Ausgabe 4-2021 : Oktober

Mit Kolping in ein neues Leben

Jugendliche, die in Südafrikas Townships aufwachsen, haben kaum Zukunftsaussichten. Kolping Südafrika hilft mit einem speziellen Ausbildungsprogramm, um ihnen den Schritt aus der Armut zu ermöglichen.

Teilnehmende eines Schweißerkurses. Die Ausbildung gibt ihnen neue Perspektiven.

„Vertraue niemals anderen Menschen, sie werden dich enttäuschen.“ So lautete lange Zeit das Lebensmotto der Südafrikanerin Nataly Jacobs. Die junge Frau hatte sich sogar ein Plakat mit diesem Satz in ihrem Zimmer aufgehängt – quasi als Mahnung, weil das Leben sie bislang nichts anderes gelehrt hatte. Natalys Kindheit und Jugend war nicht einfach. Ihr Vater starb, als sie gerade einmal acht Jahre alt war. Plötzlich war ihre Mutter mit ihr und den vier älteren Geschwistern alleine. Alleine in einem Township am Ostkap Südafrikas, wo nicht nur Armut den Alltag bestimmt, sondern auch Alkohol und Drogen, häusliche Gewalt, Bandenkriminalität und Vergewaltigungen. Ein soziales Umfeld, das tiefe Spuren in der Seele einer Heranwachsenden hinterlässt und jeden Tag zu einer neuen Herausforderung macht.

Die Schule meisterte Nataly zunächst gut. Doch als sie älter wurde, folgte sie falschen Vorbildern und verließ die zehnte Klasse ohne Abschluss. Zur gleichen Zeit wurde ihre Mutter schwer krank und Nataly, die als einzige noch zu Hause lebte, musste sich um sie kümmern. Kurz bevor die Mutter starb, wurde die Jugendliche schwanger. Nun stand auch sie ganz ohne Unterstützung da – alleinerziehend, ohne Schulabschluss, ohne Job. „Ich war völlig verzweifelt und einfach nur noch wütend auf das Leben“, erinnert sich Nataly. Sie schottete sich ab von der Welt und verlor jede Hoffnung, in ihrem Leben noch einmal voranzukommen. Dann lernte sie Kolping kennen – und nahm ihr Schicksal in die Hand.

Nach einem schweren Start ins Leben hat Nataly Jacobs bei Kolping gelernt, Menschen zu vertrauen. Heute ist sie eine selbstbewusste und fröhliche Frau.

Dem Teufelskreis entkommen

Lebensläufe wie der von Nataly sind typisch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Work Opportunity Programme (WOP), mit dem Kolping Südafrika seit 1995 Jugendliche und junge Erwachsene aus den Townships unterstützt. Die meisten von ihnen haben bereits früh Schlimmes durchgemacht. Denn die sozialen Probleme in den schwarzen Stadtrandsiedlungen, die einst zur Rassentrennung errichtet wurden, sind groß. Die Chancen, dem dortigen Teufelskreis aus Armut und Gewalt zu entkommen, sind hingegen gering. In Südafrika sind mehr als die Hälfte der jungen Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Eine qualifizierte Ausbildung, die die Jobaussichten verbessert, können sich Jugendliche aus Familien am Rand der Gesellschaft nicht leisten. Aus Perspektivlosigkeit brechen viele von ihnen vorzeitig die Schule ab, halten sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser – oder schlagen eine kriminelle Laufbahn ein. 
Hier setzt das Ausbildungsprogramm von Kolping Südafrika an. „Wir wenden uns speziell an junge Menschen ohne Ausbildung und Schulabschluss, die sich selbst aufgegeben haben und nicht mehr an sich glauben“, sagt Judith Turner. Sie leitet das WOP-Programm, das mittlerweile an fünf Standorten im Land angeboten wird und jährlich fast 400 Teilnehmende zählt. Finanziert wird es über Fördermittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie über Spenden. Die Auszubildenden selbst zahlen lediglich geringe Gebühren, etwa für Prüfungen.

Ziel des Programms ist es zunächst, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihrer Persönlichkeit zu stärken. „Es ist wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal ein gesundes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein entwickeln sowie mögliche Disziplinprobleme angehen, bevor sie mit der eigentlichen Berufsausbildung starten“, weiß Volker Greulich, Afrikareferent bei Kolping International. Denn die emotionale Last, die sie mit sich herumtragen, wiegt schwer und will verarbeitet werden. Dazu dienen zehn- bis 14-tägige sogenannte Life-Skills-Kurse. Hier ermutigen Psychologen und Sozialarbeiter die jungen Menschen, in der Gruppe ihre Wünsche und Träume zu formulieren. Für viele ist dies eine ganz neue Erfahrung. Was sie persönlich wollen – das hat oft noch niemanden aus ihrem Umfeld interessiert. Gemeinsam mit den anderen Kursmitgliedern analysieren die Trainees auch ihre Stärken, erfahren Wertschätzung und entwickeln Selbstvertrauen. Sie lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und mit Problemen konstruktiv umzugehen.

Einschränkungen durch die Pandemie

So gestärkt, folgt in einem zweiten Schritt eine praxisnahe Fachausbildung: In drei- bis sechsmonatigen Kursen werden die Teilnehmenden an einen Beruf herangeführt, der zu ihren Interessen und Fähigkeiten passt. Beliebt sind etwa Kochkurse, das Friseurhandwerk oder Computerkurse. Auch Ausbildungen in den Bereichen KfZ-Handwerk, Krankenpflege oder Kindererziehung werden angeboten. Danach unterstützt Kolping Südafrika die Absolventen bei ihrer Jobsuche. Vielen kann das WOP-Team einen Praktikumsplatz vermitteln. Denn die Verbindungen zu den lokalen Unternehmen sind gut – und dort weiß man die Ausbildungsqualität bei Kolping zu schätzen. Bewähren sich die Jugendlichen in ihrem Praktikum, haben sie gute Chancen, übernommen zu werden. In den Jahren 2018 und 2019, also vor der Pandemie, fanden 65 Prozent der WOP-Absolventen bereits kurz nach ihrem Abschluss eine Arbeit.

Die Corona-Krise hat die Lage verändert. Südafrika ist eines der Länder, das weltweit mit am stärksten von der Pandemie getroffen wurde. 2020 erfolgte ein fünfmonatiger Lockdown, der sämtliche Bildungsmaßnahmen, so auch das WOP-Programm, im Land zum Stillstand brachte. Gleichzeitig stiegen Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Probleme wie Alkohol, Drogen und häusliche Gewalt – vor allem in den Townships. Kolping Südafrika versuchte in dieser Zeit, über WhatsApp Kontakt mit seinen Auszubildenden zu halten und zu helfen, wo es ging. Dazu sagt Laurian Kleinhans, verantwortlich für das WOP-Programm: „Viele unserer Schülerinnen und Schüler litten Hunger, weil ihre Eltern die Arbeit verloren hatten. Sie wandten sich an Kolping. Über die Erzdiözese haben wir dann Lebensmittelpakete von der Caritas erhalten und an die Jugendlichen verteilt.“
 

In drei- bis sechsmonatigen Kursen werden die jungen Menschen an einen Beruf, z. B. das Friseurhandwerk, herangeführt. Danach unterstützt Kolping Südafrika sie bei der Jobsuche.

Mittlerweile läuft das WOP-Programm wieder, wenngleich auch mit Einschränkungen. Insbesondere das Abstandhalten empfindet die Programmverantwortliche als hinderlich: „Viele Lernaktivitäten mussten geändert werden, und ihre Durchführung ist eine Herausforderung, da wir durch die Masken die Gesichtsausdrücke der Trainees nicht sehen können. Und bei Schüchternen ist die Maske ein zusätzliches Hindernis, sich zu äußern, Vertrauen zu gewinnen und eine Entwicklung anzustoßen“, sagt Laurian Kleinhans.

Nataly hat das WOP-Programm inzwischen erfolgreich abgeschlossen. Anfangs war die junge Mutter verschlossen und skeptisch. Doch zu ihrer Überraschung lief die Ausbildung gut. Sie merkte, dass bei Kolping etwas anders war: „Zum ersten Mal im Leben hat sich jemand um mich gekümmert. Ich kam mir vor wie eine Blume, die sich immer weiter öffnet”, berichtet Nataly. In ihrem Life Skills-Kurs fand sie Trost und Solidarität in den Geschichten der anderen. Sie lernte, Menschen zu vertrauen – wie auch sich selbst. „Kolping gab mir die Möglichkeit, nach vorne zu schauen und eine Zukunft aufzubauen. Sie gaben mir Hoffnung.“ Heute ist Nataly ein froher Mensch. Sie hat eine feste Anstellung bei der Stadt Johannesburg und kümmert sich um die öffentlichen Sportplätze. Ihr Traum ist es, bald in der Verwaltung der Sportstätten zu arbeiten. Seit kurzem ist Nataly zudem verheiratet.

Text: Michaela Roemkens
Fotos: Kolping International