Ausgabe 4-2024 : November

"Erlebnisräume für Pluralismus und Demokratie schaffen"

Wie sich junge Menschen auf Instagram und TikTok über das Zeitgeschehen orientieren, ist für Erwachsende meist nur schwer nachzuvollziehen. Doch inzwischen gibt es solide Forschung zum "Informationshandeln" junger Leute im Netz – und die Kolpingjugend ist auch längst digital vor Ort.

Live die Bundeskonferenz verfolgen und schon bei der Anreise virtuell mit den verschiedenen Delegationen gemeinsam im Zugabteil sitzen – das ermöglicht u.a. die Social-Media-Plattform Instagram. Knapp zweieinhalbtausend Menschen folgen dem Insta-Account der Kolpingjugend und können via Handybildschirm in die Konferenzatmosphäre eintauchen. Fotos, Kurzvideos und "Storys" transportieren Themen und Wahlergebnisse, vermitteln Eindrücke vom Gottesdienst und vom Abendprogramm. Zu den Macher*innen vor und hinter der Handykamera gehört Natalie Jaschinski von der AG Öffentlichkeitsarbeit. Die 21-Jährige aus dem Diözesanverband Speyer hat fast rund um die Uhr mitten aus dem Geschehen berichtet. "Du musst aktiv dabei sein, um coole Momente zu catchen – also das, was gerade wirklich wichtig ist", sagt sie über ihr Ehrenamt. "Das ist anspruchsvoll, macht aber auch viel Spaß und lohnt sich, wenn wir junge Leute erreichen wollen." Dazu gehört nicht bloß, "Content" zu produzieren und anschließend "Views" und "Likes" einzusammeln, sondern auch auf Kommentare und Anfragen zu reagieren. Denn Soziale Medien sind keine Einbahnstraße, sondern ermöglichen im Idealfall den direkten Austausch – ein großer Vorteil gegenüber der klassischen Zeitschrift. Auch darum hat die Kolpingjugend entschieden, ihr Magazin X-Mag einzustellen, das früher als selbstständige Publikation erschien und zuletzt im Kolpingmagazin integriert war. Vor allem aber geht es darum, Jugendliche überhaupt zu erreichen. Und die sind im Internet. Knapp vierzig Prozent der 18- bis 24-Jährigen nutzen Soziale Medien als Hauptnachrichtenquelle, um sich über Politik und Gesellschaft zu informieren; vor allem die Plattformen Instagram und TikTok.
 

"Es lohnt sich, wenn wir junge Leute erreichen wollen", sagt Natalie Jaschinski

Emotionen klicken gut

Dieses "Informationshandeln", wie die Sozialwissenschaft es nennt, hat zuletzt aus Anlass der Europawahl zu besorgten Diskussionen geführt. Schnell stand der Verdacht im Raum, dass Soziale Medien für den Rechtsruck unter jungen Menschen verantwortlich seien. Tatsächlich ist etwa die AfD auf TikTok im Vergleich zu anderen Parteien überdurchschnittlich präsent und unter den zehn deutschen Politiker*innen mit den höchsten Follower*innen-Zahlen gleich fünfmal vertreten. Dazu kommen fragwürdige Trends wie die Sehnsucht nach vermeintlich traditionellen Rollenbildern: Selbsternannte Alpha-Männer protzen mit Muskeln und Autos, während "Trad-Wifes" Mädchen und junge Frauen beschwören, dass eine Mutter auf keinen Fall berufstätig sein sollte. Und der AfD-Politiker Maximilian Krah rät seinem jungen Publikum: "Echte Männer sind rechts. Dann klappt es auch mit der Freundin." Aber längst nicht nur rechtsextreme und populistische Inhalte ziehen junge Menschen in ihren Bann, auch religiöse Extremist*innen wie salafistische Prediger oder Vereine erreichen mit ihren hochprofessionellen Videos ein sehr großes, sehr junges Publikum. 

Was die auf den ersten Blick doch sehr gegensätzlichen Strömungen eint, ist – neben den gemeinsamen Themen wie Anti-Pluralismus, Anti-Feminismus, Queer-Feindlichkeit, dass sie mit ihren Social-Media- Kanälen vor allem auf Emotionen setzen. Sie schüren Ängste, erzeugen Wut.

Georg Materna

Konflikte zulassen und aushandeln

"Anders als seriöse journalistische Inhalte nehmen solche Kanäle durch ihre emotionalisierten und oftmals einseitigen Inhalte ihren Follower*innen die Aufgabe ab, sich selbst eine Meinung bilden zu müssen", konstatiert Georg Materna vom Berliner Büro des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler  ist weit davon entfernt, Soziale Medien als "Filterblasen" oder "Echokammern" zu verdammen, wie es in öffentlichen Debatten bisweilen geschieht. Junge Menschen bräuchten allerdings Orientierung beim Umgang mit der Diversität und der Fülle an Informationen im Netz. Natalie Jaschinski hat für sich bereits eine Strategie gefunden. Auch sie informiert sich über das Tagesgeschehen primär via Social Media. "Ich folge zum Beispiel der Tagesschau auf Instagram", berichtet sie, "und wenn mich ein Thema besonders interessiert, wechsle ich die Plattform, suche nach tiefergehenden Informationen, höre mir zum Beispiel einen Podcast dazu an." 
 

"Anders als seriöse journalistische Inhalte nehmen solche Kanäle durch ihre emotionalisierten und oftmals einseitigen Inhalte ihren Follower*innen die Aufgabe ab, sich selbst eine Meinung bilden zu müssen."
Georg Materna

Nicht allen jungen Menschen fällt solch eine Orientierung leicht. Georg Materna wünscht sich darum "Räume für Anschlusskommunikation": "Jugendliche brauchen die Möglichkeit, das, was sie online erleben, einzuordnen. Das kann in der Schule geschehen, im Politikunterricht oder auch in Informatik oder sogar im Musikunterricht, wenn es etwa um bestimmte Rap-Songs geht." Für Medienpädagogik ist aber auch die außerschulische Bildung entscheidend. So hat Georg Materna am Projekt "Isso!" mitgearbeitet, bei dem Fachkräften gemeinsam mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen Material und Methoden zum Erkennen von Desinformationen entwickelt haben. Darüber hinaus fordert der Kommunikationsforscher, "dass Politik und Öffentlichkeit sich darin üben sollten, Konflikte besser als bisher zuzulassen und auszuhandeln. Wir brauchen Erlebnisräume für Demokratie und Pluralismus." Gerade auch die Kirchen, so Materna, könnten solche Räume zur Verfügung stellen – nicht nur im Sinne von Gebäuden, sondern als Akteurinnen, die Menschen zum Diskurs zusammenbringen und den Austausch moderieren.

Das kann auch eine Option der Kolpingjugend sein, wenn sie sich künftig stärker als bisher in den Sozialen Medien präsentiert. "Uns geht es nicht darum, Menschen irgendwie umzudrehen, wenn sie sich für antidemokratische Inhalte interessieren", sagt Natalie Jaschinski. "Wir wollen einfach da sein, uns mit unseren eigenen Inhalten klar positionieren und zeigen, dass bei uns alle willkommen sind."

Klicksafe

Informationen und Materialen zu Internetsicherheit und Medienkompetenz – sowohl für pädagogische Fachkräfte als auch für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern und Großeltern.
www.klicksafe.de

Fotos: igure8Photos – iStockphoto.com; JFF; privat 

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