Ausgabe 4-2020 : Februar

Darf man auf Corona-Demos gehen?

In den letzten Monaten sind immer wieder Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die geltenden Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Wir haben junge Erwachsene im Dezember um eine Einschätzung gebeten.

Habt Ihr die Corona-Demos verfolgt?

Leon:  Ja klar, ausblenden konnte man das ja leider nicht. Die Berichterstattung zu den Demos ging durch alle Medien.

Pia: Ich habe das Ganze nicht aktiv verfolgt, aber natürlich trotzdem mitbekommen. Es ist beunruhigend, dass immer mehr Menschen an solchen Demos teilnehmen. Gleichzeitig hat es aber noch kein so dramatisches Ausmaß angenommen, dass ich in Panik geraten würde.   

Richard: Am Anfang habe ich die Demos bewusster verfolgt. Mittlerweile bin ich nicht mehr so im Detail dabei, weil ich es nicht konstruktiv finde und daher ganz gut ausblenden kann. 

  • Leon Lieckfeld

    Bei Corona-Demos wünscht sich Leon Lieckfeld aus der Kolpingsfamilie Schwab-münchen mehr Konsequenz in der Strafverfolgung: „Es darf keine Sonder-behandlung bei Regelverstößen geben!“ Der 20-jährige Student versucht außerdem, das Wort Verschwörungserzählung zu verwenden statt von Verschwörungstheorien zu sprechen, weil eine Theorie eine wissenschaftlich überprüfbare Aussage wäre.

  • Pia Held

    Pia Held aus Rodgau kann sich mit dem „Lockdown“ gut anfreunden. „Allerdings sollte man mehr Wert auf funktionierende Hygienekonzepte legen und keine grundsätzlichen Verbote aussprechen“, so die 18-Jährige. Verschwörungstheorien findet die Abiturientin insgesamt gefährlich. Beim Attentäter von Hanau habe man schließlich gesehen, wohin entsprechendes Gedankengut führen kann.

  • Richard Schnegelsberg

    „Was auf den Corona-Demos gesagt wird, ist zum Teil schon richtig menschenverachtend“, findet Richard Schnegelsberg aus Neuss. Der 19-jährige Student ist überzeugt: Wer ganz bewusst auf eine Querdenken-Demo geht, muss mit pauschaler Verurteilung umgehen können. „Ich selbst habe beispielsweise mal entschieden, nicht auf Demos zu gehen, auf denen Linksextreme die Polizei unter der Gürtellinie beleidigen.“

Wie beurteilt Ihr den Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Pandemie?

Pia:  Ich glaube, dass es in Deutschland besser läuft als in vielen anderen Ländern. Insgesamt würde ich sagen, dass die Regeln eher zu lasch als zu streng sind. Als Schülerin bin ich mit der Bundesregierung zufrieden, mit den einzelnen Kultusministerien allerdings weniger – da kommen mir viele Dinge sehr willkürlich vor.

Leon: Im Großen und Ganzen bin ich auch zufrieden. Im Bildungsbereich kann ich allerdings bestätigen, dass Chancen nicht immer genutzt werden: An der Uni waren digitale Veranstaltungen teilweise eine echte Katastrophe.

Richard: Wenn es um Gesundheitsthemen geht, hat die Bundesregierung ja eigentlich weniger Handlungsspielraum – das wird stärker von den Ländern umgesetzt. Eigentlich ist es interessant: Auf Corona-Demos wird vor allem die Bundesregierung an den Pranger gestellt, lokale Einschränkungen werden jedoch von der jeweiligen Landesregierung beschlossen.
 

Sind Menschen, die an Corona-Demos teilnehmen, für Euch automatisch Corona-Leugner?

Pia: Nein! Es ist total wichtig, da ordentlich zu differenzieren. Auch Leute, die nicht mit den Maßnahmen einverstanden sind, müssen repräsentiert werden – die Veranstaltungsbranche zum Beispiel. Das ist wichtig für eine Verhältnismäßigkeit.

Richard: Für mich ist es ein großer Unterschied, ob man als Branche demonstriert oder auf eine Querdenken-Demo geht. Querdenken ist ein Bündnis, das seine Aktionen Hand in Hand mit Rechtsextremen plant. Wenn man auf diese Demos geht, muss man meiner Meinung nach auch damit rechnen, pauschal kategorisiert zu werden.

Pia: Definitiv! Deshalb sollte man bei Demos immer wissen, wer der Veranstalter ist. Sich vor Ort vom Veranstalter abzugrenzen, ist eher schwierig, wenn man in dieselbe Richtung läuft.

Leon: Prinzipiell hat jeder das Recht, demonstrieren zu gehen. Man muss halt konkret schauen, was die Leute inhaltlich kritisieren. Wenn Musiker darauf aufmerksam machen, dass ihnen viele Einnahmen wegbrechen, finde ich das mehr als nur in Ordnung. Wenn jemand infrage stellt, ob es das Virus überhaupt gibt, dann ist das natürlich ein Corona-Leugner. 

Wie erklärt Ihr Euch, dass es scheinbar einen starken Zusammenhang zwischen dem Thema Corona und Verschwörungstheorien gibt?

Leon: Verschwörungserzählungen entstehen vor allem bei komplexen Problemen – zum Beispiel der Flüchtlingskrise oder eben einer Pandemie. Die Erzählung gibt eine einfache Antwort und löst so Ungewissheit auf, die für viele Menschen existenzbedrohend ist. Außerdem ist es schmeichelhaft zu glauben, dass man zu einer kleinen Elite gehört, die die vermeintliche Wahrheit erkannt hat. Dafür sind Menschen anfällig – unabhängig von ihrer Intelligenz.

Richard: Ich finde die angebotenen Lösungen aber gar nicht so einfach, muss ich sagen. Die Idee eines Bevölkerungsaustauschs oder kinderbluttrinkender Monster finde ich persönlich sogar komplexer als die globale Existenz eines Virus. Der problematische Unterschied ist, dass diese Menschen ein ganz anderes Grundgerüst haben und dadurch für jegliche Ideologien anfälliger sind.

Pia: Vielleicht kann man sagen, dass es nicht die simplen, dafür aber die bequemeren Lösungen sind. Weil man sich zum Beispiel nicht einschränken muss, wenn das Virus gar nicht existiert. Ich finde es jedenfalls erschreckend, dass diese Theorien und Zweifel mittlerweile in der breiten Masse angekommen sind. In meinem Bekanntenkreis bin ich zum Beispiel die einzige, die sich ohne Bedenken gegen Corona impfen lassen würde.

Leon: Ich denke, momentan potenzieren sich viele Effekte. Zahlreiche Menschen sind unabhängig vom Alter nicht in der Lage, die Seriosität von Quellen einzuschätzen. Es fehlt an Medienkompetenz. Auch Social-Media-Algorithmen tragen dazu bei, dass man schnell in eine Bubble gerät. Denn den Netzwerken geht es am Ende ja nur darum, dass wir möglichst viel Zeit auf einer Plattform verbringen.

Alles in allem: Darf man auf Corona-Demos gehen?

Richard:  Ja, solange man sich an die Regeln hält – in diesem Fall an den Infektionsschutz. Um andere zu schützen, gilt: Abstand halten, Maske tragen! Bei Verstößen muss die Demo aufgelöst werden. Das wurde bisher leider nicht immer so konsequent gehandhabt. 

Leon: Wir leben in einem freien Land, und die Meinungsfreiheit gestattet es jedem Einzelnen, nicht an das Coronavirus zu glauben. 

Pia: Es gilt Demonstrationsfreiheit, und deshalb darf man auch auf Corona-Demos gehen. Ich war ganz am Anfang der Pandemie auch selbst noch auf einer Black-Lives-Matter-Demo. Gerade weil ich für meine Themen das Recht haben will, demonstrieren zu gehen, sollen dies auch andere Leute haben – selbst wenn ich nicht inhaltlich zustimme.
 

Es gibt einige bekannte Persönlichkeiten, die sich stark zum Thema Corona positionieren und dafür viel Aufmerksamkeit bekommen. Attila Hildmann zum Beispiel. Sollte man diesen Personen eine Bühne bieten? 

Richard: Jeder hat das Recht, Meinungen zu verbreiten. Diese Personen müssen dann aber im Gegenzug auch kritisiert werden dürfen und die Kritik sachlich annehmen. Ich finde es schade, dass man mit Michael Wendler und Co. nicht vernünftig reden kann.

Leon: Ich würde da unterscheiden. Eine objektive Berichterstattung und die Einordnung der Aussagen sind wichtig. In Talkshows würde ich solche Menschen wiederum nicht einladen, denn sie wollen ja keine Debatte voranbringen, sondern diese vielmehr sabotieren.

Richard: Trotzdem könnte man damit ja den Vorwurf entkräften, dass die Medien nur einseitig berichten.

Pia: Diese Menschen haben schon genug Publikum, deshalb muss man ihnen meiner Meinung nach keine zusätzliche Bühne bieten.  


Fotos: Markus Spiske, Markus Winkler, Ehimetalor Akhere Unuabona/unsplash; privat