Wahl: Ich erlebe bei Kolping und im Rahmen meiner pfarreiübergreifenden Aufgaben Menschen mit einem Potenzial, das in die Zukunft weist. Aus persönlichem Engagement entstehen da Aktivitäten auf einem ganz hohen Niveau, auch unter Beteiligung von jungen Menschen, die sonst in der Pfarrgemeinde kaum sichtbar sind. Aber die sind auch Kirche, und die feiern auch Gottesdienst miteinander, anders vielleicht als die klassische Gemeinde, aber so, dass es sie trägt und über Jahre hinweg miteinander verbindet. Kirchliches Leben wandelt sich – wir sind schon mittendrin. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass man „in die Kirche hineingeboren wird“. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Pfarrgemeinde ist schon lange nicht mehr das Hauptkriterium für kirchliches Engagement. – Wenn es darum geht, als Christ in dieser Welt zu leben, hat die formale Zugehörigkeit noch nie gereicht. Da muss ich Menschen kennen, mich in einer Gemeinschaft beheimatet wissen. Das erfüllt das Kolpingwerk in jeder Hinsicht, das kann aber auch eine Pfarrgemeinde oder ein Freundeskreis sein. Wichtig ist jedenfalls, dass in einer solchen Gemeinschaft eine Offenheit gepflegt wird, die andere einlädt, dazu zu kommen und mitzumachen, weil sie sich angesprochen fühlen, auch wenn sie vielleicht nicht alle Inhalte teilen. Also: Ich setze ganz stark auf gelingende menschliche Beziehungen, die das Ganze weitertragen.
Huber: Ich sehe einen besonderen Wert der internationalen Verbreitung des Kolpingwerkes darin, dass in einer Zeit, in der kirchliche Bindung abnimmt, die Begegnung mit den Menschen auf anderen Kontinenten auch für uns in Deutschland eine ganz neue Perspektive eröffnet. Es ist für einen selber sehr erfüllend, wenn man in Gottesdiensten in Afrika oder auch in Lateinamerika eine Frömmigkeit erlebt, die wir zwar so nicht nachmachen können oder sollen, aber wo man für sich selber mitnimmt, dass Frömmigkeit nicht von vorgestern ist. Das kann für uns sehr bereichernd sein. Andererseits können wir als Verband der katholischen Kirche auch einen Dienst leisten, indem wir deutlich machen, dass katholisch sein nicht heißt, dass man die ganze Zeit kniend vor der Monstranz verbringt, sondern dass man auch die Lebensverhältnisse um sich herum in den Blick nimmt und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Auch das ist eine Form von Frömmigkeit und die gehört für unsere Kirche auch essenziell dazu. Wir sammeln ja schon auch die Menschen, die randständig sind und ihre Religiosität außerhalb der Kirche leben. Diese Leute binden wir. Es gelingt uns Jugendliche und Familien anzusprechen, beispielsweise in Familienferienstätten. Da kommen sie gerne zum Gottesdienst, auch wenn sie daheim nicht immer in die Kirche gehen. Solche Leute gehen dann bei uns ein oder zweimal im Jahr in die Kirche. Und sie erwarten das auch nächstes Jahr wieder. Sie leben darin ihre Frömmigkeit aus. Solche Leute finden auch in Zukunft bei uns ihre Heimat, und ich glaube, die katholische Kirche ist gut beraten das anzuerkennen.
Fotos: Barbara Bechtloff