Aktivist die Aufgaben von Politikerinnen und Politikern machen – nur ohne Geld dafür zu bekommen.“

Trotzdem sei es wichtig, die Stimme zu erheben, wenn Unrecht geschieht. Die aktuelle Lage im Flüchtlingslager Moria sei hierfür ein gutes Beispiel: „Wenn mir eine Sache am Herzen liegt, muss ich mich einfach engagieren, um die Situation besser zu machen.“ Davon, dass gerade junge Aktivistinnen und Aktivisten dabei oftmals nicht ernstgenommen werden und im Falle von Fridays for Future sogar Spott und Anfeindungen erfahren haben, lässt sich Ibo nicht beeindrucken: „Wir haben viel erreicht. Am Anfang wurden wir vielleicht noch belächelt, aber gerade im letzten Jahr haben wir eine so hohe Präsenz gezeigt, dass Fridays for Future mittlerweile auch für die Politik ein wichtiger Gesprächspartner geworden ist.“ So hat das Bamberger Organisationsteam beispielsweise eine Sondersitzung des Stadtrats zum Thema Klimaschutz erwirkt: „Das ist in Bayern bisher einmalig und hat uns viel Rückenwind gegeben“, sagt Ibo.  

"Gegen den Klimawandel wird es leider keinen Impfstoff geben."
Ibo Mohamed - Aktivist

Aber wie bringt man immer wieder den Mut auf, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen? „Es ist wichtig, einen Anfang zu machen. Danach wird es einfacher“, meint Ibo. Seine erste Rede hat er für eine Mahnwache gegen Abschiebungen in Bamberg geschrieben und diese schließlich auch vor 1 500 Menschen gehalten. „Ich hatte erst Angst, weil ich ja kein Muttersprachler bin. Aber die Mühe lohnt sich spätestens dann, wenn es positive Rückmeldungen gibt.“ Schon oft sei Ibo nach einer Rede mit Menschen ins Gespräch gekommen, die später selbst aktiv wurden.

„Solche Erlebnisse geben mir genug Energie, um über negative Reaktionen hinwegzusehen“, sagt er. Als Geflüchteter wird Ibo nämlich häufig mit unmenschlichen Kommentaren aus dem rechten Spektrum konfrontiert: Warum er die deutsche Regierung kritisiere? Er solle sich lieber darum kümmern, dass in Syrien etwas gegen den Klimawandel getan wird. „Das kann schon Angst machen. Aufgeben ist für mich aber keine Option“, bekräftigt er. Beim Thema Aktivismus gehe es schließlich um die Sache und nicht um die Person: „Wer persönliche Bestätigung sucht, sollte dafür keine zivilgesellschaftliche Bewegung missbrauchen.“


Foto: Barbara Bechtloff