Ausgabe 2-2021 : Mai

Darf man... noch Musik von Xavier Naidoo hören?

Prominente kommen immer häufiger wegen problematischer Aussagen oder schwerwiegender Vorwürfe in die Schlagzeilen. Kann man da noch guten Gewissens Fan sein?

Wart Ihr schon mal in der Situation, dass Künstler in der Kritik standen, die Ihr vorher super fandet?

Alexander: Mir ging es das erste Mal mit Kevin Spacey aus der TV-Serie „House of Cards“ so. Die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn haben mich ziemlich schockiert. Dabei ist mir klargeworden, dass Künstler eben auch nur Menschen sind, bei denen Fehlverhalten genauso häufig vorkommt wie bei allen anderen auch.

Katharina: In meinem Freundeskreis haben wir viel über Xavier Naidoo und seine rechtspopulistischen Äußerungen gesprochen. Die ganze Diskussion war für mich aber erst mal gar nicht so stark mit seiner Musik verknüpft – das waren für mich zwei verschiedene Welten.

Sophie: Mein erster Berührungspunkt war die Diskussion rund um das Gedicht von Jan Böhmermann. In der Schule haben wir darüber gesprochen, wie weit Kunst und Satire gehen dürfen. Im Prinzip muss man immer erst mal fragen: War das ein persönliches Statement oder künstlerische Ausdrucksform?

 

  • Alexander Blümel

    Ob man Werk und Künstler trennen kann, hängt vom Einzelfall ab. Das findet zumindest Alexander Blümel aus Thüringen. „Xavier Naidoo ist da ein gutes Beispiel“, findet der 20-jährige Student. „Damals ging es ja auch darum, ob er Deutschland beim ESC vertreten darf. Bei einer solchen Repräsentationsfunktion muss man schon etwas kritischer hinschauen.“

  • Katharina Kling

    „Heutzutage gibt es eine richtige Cancel Culture“, findet Katharina Kling aus der Kolpingsfamilie Donzdorf. Für die 16-jährige Schülerin wird es dadurch immer schwieriger, Vorwürfe richtig einzuschätzen. „Sobald sich eine Anschuldigung bewahrheitet, sollte sich jeder Einzelne ein eigenes Bild machen.“

  • Sophie Dziaszyk

    Für Sophie Dziaszyk aus Berlin ist Kunstfreiheit ein wichtiges Gut: „Man kann nicht einfach sagen: Weil du als Person doof bist, darf jetzt niemand mehr deine Musik hören.“ Ohnehin findet es die 19-jährige Auszubildende problematisch, Künstler als Person zu verehren.

Die Bandbreite ist groß: Während Harvey Weinstein wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde, haben problematische Äußerungen für manche Prominente wiederum kaum Auswirkungen. Wie sollte der Umgang mit solchen Anschuldigungen aussehen?

Katharina: Das ist eine schwierige Frage, denn es kommt immer auf die Art des Vorwurfs an. Gerade dadurch, dass viele Anschuldigungen im ersten Moment gar nicht überprüfbar sind, sollte man mit einer Wertung erst mal vorsichtig sein. Sobald die Sachlage klar ist, sollte sich jeder Einzelne ein eigenes Urteil bilden.

Sophie: Bleiben wir mal beim Beispiel Xavier Naidoo. Er ist damals direkt aus der DSDS-Jury geflogen, was seine mediale Präsenz ziemlich gepusht hat. Einerseits wird dadurch ein kritischer Diskurs angeregt, was positiv ist. Andererseits haben seine Äußerungen dadurch noch mehr Reichweite bekommen. Man sollte immer abwägen, was wichtiger ist.

Alexander: Mediale Berichterstattung muss immer objektiv sein. Damit wird das Fundament für eine anschließende gesellschaftliche Wertung gelegt. Private Sender haben – wie im Fall von Naidoo oder Wendler bei DSDS – aber durchaus das Recht, selbst zu entscheiden, ob solche Personen in ihrem Programm präsent sein sollen.

Ist es egal, was Künstler sagen oder tun, solange der Song, das Gemälde, der Film usw. gut ist? Harry Potter wird trotz der umstrittenen Äußerungen der Autorin gern gelesen und auch Bono gilt als Wohltäter, obwohl er Steuern hinterzogen hat.

Sophie: Das Image eines Künstlers stellt ja sowieso nur eine äußere Fassade dar und entspricht nicht unbedingt der wahren Persönlichkeit. Bei Xavier Naidoo dachte man anfangs, dass er sich ganz besonders für soziale und christliche Anliegen einsetzt und am Ende äußert er sich total diskriminierend. Das zeigt mir, dass man Künstler nicht auf einen hohen Sockel stellen oder verehren sollte.

Alexander: Ich finde, dass der objektiv künstlerische Wert eines Werkes nicht vom Urheber abhängt – zumindest in den meisten Fällen. Trotz der öffentlichen Vorbildfunktion ist jeder Künstler auch eine Privatperson mit Fehlern und Unvollkommenheiten. Das gilt übrigens auch für Sportler, Wissenschaftler und sogar Politiker. Wo zieht man da die Grenze?

Katharina: Eine solche Trennung finde ich schwierig, weil Kunst und Künstler für mich in einer direkten Verbindung stehen. Die Kunstform macht dabei bestimmt einen Unterschied: Bei Schauspielern gehen die Rollen inhaltlich nicht auf deren Person zurück, aber bei Sängern könnte man schon unterstellen, dass einzelne Lieder eine persönliche Botschaft transportieren.

Mal angenommen, man hört weiterhin die Musik von Xavier Naidoo. Ist das nicht auch eine Form der Solidarisierung mit seiner Person und seinen Einstellungen?

Alexander: Das ist die logische Anschlussfrage. Wenn wir zum Ergebnis kommen, dass man Werk und Künstler trennen kann, dann darf man die Musik auch weiterhin hören, ohne sich automatisch mit Xavier Naidoo zu solidarisieren. Die Diskussion lässt sichanalog auch auf andere Bereiche übertragen: Dürfen wir Muttertag feiern, obwohl die Nazis den 9. Mai für ihre ideologische Propaganda genutzt haben? Identifiziert man sich mit Coco Chanel als Nazi-Agentin, wenn man gerne Kleider der Marke Chanel trägt? Ich denke nicht.

Sophie: Obwohl ich früher schon ab und an Xavier Naidoo gehört habe, ist er heute nicht mehr in meiner Playlist zu finden. Künstler unterstützt man ja auch finanziell, indem man deren Musik hört. Das möchte ich nicht.

Katharina: Wer die Musik von Xavier Naidoo früher gut fand, verbindet damit eventuell mehr als nur seine Äußerungen im rechten Spektrum. Ich weiß nicht, ob man den Leuten das dann wegnehmen darf. Außerdem kann man ja auch nicht immer ganz genau wissen, wofür ein Künstler steht.

"Es bringt auf jeden Fall etwas, das eigene Nutzungsverhalten zu reflektieren! Konsequenzen werden Künstler allerdings erst dann spüren, wenn sich viele Menschen anschließen."
Sophie Dziaszyk

Auf persönlicher Ebene bleibt im Zweifel nur „Bestrafung durch Boykott“. Kann das etwas bringen?

Sophie: Es bringt auf jeden Fall etwas, das eigene Nutzungsverhalten zu reflektieren! Konsequenzen werden Künstler allerdings erst dann spüren, wenn sich viele Menschen anschließen.

Katharina: Und deshalb ist es wichtig, den Diskurs anzukurbeln und Leute zu sensibilisieren!

Alexander: Es hat sich gezeigt, dass öffentlicher Druck einen Künstler ruinieren kann. Kevin Spacey zum Beispiel ist komplett von der Bildfläche verschwunden. Die Frage ist halt immer: Um welchen Preis? Können wir auf das Werk als Kulturgut verzichten?

Zugespitzt gefragt: Wäre es ein guter Schritt, die Werke umstrittener Personen zu verbieten?

Alexander: Das ist nicht nur im rechtlichen Sinne mehr als zweifelhaft. Schließlich gibt es auch strafrechtliche Konsequenzen, die nur auf die jeweiligen Künstler und nicht auf deren Werk zutreffen – und das ist auch völlig ausreichend. Gerade bei umstrittener Kunst ist die allgemeine Zugänglichkeit wichtig – das regt gesellschaftliche Diskurse an.

Katharina: Wo zieht man da die Grenze? Es kann meiner Meinung nach keine wirklich objektiven Kriterien geben, nach denen man ein solches Verbot für alle nachvollziehbar beschließen könnte.

Sophie: Das wäre absolut kein guter Schritt, sondern ein starker Eingriff in die Kunst- und Meinungsfreiheit. Werke sollten wirklich nur dann verboten werden, wenn sie gegen unser Grundgesetz verstoßen – also wenn ein Lied beispielsweise inhaltlich diskriminiert.

 

MODERATION: Franziska Tillmann

FOTOS: Privat