Ausgabe 1-2021 : Februar

Mit Leidenschaft wird Alt zu Neu

Ab in die Tonne? Für Bernadine ist das keine Alternative. Alten Dingen einen neuen Glanz zu verleihen und Ressourcen nachhaltig zu verwenden, gehört für die 24-Jährige zum Alltag: Sie hat ein Upcycling-Modelabel gegründet und einen öffentlichen Raum durch und für Upcycling gestaltet.

Aus Dingen, die nicht mehr in ihrer alten Funktion wiederverwendet werden, ein neues, hochwertigeres Produkt gestalten. Was sich zunächst recht banal anhört, zieht sich seit einigen Jahren als Trend durch die Lebenswelt junger Menschen. Der Begriff dafür: Upcycling.

Eine, die Upcycling zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat, ist Bernadine. Die 24-jährige ausgebildete Maßschneiderin verfolgt den Grundgedanken der Aufwertung seit ihrer Jugend: „Ich war schon immer eher die, die nichts von Grund auf Neu gestalten wollte, sondern eher geschaut hat, was gibt es schon, was kann ich daran verändern?“ 

Das Handwerk des Nähens und Schneidern erlernte sie während Ihrer Ausbildung. Anschließend hatte die Kölnerin eigentlich vor, in der Filmbranche zu arbeiten. Doch beim Ausprobieren in Praktika stieß sie immer wieder auf ein Problem: „Ich habe festgestellt, dass ich mich damit irgendwie nicht mehr identifizieren konnte – da wird für eine Produktion viel neu eingekauft, einmal verwendet und danach entsorgt oder eingelagert. Damit konnte ich nicht so viel anfangen. Ich habe  dann überlegt: meine Leidenschaft ist Mode – wie kriege ich das mit meinen Werten vereinbart?“ Die Antwort lag für Bernadine auf der Hand. Anfang des Jahres rief sie mithilfe eines einjährigen Gründerstipendiums ihr Upcycling-Modelabel „storytelling fashion“ ins Leben. 
 

Um alte Kleidung umzucyclen, muss nicht immer zwingend die Nähmaschine ans Werk. Färben, Drucken mit Stempeln oder Stickereien sind nur ein paar Ideen zur Aufwertung, die ihr leicht umsetzen könnt. 

Alle umgestalteten Kleidungsstücke entstehen dabei aus bereits vorhandenen Klamotten. Diese erhält Bernadine größtenteils durch Kleiderspenden oder aus Second-Hand-Läden. Vieles davon wirkt auf den ersten Blick nicht mehr attraktiv. Die alten Teile haben Flecken, Löcher und Risse. Bernadine schneidet, näht und gestaltet die Stoffe dann so um, dass daraus ein neues Modestück entsteht. Dabei sind alleinig die restlichen „Zutaten“, also Reißverschlüsse oder Knöpfe, Neuware. Die junge Frau sorgt dafür, dass kaum Abfallprodukte anfallen: Stoffreste verarbeitet sie weiter zu Textilien aus zusammengenähten Stoffen, oder Haargummis.

Die Produktion eines neuen Kleidungsstückes nimmt viel Zeit in Anspruch. „Für  kreative Ausraster gehen da schon mal zehn Stunden drauf“, erzählt Bernadine und lacht. Die Arbeit ist es ihr jedoch wert. Jedes Kleidungsstück ist ein Unikat und erhält einen eigenen Namen. Im Etikett ist jedes Mal auch ein „Vorher-Nachher Vergleich“ abgedruckt. Damit will Bernadine zeigen, dass das Kleidungsstück eine Geschichte erzählt. „Häufig steht bei Mode der Begriff Upcycling drauf, aber man hat überhaupt keinen Bezug dazu und weiß nicht, was es davor war. Das will ich bei meinen Stücken anders machen“, erläutert sie. Bei ihren Kunden, die die Kleidung online über Instagram oder in kleineren Läden erwerben, kommt das gut an. Negative Rückmeldung hat die junge Modeschöpferin für ihre Arbeit bis jetzt kaum erhalten.

Neben der Mode spielt Upcycling in Bernadines Alltag in vielen Bereichen eine Rolle. Geburtstagsgeschenke, Möbel oder Zimmerdekoration – überall sucht Bernadine erst einmal nach einer nachhaltigen Lösung. Einige der Ideen der 24-Jährigen landen dabei auch außerhalb der eigenen vier Wände. 
 

"Ich bin Lucie" – hinter jedem Einzelteil steckt eine Geschichte, die auf dem Etikett erzählt wird.

Upcycling greifbar machen

Im Wandelwerk in Köln, einem leerstehendem Autohaus, das zur Zwischennutzung in ein Zentrum für Kultur und Kreatives umgewandelt wurde, hat Bernadine die WiederFAIRwendstation ins Leben gerufen. „Mein Ziel war es, einen Raum durch Upcycling zu gestalten, in dem Upcycling selbst zum Thema wird. Zum Beispiel durch Workshops und ähnliches“, erklärt sie. Über Secondhändläden, das Internet und Gebrauchtwarenkaufhäuser hat Bernadine mithilfe von Freunden den Raum nach und nach aufgebaut. Ihr Anspruch ist dabei, dass Gästen dort nicht als erstes das Upcycling ins Auge fällt. Vielmehr sollen sie die Einrichtung ästhetisch ansprechend finden und erst beim genaueren Hinschauen erkennen, was hinter den unterschiedlichen Einzelstücken steckt. Das ist Bernadine gelungen. Auf rund 30 Quadratmeter finden sich Regale, Tische und Sitzgelegenheiten, die allesamt aus gebrauchten Gegenständen umgestaltet wurden. 

Zunächst sichtbar ist das bei den wenigsten Dingen. Gäste können eine Verschenk- und Tauschecke nutzen, ihre eigenen Ideen zum nachhaltigen Lebensstil auf Tafeln festhalten, den Raum aber auch selbst für Workshops zum Thema Upcycling nutzen. Coronabedingt ist die WiederFAIRwendstation aktuell geschlossen. Bernadine fiebert einer Wiederöffnung schon entgegen und plant, dort eigene Workshops anzubieten. 

Dass Upcycling nur ein vorübergehender Trend ist, glaubt die junge Gründerin nicht: „Ich denke, die Zukunft besteht aus Konzepten, die aufgreifen, was wir schon haben und das neu aufwerten. Wir müssen ja irgendwie in allen Bereichen in zirkuläre Systeme kommen.“ Laut ihr sei das Ganze gerade ein Trend, aber ein wichtiger Trend, der sich in der Zukunft auch erst einmal etablieren werde. Einen kleinen Teil trägt Bernadine mit ihren Projekten auf jeden Fall jetzt schon dazu bei.


Foto: Franziska Reeg, privat