Ausgabe 4-2020 : November

Darf man abergläubisch sein?

Aberglaube ist kulturell fest verankert – auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Zum Beispiel fehlt in manchen Gebäuden der 13. Stock. Daneben gibt es auch viele positiv besetzte Glückssymbole.

Habt Ihr Angst vor schwarzen Katzen oder drückt anderen bei Prüfungen die Daumen? 

Fabian: Nein, ich selbst bin überhaupt nicht abergläubisch. Ich verurteile aber auch keine Menschen, die es sind.

Jessica: In meiner Nachbarschaft leben schon immer viele schwarze Katzen – da ist es für mich quasi unmöglich, Angst zu haben. Ich fand es auch super komisch, als ich das erste Mal davon gehört habe. Natürlich habe auch ich kleine Rituale, die man durchaus als Aberglaube bezeichnen könnte. Zum Beispiel klopfe ich auf Holz, wenn etwas auf keinen Fall passieren soll.

Marinus: Ich würde mich nicht als abergläubisch bezeichnen. Es kann aber schon mal vorkommen, dass ich scherzhafte Bemerkungen zu schwarzen Katzen oder ähnlichen Phänomenen mache.

  • Marinus Angermair

    Für Marinus Angermair aus Erding wird vieles, was früher noch handfester Aberglaube war, mittlerweile nur noch als gesellschaftliche Metapher oder schöne Redewendung verwendet. „Auch die Kirche in Deutschland beschäftigt sich zum Glück kaum noch mit dem Thema“, ergänzt der 24-jährige Student der Religionspädagogik.

  • Jessica Meinberg

    "Kleine Rituale, die vielleicht etwas abergläubisch sind, können den Menschen auch guttun“, findet Jessica Meinberg aus Heppenheim in der Nähe von Darmstadt. Die 18-Jährige geht mit großen Schritten auf das Abitur zu und möchte danach erst mal Erfahrungen im Ausland sammeln. Für dieses Vorhaben drücken wir ihr symbolisch ganz fest die Daumen!

  • Fabian Geib

    Fabian Geib aus dem Diözesanverband Speyer hat für Aberglauben nichts übrig: „Ich bin da Realist.“ Lieber nimmt der 21-jährige Heilerziehungspfleger sein persönliches Glück selbst in die Hand. Abergläubische Menschen zu verurteilen, kommt für ihn dennoch nicht in Frage: „Toleranz ist auch hier wichtig.“

Begegnet Euch Aberglaube im Alltag?

Marinus: Mir fallen da ein paar Situationen ein, die rückblickend auf jeden Fall in die Kategorie fallen. Zum Beispiel hat eine ehemalige Kommilitonin vor jeder Prüfung einen dermaßen großen Schrein aus Fotos und Glücksbringern aufgestellt, dass wir uns alle nur gewundert haben. Gesagt hat dazu allerdings niemand etwas. Deshalb kenne ich ihre wahren Beweggründe nicht.

Jessica: Ich habe tatsächlich erst vor kurzem mit einer Freundin über das Thema Aberglaube gesprochen und einige Aussagen haben mich dann doch überrascht. Sie würde zum Beispiel die Scherben eines kaputten Spiegels vor dem Aufräumen erst sieben Stunden liegen lassen, damit daraus kein Unglück entsteht. Generell fallen mir aber eher ältere Menschen ein, die ich als abergläubisch bezeichnen würde.

Fabian: Ich kenne Personen, die an einem Freitag den 13. keine Klausuren in der Schule schreiben konnten, weil sie Angst vor schlechten Noten hatten. Das geht sogar so weit, dass sie den Tag generell als Gefahr sehen und ungern in die Schule oder zur Arbeit gehen.

Horoskope zählen ja auch irgendwie in den Bereich Aberglaube. Wo fängt Aberglaube eigentlich an und was versteht Ihr darunter?

Jessica: Das ist eine schwierige Frage – bei dem Thema verschwimmen die Grenzen recht schnell. Generell würde ich sagen, dass abergläubische Menschen versuchen, das Schicksal durch bestimmte Handlungen zu beeinflussen. Den meisten ist dabei aber bestimmt schon vorher bewusst, dass es am Ende nicht funktionieren wird.

Fabian: Ich persönlich lese Horoskope, weil da manchmal ganz lustige Sachen drinstehen. Ab und an stimmt die Vorhersage sogar! Für mich hat Aberglaube deshalb keinen Anfang und auch kein Ende – jeder Mensch lässt sich anders darauf ein. Das ist wie unser religiöser Glaube auch: Die Menschen möchten sich an etwas festhalten. Nur sind das am Ende nicht Gott und die Kirche, sondern eben andere Dinge.

Marinus: Die Frage ist wahnsinnig schwer zu beantworten, denn unser Glaube lässt sich nur individuell definieren. Die Häufigkeit und Regelmäßigkeit entsprechender Handlungen spielen da sicherlich eine Rolle. Wenn ich mich an sämtlichen abergläubischen Ritualen beteilige, ist das natürlich etwas anderes, als wenn ich nur ab und an mal auf Holz klopfe.

Darf man abergläubisch sein?

Fabian: Na klar! Jeder Mensch darf glauben, woran er oder sie möchte. Das sollte man niemandem verbieten.

Jessica: Natürlich darf man abergläubisch sein! Ich würde fußballverrückten Jungs auch niemals verbieten, ihr Glückstrikot zu tragen.

Marinus: Da schließe ich mich an: Ja, man darf abergläubisch sein! Solange mir niemand seinen Aberglauben aufzwingt, habe ich absolut nichts dagegen. 

Was denkt Ihr, warum neigen Menschen zu abergläubischem Verhalten?

Marinus:  Da spielt sicherlich die familiäre Prägung eine große Rolle. Wenn mir schon als Kind vorgelebt wird, dass 13 eine Unglückszahl ist, dann wird sich an meinem Empfinden später vielleicht nicht mehr viel verändern. 

Fabian: Der Mensch lebt seinen Glauben. Was für uns Aberglaube ist, kann für andere ganz real sein. Das sollten wir akzeptieren, auch wenn es manchmal vielleicht sehr abstrakt ist. Das kann unser Glaube für andere im Umkehrschluss ja schließlich auch ab und an sein.

Jessica: Aberglaube ist Einstellungssache. Manche Menschen möchten immer alles selbst in der Hand haben – sie wollen sogar das Schicksal kontrollieren. Wobei man sich ja auch über diesen Begriff schon streiten kann. Gibt es „das Schicksal“ überhaupt?
 

Meistens ist Aberglaube eher negativ behaftet. Aber es gibt auch positiven Aberglauben – zum Beispiel vierblättrige Kleeblätter. Kann sowas nicht auch Freude bringen? 

Fabian: Natürlich bringt das Freude! Das vierblättrige Kleeblatt als Glückssymbol kenne ich schon seit Kindertagen. Da gibt es ja noch viele weitere schöne Beispiele – unter anderem Sternschnuppen.

Jessica: Es ist ja überhaupt ein großes Wunder, unter abertausend dreiblättrigen Kleeblättern ein vierblättriges zu finden! Darüber darf man sich dann schon freuen. Bei diesem Beispiel kann ich mir sogar logisch ableiten, warum die Menschen an den positiven Effekt glauben. Ich finde: Alles, was Freude bringt und anderen nicht wehtut, ist erlaubt!

Marinus: Auf WhatsApp schicke ich ganz oft das vierblättrige Kleeblatt, wenn ich zum Beispiel viel Glück für eine Prüfung wünsche oder zum Geburtstag gratuliere. Das ist für mich eine gesellschaftliche Metapher geworden, bei der ich gar nicht mehr unbedingt an Aberglauben denke. Sondern an ein schönes Symbol, das universell verstanden wird. 

Ursprünglich beschreibt das Wort Aberglaube falsche Glaubenssätze. Die katholische Kirche hat dies im Mittelalter stark mit Ketzerei in Verbindung gebracht. Spielt die wörtliche Bedeutung für Euch heute noch eine Rolle?

Marinus: Zum Glück ist die Kirche da viel liberaler geworden – schließlich leben wir in einem aufgeklärten 21. Jahrhundert und müssen nicht mehr über Hexenverbrennungen sprechen. 

Jessica: Aberglaube ist über die Generationen hinweg einfach total normal geworden. Man glaubt ja schließlich nicht an einen zweiten Gott, sondern an die eine oder andere Kleinigkeit, die im direkten Vergleich viel bedeutungsloser ist. 

Fabian: Es ist einfach eine andere Art von Glauben. Wir glauben an Gott und daran, dass er alles für uns tut. Wenn wir andere Religionen akzeptieren, müssen wir auch gegenüber abergläubischen Menschen tolerant sein.


Fotos: Ghana Shyam Khadka/Unsplash, Simon Giesl/Pixabay, Waldemar Brandt/Unsplash, InspiredImages/Pixabay