Ausgabe 1-2022 : Februar

„Es ist wichtig, dass die Fans noch einmal Druck erzeugen“

Ende des Jahres beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wolfgang Büttner von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht im Interview darüber, wie sich Fans, die die Spiele verfolgen möchten, verhalten sollten, was er vom DFB fordert und worauf jetzt noch Einfluss genommen werden kann.

Wenn am 21. November 2022 der Pfiff des Schiedsrichters ertönt, beginnt um 13 Uhr Ortszeit im 60.000 Zuschauer fassenden al-Bayt-Stadion in der katarischen Küstenstadt Al-Chaur die Fußball-Weltmeisterschaft. Es ist die wohl umstrittenste in der Geschichte des Fußball-Weltverbandes Fifa. Erstmals wird das Turnier im Winter stattfinden – weil im Sommer bei Temperaturen von um die 50 Grad an einen Spielbetrieb nicht zu denken ist. Auch nicht in klimatisierten Stadien. 

Mehr noch als die klimatischen Bedingungen sorgte jedoch die Menschenrechts-Situation und wie der Wüstenstaat damit umgeht für Entsetzen in der Weltöffentlichkeit. In einem Lagebericht ging die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zuletzt von mehr als 15.000 Arbeitsmigrant_innen aus, die zwischen 2010 und 2019 in Katar gestorben sind. Vermutlich aufgrund der oftmals menschenunwürdigen Arbeits- und Lebenssituation der Gastarbeiter_innen. 

Nicht zuletzt aus diesen Gründen gab es seit der WM-Vergabe immer wieder Forderungen, das Turnier zu boykottieren. In Deutschland befürworten sogar 61 Prozent der Fußball-Fans, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht nach Katar reist. Das ergab im Mai 2021 eine von Infratest Dimap im Auftrag des WDR erstellte repräsentative Umfrage. Für eine Teilnahme am Turnier waren hingegen nur 31 Prozent der Befragten Fans.

Wenige Monate vor Beginn des Turniers steht allerdings fest, dass es keinen Boykott geben wird. Zumindest nicht von den für die WM qualifizierten Teams. Allerdings fragen sich nun vermehrt Fußballinteressierte, wie sie mit der Veranstaltung umgehen sollen. Schließlich ist eine Weltmeisterschaft meist ein fixer Bestandteil des Kalenders eines Fans. Bleibt der Fernseher diesmal aus? Oder ist der Reiz der Spiele doch zu groß?

Wolfgang Büttner vom Deutschlandbüro der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beobachtet die Situation der Menschenrechte in Katar und den Golfstaaten seit Jahren. Im Interview mit dem Kolpingmagazin spricht der 45-Jährige unter anderem darüber, ob man als Fan guten Gewissens die Übertragungen verfolgen kann und was er vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) fordert.

Wolfgang Büttner von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch

Werden Sie sich die Spiele ansehen oder lassen sie den Fernseher lieber aus?

Wolfgang Büttner: Ich bin kein sonderlich großer Fußball-Fan, aber ich glaube schon, dass ich mir ein paar Spiele ansehen werde.

Viele Fans hadern da ja noch mit sich.

Wolfgang Büttner: Das kann ich gut verstehen. Aber ich glaube, dass man es schon vertreten kann, sich die Spiele anzuschauen. Wichtig ist, dass man sich als Fußball-Fan informiert und die Rahmenbedingungen im Kopf hat, unter denen die WM stattfindet. Dass man weiß, dass es über die Problematik der schlechten Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigranten hinausgeht. Das ist ja das Thema, das in der Öffentlichkeit am meisten besprochen wird. Vom DFB sollten die Fans einfordern, dass er alles unternimmt, um auf die katarische Regierung einzuwirken.

Worauf genau sollte der DFB drängen?

Wolfgang Büttner: Katar nutzt Sportgroßveranstaltungen wie eine Fußball-WM, um sich in der Öffentlichkeit gut darzustellen – auch als Sportswashing bekannt. Dass die WM in Katar stattfindet, ist nicht mehr zu verhindern. Was man jetzt aber noch erreichen kann, ist, auf die Probleme im Land hinzuweisen. Das können Menschenrechtsorganisationen wie wir, aber auch Medien, die Politik und eben Sportverbände. Es muss alles dafür getan werden, dass vor der WM – also so lange noch Einflussmöglichkeiten bestehen – Arbeitsbedingungen so gut wie möglich gestaltet werden.

An welche Berufsgruppen denken Sie da?

Wolfgang Büttner: Zum Beispiel an die Arbeitsmigranten, die in katarischen Sicherheitsfirmen oder in Hotels arbeiten. Außerdem kann man als ein so großer Verband wie der DFB auf die vielen anderen Probleme in Katar hinweisen. Frauenrechte existieren dort so gut wie gar nicht, Homosexuelle werden eingesperrt und die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Der DFB und auch die anderen Nationalverbände müssen gezielt nachfragen, mit welchen Firmen sie vor Ort zusammenarbeiten und ob dort Menschenrechte eingehalten werden. Ich würde mir zudem nicht nur wünschen, dass sich die Verbände zur Menschenrechtslage äußern, sondern auch, dass sie ihre Spieler ermutigen, klar Stellung zu beziehen.

Kam Ihnen da bisher zu wenig?

Wolfgang Büttner: Auf jeden Fall seitens des DFB. Wir haben zum Glück ja schon noch ein paar Fußballer in Deutschland, die sich äußern. Etwa Leon Goretztka oder Joshua Kimmich – auch wenn der wegen seiner Äußerungen zu einer Corona-Impfung natürlich gerade etwas kritisch gesehen wird. Aber allgemein sollten solche Vorstöße vom DFB auch unterstützt werden.

Was genau missfällt Ihnen an der Haltung des DFB?

Wolfgang Büttner: Es ist nicht so, dass dort in dieser Hinsicht nichts passiert. Deren Mitarbeiter versuchen durchaus, einiges zu den Menschenrechten zu machen. Es gibt dort sogar eine eigene Abteilung für soziale Verantwortung, mit der wir ebenso in Kontakt stehen wie mit dem Fanclub Nationalmannschaft. Aber die DFB-Spitze fällt da leider raus. Daher wäre es so wichtig, wenn da von den Fans noch einmal Druck erzeugt würde. Das wirkt auf die Spitze des Verbandes dann noch einmal ganz anders ein, weil dort so wenig Bewegung und so wenig Bereitschaft vorhanden ist, das Thema klar anzusprechen.

Was hätten Sie sich vom DFB-Präsidium gewünscht?

Wolfgang Büttner: Dass es sich vergangenen November – also ein Jahr vor Beginn der WM – noch einmal klar äußert. Das haben wir auch in einem Gespräch deutlich gemacht. Aber da kam nichts. Nur Schweigen. Das Gleiche gilt auch für Oliver Bierhoff (beim DFB als Direktor unter anderem für die Nationalmannschaft zuständig, Anm. d. Red.). In einem Interview mit einem Verbands-Medium hat er das Gleiche gesagt, was auch die Kataris immer sagen: Dass alles eine Frage der Zeit sei, bis sich die Menschenrechtssituation im Land verbessert, dass Katar alles unternimmt, um die Lage zu verändern. Das entspricht aber nicht der Realität. Er sitzt dieser Erzählung auf, die von der katarischen Regierung nach außen getragen wird. Da würden wir uns wünschen, dass der DFB noch einmal klarer in der Öffentlichkeit kommuniziert. Dass er klar sagt, wo die Kritikpunkte in Katar liegen.

Warum ist es so wichtig, dass auf Katar Druck von außen ausgeübt wird?

Wolfgang Büttner: In Katar gibt es keine unabhängige Zivilgesellschaft, keine unabhängigen Gewerkschaften, keine unabhängigen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Das Aufdecken von Menschenrechtsverletzungen kann daher wirklich nur von außen gelingen, alles andere ist von der Regierung verboten ist. Es ist wichtig, sich das im Bewusstsein zu behalten.

Dennoch sind Sie der Meinung, dass ein WM-Boykott von Fans nicht nötig ist.

Wolfgang Büttner: Die Boykott-Frage ist unterschiedlich zu gewichten. Man kann ja Katar zum Beispiel mal mit Peking vergleichen, wo gerade (Februar 2022, Anm. d. Red.) die olympischen Winterspiele stattfinden. In China ist die Menschenrechtssituation noch einmal wesentlich schlechter als in Katar. Das ist ein sehr großer Unterschied. Da kann ich mir als Fan schon eher einen Boykott vorstellen.

Worauf sollten Fans achten, die für die WM nach Katar reisen?

Wolfgang Büttner: Sie sollten frühzeitig an den DFB herantreten und eine Liste von Hotels und Dienstleistern einfordern, bei denen sichergestellt ist, dass sie nicht in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, und an die sie sich auch wenden können, wenn sie nach Katar fliegen. Außerdem sollten sie den DFB fragen, wie er für ihre Sicherheit garantiert. Denn dort kann es ja schon zum Problem werden, wenn man sich in sozialen Netzwerken zu Frauen- oder LGBTQIA+-Rechten äußert.

Wie groß sehen sie das Risiko, dass eine Fußball-WM erneut an ein Land mit vielen Menschenrechts-problemen vergeben wird?

Wolfgang Büttner: Nicht mehr so groß wie 2010, als Katar den Zuschlag erhielt. Menschenrechte müssen künftig zu einem zentralen Aspekt der Vergabekriterien werden. Da ist zum Glück inzwischen auch schon etwas passiert. Aber das darf natürlich nur ein erster Schritt sein.


Fotos: Connor Coyne, Sandro Schuh/unsplash; privat