Ausgabe 3-2020 : Juli

Darf man Lücken im Lebenslauf haben?

Schulabschluss, weiterführende Ausbildung, Berufseinstieg. So linear sehen heute längst nicht mehr alle Lebensläufe aus. Wie gehen junge Menschen den Berufseinstieg an?

Habt Ihr schon mal Bewerbungen geschrieben?

Florian: Ich habe mich letztes Jahr für ein Schülerpraktikum bei einer örtlichen Schreinerei beworben. Das war aber ganz unkompliziert, weil ich den Arbeitgeber kannte. Lebenslauf und Co. waren reine Formsache.

Elias: Ich habe ganz unterschiedliche Bewerbungssituationen erlebt. Den Aufwand für eine Bewerbung um einen Platz im Studierendenwohnheim fand ich zum Beispiel ziemlich übertrieben. Auf den Bewerbungsprozess bei der bayerischen Polizei habe ich mich wiederum gerne vorbereitet, weil ich wusste, dass ich den Studienplatz unbedingt haben möchte.

Wiebke: Nach dem Abi habe ich einen Europäischen Freiwilligendienst gemacht, das war ein furchtbar langer Bewerbungsprozess. Seitdem habe ich noch Bewerbungen für Studierendenjobs geschrieben. Obwohl ich die Unterlagen akribisch vorbereitet habe, waren die Gespräche dann immer recht informell. Und das, obwohl man online immer häufiger liest, dass man den eigenen Lebenslauf unbedingt „aufpimpen“ soll.

  • Florian Schmitt

    „Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto größer ist der Druck, diese auch bestmöglich zu nutzen“, meint Florian Schmitt aus der Nähe von Wiesbaden. So könne enormer Druck entstehen, dem nicht alle junge Menschen gewachsen sind. Der 16-jährige Schüler sieht es kritisch, dass sich im Hinblick auf Lücken im Lebenslauf häufig das Sprichwort „Zeit ist Geld“ bewahrheitet.

  • Elias Wagner

    Der 20-jährige Elias Wagner aus Greding in Bayern startet demnächst beruflich bei der bayerischen Polizei durch. Zu seinem Traumberuf ist er erst auf Umwegen gekommen. Er findet: „In einem Bewerbungsverfahren sollte die inhaltliche Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber immer das ausschlagebende Kriterium sein.“

  • Wiebke Harwardt

    Wiebke Harwardt aus Köln befindet sich aktuell am Ende ihres Masterstudiums. Die 27-Jährige ist der Meinung, dass sich Personal-Abteilungen oftmals nicht ausreichend mit den eingegangenen Bewerbungsunterlagen auseinandersetzen. Anonymisierte Lebensläufe ohne Foto könnten in diesem Kontext ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Wusstet Ihr schon immer, wo es für Euch beruflich hingeht?

Elias: Schon in der Schule wollte ich Polizist werden. Damals fehlten mir aber noch ein paar Eignungsvoraussetzungen. Stattdessen habe ich dann angefangen, Lehramt zu studieren. Auf Umwegen bin ich nun aber doch zu meinem Traumberuf gekommen und werde voraussichtlich einen Studienplatz bei der bayerischen Polizei bekommen. Der Wunsch war also schon immer da – ich musste mich zwischendurch nur erst mal finden.

Florian: Für mich ist noch nicht ganz klar, was ich später beruflich machen möchte. Ich habe noch drei Jahre Oberstufe vor mir, da kann sich vieles ändern. Aktuell finde ich den Bereich Maschinenbau interessant und kann mir eine Schreinerausbildung vorab gut vorstellen.

Wiebke: Früher wollte ich Bestatterin werden. In meinem Auslandsjahr nach der Schule hat sich das dann verändert. Ich habe in Schweden so viele tolle Erfahrungen gemacht, dass ich unbedingt auch etwas in dem Bereich studieren wollte. Ob ich später tatsächlich als Skandinavistin arbeiten werde, weiß ich noch nicht.

Heutzutage ist häufig von Leistungsgesellschaft die Rede. Bekommt Ihr das zu spüren?

Wiebke: Im Bachelor war ich unzufrieden und habe meinen Studiengang gewechselt. Danach hatte ich richtig Angst, nicht in der Regelstudienzeit fertig zu werden. Ähnlich geht es mir auch jetzt im Master, weil ich zur Finanzierung nebenher arbeiten gehe. Ich bin mir allerdings unsicher, ob dieser Druck wirklich von der Gesellschaft ausgeht oder ob ich mich in erster Linie selbst unter Druck setze. Da sich immer mehr Menschen auf eine Stelle bewerben, steigen natürlich auch die Ansprüche. Man muss immer besser und schneller sein.

Elias: In meinem Lehramtsstudium war das ähnlich. Da habe ich aufgrund meiner Unzufriedenheit einen großen innerlichen Druck gespürt. Ganz bestimmt kommen dann noch Ansprüche von außen hinzu. Prinzipiell finde ich etwas Druck aber gar nicht schlecht, denn der kann auch motivieren.

Florian: Schon in der Schule gibt es Druck. Uns wird früh eingeredet, dass man immer effizient und zielorientiert sein muss. Ein halbes Jahr nicht produktiv zu sein, wird von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Daraus entsteht dann die Angst, zu versagen oder jemanden zu enttäuschen – das kann ganz schön erdrückend sein.

Was versteht Ihr unter einer Lücke im Lebenslauf?

Florian: Wenn im tabellarischen Lebenslauf zwei Jahre offen bleiben und man keine sinnvolle Tätigkeit benennen kann – ganz simpel.

Elias: Man kann sogar noch weitergehen – auch wenn ich diese Auffassung nicht teile: Wenn ein Lebenslauf nicht linear verläuft, also nicht jeder Abschnitt logisch auf dem anderen aufbaut, entsteht eine Lücke.

Wiebke: Wobei die Abschnitte, die vielleicht als Lücken abgetan werden, in den wenigsten Fällen wirklich verlorene Zeit waren. Menschen entwickeln sich ja auch weiter, wenn sie noch mal den Beruf wechseln. Auch Arbeitslosigkeit ist von verschiedenen Faktoren wie Krankheit oder ganz aktuell der Corona-Krise beeinflusst und sollte deshalb nicht pauschal negativ beurteilt werden.

Darf man Lücken im Lebenslauf haben?

Elias:  Es kommt darauf an! Teilweise ist es wirklich Auslegungssache, denn auch eine Auszeit kann sinnvoll sein – zum Beispiel, wenn man beim Reisen fremde Kulturen kennenlernt und den Horizont erweitert. „Findungszeit“ empfinde ich dabei als einen viel besseren Begriff.

Florian: Man darf auf jeden Fall Lücken im Lebenslauf haben – solange sie begründet sind. Außerdem finde ich, dass man dem Arbeitgeber nicht alles von sich preisgeben muss. Wenn ich zum Beispiel eine Krankheit hatte, ist das Privatsache. Der Personaler oder die Personalerin sollte dann sensibel genug sein, um nicht weiter nachzufragen. 

Wiebke: Manchmal muss man sogar eine Lücke im Lebenslauf haben! Für junge Menschen ist es vielleicht gar nicht so einfach, lebensbestimmende Entscheidungen zu treffen, ohne viele Erfahrungen außerhalb der Schule gesammelt zu haben. Es muss möglich sein, sich dann erst mal zu orientieren, ohne dass es direkt zum Verhängnis wird.

Viele junge Menschen machen nach der Schule ein sogenanntes „Gap Year“. Was haltet Ihr davon?

Wiebke: Viel! Ich habe einen Europäischen Freiwilligendienst bei der schwedischen Kirche gemacht. Für mich ist das aber keine Lücke, wie der Begriff „Gap Year“ eigentlich suggeriert, sondern eines der besten Jahre meines Lebens gewesen. Ich habe eine zweite Heimat gefunden, die Sprache gelernt und denke auch heute noch oft zurück. Dieses Jahr hat die Weichen für mein weiteres Leben gestellt!

Florian: Ich bin jemand, der nicht nichts machen kann. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass ein Freiwilliges Soziales Jahr für mich interessant wäre. Ich kenne wahnsinnig viele Leute, denen das viel gebracht hat. Das entscheide ich aber erst, wenn es soweit ist.

Elias: Ich bin damals direkt ins Studium gestartet. Letztendlich bin ich auch sehr froh, dass es so gekommen ist, denn in dieser Zeit habe ich meine Freundin kennengelernt und ziemlich schnell realisiert, dass es beruflich doch in eine andere Richtung gehen soll.

Drehen wir den Spieß mal um: Was erwartet Ihr von einem Arbeitgeber?

Elias: Sexismus und Rassismus am Arbeitsplatz sind ein No-Go. Wichtig sind mir ein gutes Arbeitsklima und eine angemessene Vergütung.

Wiebke: Ich würde mich freuen, wenn sich zukünftige Arbeitgeber auch mit anderen Qualifikationen wie beispielsweise meinem Ehrenamt auseinandersetzen.

Florian: Fairness gegenüber Mitarbeitenden ist wichtig. Nur so kann man produktiv sein und sich langfristig wohlfühlen.


Die Fragen stellte Franziska Tillmann.

Fotos: Coffee Bean/Pixabay, privat