Ausgabe 2-2021 : Mai

Warum jetzt etwas passieren muss

Vor zwei Jahren noch im Mittelpunkt der Medien, durch die Corona-Pandemie aus den Köpfen verdrängt: Die Klimakrise ist nach wie vor ein aktuelles globales Problem. Welche Rolle die Politk dabei spielt und welche Auswirkungen unser Handeln oder Nichthandeln hat, erklärt der Klimaexperte Franz Baumann.

Die Klimakrise ist eine Krise, mit der sich in den vergangenen Jahren vor allem junge Menschen beschäftigt haben – so auch die Kolpingjugend. Bei der jüngsten digitalen Bundeskonferenz Anfang März verabschiedeten die Teilnehmenden einen Antrag, der innerhalb der Kolpingjugend den ersten Schritt in Richtung Klimaneutralität macht. Im Rahmen der Konferenz war auch der Klimaexperte Franz Baumann zu Gast. Im Interview mit dem Kolpingmagazin spricht er unter anderem über seine Einschätzung zur Klimakrise.

Franz Baumann ist aktuell Gastprofessor an der New York University. Zuvor war er Sonderberater für Umweltfragen und Friedensmissionen bei den Vereinten Nationen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Klimaschutz?

Ich glaube, die Menschen haben einen gewissen Energiehaushalt und können sich nur um eine Krise gleichzeitig kümmern. Insofern hat die Corona- Pandemie die Klimakrise ein Stück weit verdrängt. Andererseits hat sie bei den Menschen und vor allem auch Politikern ein Stück weit ins Bewustsein gerufen, dass beide Krisen eng miteinander verbunden sind.

Ist die Pandemie eine Auswirkung der Erderhitzung?

Absolut. Klar, die Ursache der Pandemie ist nicht in erster Linie die Erderhitzung – aber wenn es wärmer ist, breiten sich auch Bakterien und Viren schneller aus. Auch die Tatsache, dass die Menschen immer mehr in die Natur vordringen, sorgt dafür, dass Krankheiten schneller übertragen werden und die Resilienz niedriger geworden ist. Die zwei Krisen sind also eigentlich eine große Naturkrise mit zwei verschiedenen Auswirkungen.

Einen Weg aus der Klimakrise hinaus sehen viele im European Green Deal. Welche Bedeutung haben solche politischen Abkommen?

In erster Linie sind das ja immer Absichtserklärungen und keine, die juristisch einklagbar sind. Ich halte solche Abkommen jedoch für außerordentlich wichtig, weil sie die Perspektiven fokussieren und einen Rahmen geben. Greta Thunberg ist deshalb mächtig geworden, weil sie sagen konnte: „Ihr haltet das Abkommen, das ihr freiwillig geschlossen habt, nicht ein.“ Hätte es das Abkommen nicht gegeben, hätte sie zwar klagen können, aber der Rahmen wäre nicht da gewesen. Sie hätte vor ihrer Schule gesessen, aber nicht auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz 2018 gesprochen.

Wenn die Ziele des European Green Deals umgesetzt werden würden, welche konkreten Auswirkungen hätte das auf uns in Deutschland?

Das wären vor allem Dinge wie teureres Fleisch beziehungsweise gesünderes Fleisch. Die Landwirtschaft würde besser funktionieren und statt auf Menge und Masse den Fokus eher auf Qualität richten. In Großstädten würde die Luft sicher besser werden, weil es weniger Verbrennungsmotoren geben wird. Ich habe aber auch keine Illusionen, dass es da Verwerfungen geben wird. Schauen wir uns allein die Autoindustrie an: Alle, die dort arbeiten, werden in Zukunft mehr oder weniger überflüssig werden, tausende von Tankstellen werden nicht mehr gebraucht. Das wäre eine Revolution – aber was passiert mit den Arbeitenden in der Autoindustrie? Wenn der European Green Deal wie geplant umgesetzt wird, müssen die Verlierer kompensiert werden. Die große Herausforderung ist es, die Spaltung in Europa zwischen ärmerem Süden und reicherem Norden durch Klimapolitik nicht voranzutreiben.

Wenn Sie ein realitisches Szenario für die Zukunft abgeben müssten: In welcher Welt leben wir 2040?

Das hängt von meiner Stimmung ab. Manchmal bin ich optimistisch und denke, das ist alles in den Griff zu kriegen. Das Klimaproblem könnte finanziell mit rund zwei bis drei Prozent des Weltbruttosozialprodukts gelöst werden – es ist nicht furchtbar teuer. Auch technisch wäre das machbar. Wenn ich aber auf der anderen Seite sehe, welche Widerstände es gibt, ist das schwierig. Manchmal sehe ich da Paralellen zur Corona-Diskussion. Das ging alles im März los und im Juni 2020 haben wir noch immer diskutiert, ob wir jetzt Gesichtsmasken verwenden. Da haben wir Zeit verloren. Im Großen und Ganzen waren dann aber alle innerhalb von ein paar Monaten auf dem gleichen Dampfer unterwegs. Beim Klima haben wir auch Zeit verloren, auf dem gleichen Dampfer sind wir da aber noch lange nicht. Ein realistisches Szenario ist schwierig, das hängt davon ab, wann und wie wir handeln.

"Noch können wir bremsen oder zurückrudern. Irgendwann kommt aber der Punkt, da gibt es kein Zurück"

Wie lange haben wir noch Zeit, zu handeln?

Das sind noch ungefähr zehn bis 15 Jahre. Wenn wir das nicht hinkriegen, ist es zu spät. Wir sind wie in einem Boot, das auf die Niagarafälle zusteuert. Noch können wir bremsen, zurückrudern oder ans Ufer schwimmen. Irgendwann kommt aber der Punkt, da gibt es kein Zurück mehr. Die Dynamik, die dann entsteht, wenn sich die Erderhitzung menschlicher Kontrolle entzieht, ist eine Gefahr, die sehr realistisch ist. Ich hoffe, es klappt, aber ich bin mir nicht sicher. Aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Pessimismus würde den Leuten Recht geben, die sagen, die Klimakrise ist nicht so schlimm, Pessismismus unterstützt die falschen Leute. Schon allein aus diesem Grund kann ich nicht pessimistisch sein.

Der European Green Deal ist ein Abkommen der EU, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. Der Deal umfasst unter anderem Maßnahmen in den Bereichen Energieversorgung, Handel oder Landwirtschaft.

Das Gespräch führte Franziska Reeg
Fotos: unsplash/Markus Spiske, Franz Baumann