Ausgabe 3-2021 : Juli

Nachhilfe über den Bildschirm

Seit dem vergangenen Jahr heißt es für Kinder und Jugendliche immer wieder: Eigener Schreibtisch statt Klassenzimmer und Bildschirm statt Tafel – nicht immer einfach. Für den Studenten Lukas Pin war schnell klar, dass die Schülerinnen und Schüler Hilfe brauchen. Über Nacht gründete er mit Freunden eine Plattform, die bis heute Erfolg hat.

Nachhilfe vom WG-Zimmer ins Kinderzimmer: Während der Corona-Pandemie für viele Realität.
Nachhilfe vom WG-Zimmer ins Kinderzimmer: Während der Corona-Pandemie für viele Realität.

Fast täglich klappt Eva den Laptop in ihrem WG-Zimmer auf. Meistens für Vorlesungen oder Seminare an der Universität. Seit über einem Jahr fällt der Weg zum Campus für die 22-jährige Studentin der Sozialwissenschaften aus Köln aus. Seit drei Semestern findet ihr Studium nur noch digital statt. Ungefähr einmal in der Woche wechselt Eva allerdings die Rolle. Dann ist sie nicht diejenige, die lernt, sondern die, die Wissen weitergibt. Auf dem Bildschirm vor ihr sind dann keine Dozierenden zu sehen, sondern Onno. Auch bei ihm sieht es seit dem vergangenen Jahr ähnlich aus. Statt in seinem Klassenzimmer vor der Tafel sitzt der 13-Jährige im Kinderzimmer vor dem Bildschirm. Sich alleine den Unterrichtstoff beibringen und selbstständig alle Aufgaben lösen – für einen Teenager keine leichte Aufgabe – mit Eva gemeinsam ist es ein Stück leichter. Dass die beiden sich überhaupt kennen, haben sie der Plattform „Lern-Fair“ zu verdanken.

Über Nacht online

Hinter „Lern-Fair“ steckt inzwischen ein Team von rund 60 Leuten. Angefangen hat aber alles ganz klein, wie Lukas, der Mitgründer, erzählt. „Als im März 2020 der erste Corona-Lockdown kam, gab es in der Gesellschaft einen Ruck: Jeder und jedem war klar, dass man durch die Krise gemeinsam muss, und auch ich habe überlegt, wie ich helfen kann.“ Die Antwort war für den 24-jährigen Mathematikstudenten und drei seiner Freunde schnell klar: Nachhilfe geben und Programmieren – das waren die Fähigkeiten, die sie beherrschen. „Unser Ziel war es, Schülerinnen und Schüler, die von zuhause lernen müssen, mit Studierenden zu verbinden, die auf einmal auch nur noch zuhause saßen“, berichtet Lukas.

Aus einer spontanen Idee entstand so über Nacht eine ganze Plattform mit dem Namen „Corona-School“. Sowohl Kinder und Jugendliche im Homeschooling, als auch Studierende konnten sich hier anmelden und Hilfe suchen oder anbieten – und das alles auf ehrenamtlicher Basis. „Am Anfang haben wir die Lernpärchen noch händisch gematcht“, erzählt Lukas. Das funktionierte nicht lange: Zu schnell meldeten sich zahlreiche Menschen an. Einen Monat nach Beginn, im April 2020, gründeten Lukas und seine Freunde den gemeinnützigen Verein Corona School e.V., um die ehrenamtliche Arbeit zu professionalisieren und dem Projekt einen Rahmen zu geben. Das war notwendig: Innerhalb von wenigen Wochen wurde die Plattform über Verteiler, Facebookgruppen, Medienberichte oder private Empfehlungen deutschlandweit bekannt.

Onno machte die Arbeitskollegin der Mutter darauf aufmerksam, Eva eine Mitbewohnerin. Dass die 22-Jährige selbst unterstützen möchte, war für sie schnell klar. „Ich habe selbst gemerkt, wie schwer mir das Studium online fällt und dachte mir, für Schülerinnen und Schüler, die es nicht gewohnt sind, sich selbst etwas beizubringen, ist das noch viel mühsamer.“ Nach der Registrierung auf der Homepage ging dann alles recht schnell. Am selben Abend noch hatte Eva ein Kennenlerngespräch mit dem Team von „Lern-Fair“. Kurze Zeit später wurde ihr Onno zugeteilt. Seitdem treffen sich die beiden regelmäßig, um Spanisch und Englisch zu üben.


Fotos: Franzisa Reeg, privat

Die Eins-zu-eins-Betreuung war die ursprüngliche Idee von Lukas und seinen Freunden. Dabei ist es aber nicht geblieben: „In den großen Ferien haben wir digitale Sommer-AGs angeboten, sozusagen als alternatives Angebot zu Ferienfreizeiten“, erzählt Lukas. Auch jetzt werden über die Homepage regelmäßig Kurse und Workshops angeboten. An Ideen scheint es den jungen Gründern nicht zu fehlen. Aber wie sieht das bei der Umsetzung aus? „Generell schauen wir, dass wir Ideen aus dem Team technisch und von den personellen Kapazitäten umsetzen können.“ Für Lukas und seine Freunde geht dabei auch viel Zeit drauf. „Man muss schon ehrlich sagen, dass bei uns allen auch die Freizeit ein Stück weit darunter leidet“, gibt der Student zu.

Was zu Beginn als rein ehrenamtliches Projekt startete, ist über eineinhalb Jahre gewachsen. Seit einigen Wochen heißt die Plattform nicht mehr „Corona School“, sondern „Lern-Fair“. Das hat mehrere Gründe „Das hat vor allem den Hintergrund, dass wir seit Herbst letzten Jahres unseren Fokus vor allem auf bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche legen wollen, die sonst nur schwer kommerzielle Nachhilfe in Anspruch nehmen können.“ Und: „Aus unserer ursprünglichen Hilfsidee im Lockdown wollen wir ein langfristiges Projekt machen. Und das funktioniert mit ‚Corona‘ im Namen nicht“, stellt Lukas klar.

Er ist aktuell im Vorstand des Vereins. Seine Aufgaben würden sich dabei immer wieder ändern, erzählt er. Neue Projektteams aufziehen und diese dann wieder abgeben. Kennenlerngespräche für neue Helferinnen und Helfer durchführen, Kommunikation, Marketing, Technik und vieles mehr – aus dem kleinen vierköpfigen Gründerteam ist längst eine komplexe Vereinsstruktur geworden. Und für Lukas ein Teilzeitjob. Vor allem aber ein nachhaltiges Projekt, das auch über die Corona-Pandemie hinaus Schülerinnen und Schüler unterstützen will. „Fair Lernen statt Verlernen!“ leuchtet der Slogan auf der Homepage.

Das Projekt hat Zukunft. Im Großen, wie auch im Kleinen. Auch Eva und Onno wollen mit dem Beginn des Präsenzunterrichts und der Präsenzuni keinen Schlussstrich ziehen. „Die Folgen vom Homeschooling spürt man immer noch, das ist mit dem Beginn des Präsenzunterrichts ja nicht aufgehoben“, meint Eva. Sie hat das Gefühl, mit der ehrenamtlichen Nachhilfe etwas zurückgeben zu können. Als sie vor vielen Jahren neu Deutsch gelernt hat, war sie über Nachhilfe total dankbar. Und das ist Onno jetzt auch.

Lukas hatte im März 2020 die Idee, Schülerinnen und Schülern im Homeschooling zu helfen.