Ausgabe 2-2022 : Mai

Ein offenes Ohr in schweren Zeiten

Einsamkeit, Prüfungsstress oder Überforderung: Die Studienzeit ist nicht immer nur entspannt. Helfen will dabei die „Nightline“ ein Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende. Caro nahm ein Jahr lang selbst regelmäßig den Hörer ab.

Gerade während der Corona-Pandemie hatten viele Studierende das Gefühl, niemanden zu haben, der ihnen zuhört.

Wenn das Telefon im Raum klingelt, weiß Caro nie, was die nächsten zehn, zwanzig, dreißig, oder aber auch nur drei Minuten passieren wird. „Das ist aufregend, hauptsächlich aber eine sehr positive Aufregung“, erzählt die 21-jährige Lehramtsstudentin. Wenn sie dann den Hörer abnimmt, merkt man ihr von der Aufregung nichts an. Dann ist ihre Konzentration komlett bei der anrufenden Person und deren Problem. Das hat Caro über ein Jahr lang mehrmals im Monat gemacht. Ehrenamtlich. Sie war bei der „Nightline Münster“ aktiv. Dass Caro für das Interview ihren Namen verrät und so offen darüber sprechen kann, geht nur, weil sie inzwischen nicht mehr aktiv im Telefondienst arbeitet. Anonymität ist ein fester Grundsatz bei der „Nightline“.

Zuhören statt beraten

Den Verein „Nightline“ gibt es nicht nur in Münster. In 22 deutschen Städten und auch über Deutschland hinaus, ist der Dienst aktiv. In Deutschland bereits seit 1994, da gründeten Studentinnen der Universität Heidelberg die erste deutsche Nightline. Zuhören – das ist das Ziel des ehrenamtlichen Vereins.

Studierende finden in den lokalen Nightlines abends ehrenamtlich aktive Kommilitoninnen und Kommilitonen, die ihnen als Gesprächsperson per Telefon zur Verfügung stehen. Dabei ist die Nightline nicht mit professioneller Hilfe zu vergleichen. „Wir sind ein Zuhörtelefon und weder ein Beratungstelefon, noch ein psychotherapeutisches Telefon“, merkt Caro an. „Das sind Dinge, die wir nicht leisten können und auch nicht leisten wollen.“ Nichtsdestotrotz durchlaufen die dort aktiven Studierenden eine Schulung, bevor sie im Telefondienst starten. Caro erinnert sich: „Auf Nightline bin ich über Social Media gestoßen. Zunächst gab es einen Informationstermin, dann habe ich eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben und dann folgte eine Wochenendschulung“, zählt sie auf. Die Verschwiegenheitserklärung dient vor allem dem Schutz und der Anonymität der Anrufenden. Selbst mit dem Freundeskreis durfte Caro nicht darüber sprechen, was sie rund zweimal im Monat ehrenamtlich macht. „Man erzählt dann, dass man sich noch mit Freundinnen und Freunden trifft oder aber viel lernen muss“, sagt sie. Bei der Schulung wird den neuen Ehrenamtlichen dann Gesprächsrhetorik am Telefon und aktives Zuhören vermittelt. Für Caro nicht nur ein Gewinn während des Dienstes: „Ich habe schon das Gefühl, dass das auch aufs private Leben abfärbt – gesprächsrhetorische Kniffe helfen mir auch im Freundeskreis weiter“, merkt die 21-Jährige an.

"Man ist nicht alleine, wenn man nicht alleine sein will."
Caro über ihre Arbeit bei Nightline

Caro erinnert sich an ihren ersten Dienst – super aufgeregt sei sie da gewesen. Zum Glück aber nicht alleine. Zu Beginn stehen „Paten“ und „Patinnen“ in Form von erfahrenen Ehrenamtlichen den Neuen zur Seite. Außerdem ist man im Telefondienst nie alleine „für den Ernstfall“, wie Caro erzählt. Die Studierenden, die anrufen, kommen dabei mit unterschiedlichsten Anliegen an. „Gerade während der Corona-Pandemie stehen oft Themen wie Einsamkeit oder der fehlende soziale Anschluss im Fokus“, meint Caro. Aber auch Themen wie Stress in der Klausurenzeit, Prokrastination, also extremes Aufschieben,
oder finanzielle Probleme finden ihren Weg in die Telefonleitung. Rund fünf Telefonate werden in einer vierstündigen Schicht zwischen 21 Uhr und ein Uhr nachts geführt. In Prüfungsphasen oft auch mehr.

Caros Tätigkeit bei Nightline hat ihr auch in Gesprächssituationen im Alltag geholfen.

Die Probleme der Anrufenden kennt Caro oft aus der eigenen Lebenswelt. „Umso schöner ist es dann, zu sehen, dass die Person den Schritt gewagt hat, zu sagen: ,Ich wende mich mit meinem Anliegen an jemanden‘.“ Eine Überwindung für viele. Das merkt Caro auch am Telefon. „Manche Leute haben ein bisschen Hemmungen, dann muss man sie in ihrer Unsicherheit abholen und vielleicht mehr die Hand reichen.“ Oft ist dann erst einmal Zuhören angesagt. Caro hat dabei auch immer im Kopf, dass sie keine Beraterin ist. „Ich kenne die anrufende Person nicht, ich kenne lediglich den kleinen Ausschnitt, den sie mit mir teilen möchte. Wenn ich aufgrund dessen urteilen und Vorschläge machen würde, wäre das fast schon ein bisschen übergriffig“, sagt die Ehrenamtliche klar.

Vielen Anrufenden gehe es auch gar nicht um eine konkrete Lösung ihres Problems, sondern um das Gefühl, seine Anliegen an jemanden zu senden, erzählt Caro. Wenn weitere Hilfe gewünscht ist, greifen die Nightlinerinnen und Nightliner auf einen dicken Ordner mit verschiedenen Hilfsstellen und Telefonnummern zurück. An die leiten sie am Ende des Gesprächs gerne weiter. Auch für emotional anspruchsvolle Themen sind die Nightlinerinnen und Nightliner somit geschult. Sicher: Auch für die Ehrenamtlichen ist der Dienst häufig ein psychischer Balanceakt. Die eigenen Grenzen stünden im Dienst über allem, berichtet Caro. Das heißt konkret, dass sie im Zweifel am Telefon auch offen sagen kann, wenn sie über ein Thema gerade nicht sprechen will. Zudem bekommen die Ehrenamtlichen externe Unterstützung. Regelmäßig gibt es Supervisionsgruppen, die von ausgebildeten Psychotherapeutinnen und Therapeuten geleitet werden. „In denen können wir Nightliner uns austauschen und gemeinsam reflektieren“, erzählt Caro.

Die Vorteile des Ehrenamtes sind für sie ganz klar: „Das Schöne als Nightlinerin ist es, zu sehen: Man ist nicht alleine, wenn man nicht alleine sein will!“ Und obwohl die Anrufe einen manchmal selbst herausfordern, weiß die Studentin, dass die Arbeit bei Nightline eine sehr dankbare ist. „Die Leute rufen bei uns mit einem Anliegen an und legen am Ende hoffentlich mit einem besseren Gefühl auf. Das ist schön zu sehen!“

Hast du schon einmal geschaut, ob es auch an deiner Universität eine Nightline gibt? Unter nightlines.eu findest Du die Zeiten aller europäischen Nightlines, zu denen die Leitungen geöffnet sind.

Bilder: Francisco Moreno/Unsplash, privat