Ausgabe 1-2022 : Februar

Das gelebte Christentum stärken

Ende letzten Jahres wurden Msgr. Christoph Huber als Generalpräses und Geistlicher Rat Hans-Joachim Wahl als Bundespräses gewählt. Sie stehen jetzt in einer langen Tradition von Präsides, die vor ihnen mit ihrer Spiritualität und ihrem Engagement in der Nachfolge Adolph Kolpings eine große Wirkung entfalteten. Das Kolpingmagazin sprach mit beiden am Grab des Verbandsgründers in der Kölner Minoritenkirche.

Fangen wir in Anlehnung an Marcel Prousts Fragebogen mit einer einfachen Frage an: Wein oder Bier?

Huber: Generell trinke ich wenig Alkohol, weil ich mir das in meiner Kaplanszeit abgewöhnt habe. Ich war viel mit dem Auto unterwegs und so habe ich außer dem regelmäßigen Schluck Messwein kaum etwas getrunken. Ich trinke aber beides: Wein in der Arbeit und sonst gerne auch schon einmal ein Bier. Womit ich mich an meiner neuen Wirkungsstätte ein bisschen schwertue, das sind die Größen der Gläser: Wenn ich richtig Durst habe, dann komme ich mit den kleinen Stangen in Köln nicht so gut zurecht.

Wahl: Bei mir kommt noch etwas Drittes hinzu: der „Ebbelwoi“. Ich stamme nämlich aus einer Gegend, in der man Wein aus Äpfeln macht. Wenn es gesellig wird, dann trinke ich gerne Bier; in feinem Ambiente auch gerne Wein – und so zwischendurch im Sommer am liebsten Ebbelwoi.

Huber: Da rate ich dir, eine Leitung legen zu lassen. So etwas bekommst du in Köln nicht…

Was ist eure Lieblingsbeschäftigung?

Huber: Ich fahre gerne Ski. Doch die Angebote im Rheinland, also beispielsweise die Skihalle in Neuss, befriedigen mich nicht wirklich. Zum Skifahren gehören für mich schon ein richtiger Berg und eine lange Abfahrt. Aber das mache ich dann gerne im Urlaub und werde das weiterhin pflegen.

Wahl: Ich halte es da eher mit der Redewendung, die man Winston Churchill nachsagt: No sports! Ich bin eher für „moderate körperliche Aktivierung“. Meine eigentliche Lieblingsbeschäftigung ist aber die Musik, mit zwei oder vier Händen (und Füßen!) an Klavier und Orgel oder im Chor oder mit mehreren Instrumentalisten. Das ist auch eine gute Art von Mannschaftssport.

Was waren eure bislang glücklichsten Momente?

Wahl: Bei mir waren es die Priesterweihe und aktuell die Wahl zum Bundespräses. Weil es zwei Kandidaten gab, war es für mich spannend bis zur letzten Minute. Ich habe mindestens drei Tage gebraucht, um den Adrenalinstoß zu verarbeiten. Das hat mich schon ziemlich hochgepuscht und hat ordentliche Glücksgefühle freigesetzt.

Huber: Ich denke gerne an einen beglückenden Moment im Umfeld der beiden großen Jubiläumsjahre 2013 und 2015 rund um den 200. Geburtstag und den 150. Todestag Adolph Kolpings. In irgendeiner geselligen Runde kam die Frage auf, was wir denn zwischendrin, also 2014, machen wollen. Da habe ich aus der Laune heraus gesagt: Wir machen eine Wallfahrt nach Altötting. Diese Idee hat sich dann in unseren Landesverband so ausgebreitet, dass ich am 3. Oktober 2014 vor der Gnadenkapelle stand und dort dreieinhalbtausend Kolpinger begrüßen konnte. Dieser Moment, in dem ich in die Gesichter dieser vielen Menschen schaute, die voller Begeisterung gekommen waren, den werde ich sicher nie vergessen.

Welche Eigenschaften schätzt Ihr bei einem Menschen am meisten?

Wahl: Ich schätze am meisten eine freundliche Zugewandtheit von Menschen, was durchaus auch die Möglichkeit einschließt, dass man sich mal streitet. Aber wenn das von freundlicher Zugewandtheit getragen ist, dann kann man in der Sache auch gut mal anderer Meinung sein und heftig miteinander ringen. Was ich auch noch ganz wichtig finde, sind Verbindlichkeit, Solidarität und Loyalität.

Huber: Ich bin da gar nicht so weit entfernt: Zuverlässigkeit würde ich es nennen. Dass, was ich bei Kolping immer so erlebe: Wenn Leute etwas versprechen, dann halten sie es auch. Wir können uns auf unsere Leute verlassen. Das ist etwas, was ich ganz hoch schätze.

Geistlicher Rat Hans-Joachim Wahl,

Jahrgang 1960, wurde 1985 in Mainz zum Priester geweiht. Er war nach der Kaplanszeit ab 1990 in der Militärseelsorge eingesetzt. Danach war er Pfarrer in Bad Nauheim, Präses der dortigen Kolpingsfamilie, sowie Leiter der Kurklinik- und Altenheimseelsorge (2001-2011). Ab 2003 war er Aufsichtsratsvorsitzender des Caritasverbandes Gießen, seit 2011 Pfarrer und Dekan des Dekanates Gießen, Leiter des Pfarreienverbundes Gießen und Präses der Kolpingsfamilie Gießen. Gleichzeitig amtierte er als Diözesanpräses des Kolpingwerkes im Diözesanverband Mainz und als Bezirkspräses im Bezirk Oberhessen-Süd. Seit der Bundesversammlung im November 2021 ist Hans-Joachim Wahl Bundespräses des Kolpingwerkes Deutschland.

Wer ist euer Lieblingsheld in der Wirklichkeit?

Huber: Das Wort „Held“ klingt so furchtbar groß; heldenhaft sind nach meiner Erfahrung aber oft die Kleinen. Die Frau, die sich um ihre Nachbarin kümmert. Unsereins denkt sich dann: Mein Gott, das wäre mir alles viel zu lästig. Oder: Das könnte ich nicht. Eine solche Aufopferung beeindruckt mich, und ich empfinde diesen Anspruch: Wenn die das kann, dann könntest du es ja auch mal versuchen.

Wahl: In meiner Zeit als Militärseelsorger habe ich gelernt, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Situationen seinen Mann zu stehen und für andere da zu sein. Da sind mir Menschen wie zum Beispiel ein Albert Schweitzer am nächsten. Er ist nach Afrika gegangen, um für andere Menschen dazu zu sein. Auch Mutter Teresa bewundere ich dafür, dass sie einfach versucht hat, an dem Platz, wo sie stand, den Menschen zu helfen. Da bin ich ganz deiner Meinung, Christoph: Wenn Leute sich für andere einsetzen, das ringt mir großen Respekt ab.

Ein Mann, der sich für andere Menschen eingesetzt hat, war auch Adolph Kolping. Wie steht Ihr zu seiner Heilig­sprechung?

Wahl: Wenn wir Christen bekennen: Gott heiligt jeden Menschen, durch seine Liebe, durch die Taufe und ein christliches Leben, dann stellt sich die Frage, ob das nicht genügt. Ich meine: wenn Gott dich so beschenkt, hast du doch alles, und das kannst du mit anderen teilen. Andererseits geht es bei der Heiligsprechung um die öffentliche Verehrung und die Aussage: Dieser Mensch kann als allgemeines Vorbild dienen. Da haben wir jemanden, der tatsächlich etwas Herausragendes geleistet hat und der deshalb – bei aller menschlichen Unvollkommenheit, die auch dazugehört, wie man es bei Adolph Kolping auch sehen kann – als Vorbild für ganz viele Menschen taugt. Deshalb verehren wir ihn und halten sein Beispiel hoch. Ich sehe auch den internationalen Aspekt: Die Heiligsprechung motiviert Menschen überall auf der Welt, dem Beispiel Adolph Kolpings zu folgen und etwas auf den Weg bringen, was die Welt und die Menschen besser macht. 

Huber: Ja, die Kolpingschwestern und -brüder außerhalb des deutschen Sprachraums würden eine Heiligsprechung als starke Aufwertung ihrer Arbeit und als kirchliche Anerkennung ihres Engagements im Sinne Adolph Kolpings verstehen. Und sie wollen eine offizielle Erlaubnis, ihn als Heiligen vor Ort verehren zu dürfen – dort, wo sein Geist lebendig ist. Die Seligsprechung setzt der Verehrung bislang regionale Grenzen. Hinzu kommt: Die Menschen in Lateinamerika, Afrika und Asien sehen in einem Heiligen nicht nur ein Vorbild im Sinne eines Superstars, sondern sie sehnen sich nach einer Verbindung zum Himmel. Gott ist so groß, so abstrakt und so schwierig zu greifen. Die Menschen wünschen sich daher konkrete Vorbilder wie einen Adolph Kolping als Begleiter im Himmel, als jemanden, der auf sie aufpasst und sich um sie kümmert. Sie haben einen Sinn dafür – was uns im Westen fast völlig abgeht. Insofern wäre die Heiligsprechung auch sinnvoll. Bei allen Schwierigkeiten würde es unserer Kirche heute guttun, wenn wir uns mit Anliegen präsentieren, die großen Zuspruch finden.

Warum braucht es eurer Meinung nach das Kolpingwerk hier in Deutschland und darüber hinaus in der weiten Welt?

Wahl: Ein Jugendlicher hat mir vor Jahren mal im Gespräch gesagt: „Kolping, die machen was! Die sind sehr engagiert und setzten sich ein“.  Das hat mich damals beeindruckt, weil die Kolpinggeschwister, die er in seiner Pfarrgemeinde erleben konnte, eher seine Großeltern hätten sein können. Und es ist mein Leitmotiv geworden: Kolping überschreitet das Klein-Klein der Pfarrei, geht über den gottesdienstlichen und innerkirchlichen Bereich hinaus in die Lebenswirklichkeit der Menschen und in den alltäglichen Glaubensvollzug hinein: Wo Menschen konkret geholfen wird, etwa durch das Sammeln von Altkleidern und das Betreiben einer Kleiderkammer, wenn eine Küche eingerichtet wird, wo sich bedürftige Menschen Essen holen können – da setzt sich Kolping ein. Deshalb ist der Verband ein Ort, wo nicht nur Kirche draufsteht, sondern auch drinsteckt. Dieses gelebte Christentum möchte ich stärken. Denn der Menschendienst ist auch Gottesdienst. Beides gehört zusammen. Wir stehen mit zwei Füßen in der Welt und engagieren uns im Geist Jesu Christi und in der Nachfolge Adolph Kolpings – das halte ich für ganz wichtig und das ist es, was mich antreibt. Und dafür setze ich mich gerne ein.

Huber: Dem kann ich nur zustimmen. Eine Idee, die nicht konkret wird, bewirkt nichts in der Welt. Und deshalb braucht es ein Werk, das versucht christliche Vorstellungen umzusetzen. Ich glaube, dass die Idee Adolph Kolpings, wie wir alle zu einem besseren Leben kommen, bis heute ungeschlagen ist. Die wird nicht nur im Kolpingwerk verwirklicht, das machen viele andere auch, aber diese Idee hat Bestand und trägt heute weltweit dazu bei, dass Menschen ihr Leben verbessern können. Deswegen braucht es Kolping in Deutschland, in Lateinamerika in Afrika, in Asien – einfach überall.
 

Msgr. Christoph Huber,

geboren 1967 im oberbayerischen Reit im Winkl, wurde 1998 zum Priester geweiht. Nach Stationen als Kaplan im Landkreis Erding (1998-2001), als Pfarrer in München-Feldmoching (2001-2007) und als Regionalpfarrer der Region Süd in der Erzdiözese München und Freising (2007-2010) wurde er 2010 zum Diözesanpräses des Kolpingwerkes München und Freising und zum Landespräses in Bayern gewählt. Vom Generalrat zum 10. Nachfolger Adolph Kolpings gewählt trat er am Kolpinggedenktag 2021 sein Amt als Generalpräses von Kolping International an.
 

Wo wollt Ihr in den kommenden Jahren mit eurer Arbeit Schwerpunkte setzen?

Huber: Ich sehe meine Aufgabe darin, die Kolping-Gemeinschaften zu stärken. Ich habe jetzt einen ersten Besuch bei einem Nationalverband gemacht. In Serbien haben die Kolpinggeschwister ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert. Dort habe ich erlebt, was alles passiert. Ein Beispiel: Großeltern haben mit ihren Enkelkindern Kekse gebacken, damit ein Priester sie an Weihnachten Kranken in der Pfarrei bringen kann. Und die Kolpingmitglieder haben sich gefreut, dass ihr Tun von einer weltweiten Gemeinschaft anerkannt wird. Darin sehe ich meine Aufgabe: Den Kolping-Gemeinschaften in der Welt zu zeigen, dass ihr Engagement Bedeutung hat und große Wertschätzung findet. Vielleicht werde ich darüber hinaus hin und wieder unseren Leuten zu einem tieferen Verständnis der Ideen Adolph Kolpings verhelfen können. 

Wahl: Auch in Deutschland gilt es, Verbindung zu halten zu den Kolpingsfamilien und den Diözesanverbänden, unsere Leute zu ermutigen, zu stärken, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und sie zu ermutigen, ihre Arbeit immer wieder neu an den Idealen unseres Verbandsgründers auszurichten. Hier in der geistlichen Leitung Impulse zu setzen, darin sehe ich einen geistlichen Schwerpunkt des Amtes als Bundespräses. Dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für die Kolping­arbeit stimmen, ist die andere – verwaltungstechnische – Seite der Medaille. Denn – und das ist einer der Gründe, warum mich mein Bischof für diese Aufgabe freigestellt hat – ein Verband wie Kolping ist ein wichtiges Standbein der Kirche vor Ort. Und es ich wichtig, dass Kirche diese Wirksamkeit entfaltet.

Wo seht Ihr das Kolpingwerk in Deutschland und international in zehn Jahren?

Wahl: Ich erlebe bei Kolping und im Rahmen meiner pfarreiübergreifenden Aufgaben Menschen mit einem Potenzial, das in die Zukunft weist. Aus persönlichem Engagement entstehen da Aktivitäten auf einem ganz hohen Niveau, auch unter Beteiligung von jungen Menschen, die sonst in der Pfarrgemeinde kaum sichtbar sind. Aber die sind auch Kirche, und die feiern auch Gottesdienst miteinander, anders vielleicht als die klassische Gemeinde, aber so, dass es sie trägt und über Jahre hinweg miteinander verbindet. Kirchliches Leben wandelt sich – wir sind schon mittendrin. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass man „in die Kirche hineingeboren wird“. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Pfarrgemeinde ist schon lange nicht mehr das Hauptkriterium für kirchliches Engagement. – Wenn es darum geht, als Christ in dieser Welt zu leben, hat die formale Zugehörigkeit noch nie gereicht. Da muss ich Menschen kennen, mich in einer Gemeinschaft beheimatet wissen. Das erfüllt das Kolpingwerk in jeder Hinsicht, das kann aber auch eine Pfarrgemeinde oder ein Freundeskreis sein. Wichtig ist jedenfalls, dass in einer solchen Gemeinschaft eine Offenheit gepflegt wird, die andere einlädt, dazu zu kommen und mitzumachen, weil sie sich angesprochen fühlen, auch wenn sie vielleicht nicht alle Inhalte teilen. Also: Ich setze ganz stark auf gelingende menschliche Beziehungen, die das Ganze weitertragen.

Huber: Ich sehe einen besonderen Wert der internationalen Verbreitung des Kolpingwerkes darin, dass in einer Zeit, in der kirchliche Bindung abnimmt, die Begegnung mit den Menschen auf anderen Kontinenten auch für uns in Deutschland eine ganz neue Perspektive eröffnet. Es ist für einen selber sehr erfüllend, wenn man in Gottesdiensten in Afrika oder auch in Lateinamerika eine Frömmigkeit erlebt, die wir zwar so nicht nachmachen können oder sollen, aber wo man für sich selber mitnimmt, dass Frömmigkeit nicht von vorgestern ist. Das kann für uns sehr bereichernd sein. Andererseits können wir als Verband der katholischen Kirche auch einen Dienst leisten, indem wir deutlich machen, dass katholisch sein nicht heißt, dass man die ganze Zeit kniend vor der Monstranz verbringt, sondern dass man auch die Lebensverhältnisse um sich herum in den Blick nimmt und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Auch das ist eine Form von Frömmigkeit und die gehört für unsere Kirche auch essenziell dazu. Wir sammeln ja schon auch die Menschen, die randständig sind und ihre Religiosität außerhalb der Kirche leben. Diese Leute binden wir. Es gelingt uns Jugendliche und Familien anzusprechen, beispielsweise in Familienferienstätten. Da kommen sie gerne zum Gottesdienst, auch wenn sie daheim nicht immer in die Kirche gehen. Solche Leute gehen dann bei uns ein oder zweimal im Jahr in die Kirche. Und sie erwarten das auch nächstes Jahr wieder. Sie leben darin ihre Frömmigkeit aus. Solche Leute finden auch in Zukunft bei uns ihre Heimat, und ich glaube, die katholische Kirche ist gut beraten das anzuerkennen.


Fotos: Barbara Bechtloff